Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0098
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Heft 3
DOI Artikel:Baldass, Ludwig: Die Wiener Tafelmalerei von 1410-1460, 1: (Neuerwerbungen des Wiener kunsthistorischen Museums)
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lokalisierte große Gnadenstuhl der Londoner National Gallery. Eine helle, starke und
ungemein raffinierte Farbigkeit1 herrscht in dem Bild. Es findet in der einer anderen
Hand angehörenden kleinen Madonna im Strahlenkranz in St. Lambrecht eine absolute
Stilparallele2.
Zwei faßbare Künstlerpersönlichkeiten3 nehmen von dem Meister des Gnadenstuhls
ihren Ausgang, der Meister der St. Lambrechter Yotivtafel und der Meister der Dar-
bringung. Beider Werke lassen sich aus stilkritischen äußeren Gründen in die zwanziger
Jahre des 15. Jahrhunderts datieren. Dem Meister der St. Lambrechter Votivtafel ge-
hören außer dem namengebenden Hauptwerk noch die Kreuzigung in Wiener Privat-
besitz, die Kreuztragung vom selben Altar im Kunsthistorischen Museum, der Flügel
mit Ölberg (außen) und Kreuztragung (innen) (Abb. 2) in St. Lambrecht, die Trauer
unter dem Kreuze in Ber-
Abb. 4. Meister des Die Botschaft des Engels an Joachim
Albrechtsaltares Wien, Gemäldegalerie
lin, die große Kreuzigung
1 Es muß hier festgestellt
und betont werden, daß Hu-
gelshofer (Beiträge zur Ge-
schichte der deutschen Kunst,
I, S. 21 ff.) unerklärlicher-
weise eine ebenso ausführ-
liche wie ungenaue und zum
Teil sogar direkt falsche Farb-
beschreibung des Londoner
Bildes gibt. So ist die Haupt-
fläche im Bilde: der Mantel
Gott Vaters nicht, wie Hu-
gelshofer ihn beschreibt, blau
und rot gefüttert, sondern
himbeerrot und grün gefüt-
tert. Der Thron nicht gelb-
lich weiß, sondern weiß mit
violetter Rücklehne, während
seine Öffnungen grün durch-
sehen lassen. »Die kolo-
ristische Rechnung« ist gewiß
»von erstaunlichem Feinge-
fühl«, aber es antworten
sich nicht »kreuzweise ver-
schränkt blaugrün und hell-
rot in Gewand und Flügeln
der Engel«, da das Grün
nicht blau grün und das Rot
einmal siegellackrot und das
andere Mal himbeerrot ist.
2Abb. dieses und der anderen
erwähnten und hier nicht
abgebildeten Bilder beiSuida,
Österreichs Malerei in der
Zeit Erzherzog Ern st des Eiser-
nen und König Albrecht II.,
Wien 1926.
3 Ich freue mich, in der
Gruppierung des Materials
mit fast verschwindenden
Ausnahmen durchwegs den
Ausführungen Suidas folgen
zu können.
68
ungemein raffinierte Farbigkeit1 herrscht in dem Bild. Es findet in der einer anderen
Hand angehörenden kleinen Madonna im Strahlenkranz in St. Lambrecht eine absolute
Stilparallele2.
Zwei faßbare Künstlerpersönlichkeiten3 nehmen von dem Meister des Gnadenstuhls
ihren Ausgang, der Meister der St. Lambrechter Yotivtafel und der Meister der Dar-
bringung. Beider Werke lassen sich aus stilkritischen äußeren Gründen in die zwanziger
Jahre des 15. Jahrhunderts datieren. Dem Meister der St. Lambrechter Votivtafel ge-
hören außer dem namengebenden Hauptwerk noch die Kreuzigung in Wiener Privat-
besitz, die Kreuztragung vom selben Altar im Kunsthistorischen Museum, der Flügel
mit Ölberg (außen) und Kreuztragung (innen) (Abb. 2) in St. Lambrecht, die Trauer
unter dem Kreuze in Ber-
Abb. 4. Meister des Die Botschaft des Engels an Joachim
Albrechtsaltares Wien, Gemäldegalerie
lin, die große Kreuzigung
1 Es muß hier festgestellt
und betont werden, daß Hu-
gelshofer (Beiträge zur Ge-
schichte der deutschen Kunst,
I, S. 21 ff.) unerklärlicher-
weise eine ebenso ausführ-
liche wie ungenaue und zum
Teil sogar direkt falsche Farb-
beschreibung des Londoner
Bildes gibt. So ist die Haupt-
fläche im Bilde: der Mantel
Gott Vaters nicht, wie Hu-
gelshofer ihn beschreibt, blau
und rot gefüttert, sondern
himbeerrot und grün gefüt-
tert. Der Thron nicht gelb-
lich weiß, sondern weiß mit
violetter Rücklehne, während
seine Öffnungen grün durch-
sehen lassen. »Die kolo-
ristische Rechnung« ist gewiß
»von erstaunlichem Feinge-
fühl«, aber es antworten
sich nicht »kreuzweise ver-
schränkt blaugrün und hell-
rot in Gewand und Flügeln
der Engel«, da das Grün
nicht blau grün und das Rot
einmal siegellackrot und das
andere Mal himbeerrot ist.
2Abb. dieses und der anderen
erwähnten und hier nicht
abgebildeten Bilder beiSuida,
Österreichs Malerei in der
Zeit Erzherzog Ern st des Eiser-
nen und König Albrecht II.,
Wien 1926.
3 Ich freue mich, in der
Gruppierung des Materials
mit fast verschwindenden
Ausnahmen durchwegs den
Ausführungen Suidas folgen
zu können.
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