Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
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Heft 5
DOI article:Baldass, Ludwig: Die Wiener Tafelmalerei von 1410-1460, 2: (Neuerwerbungen des Wiener kunsthistorischen Museums)
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steht auch die farbige Haltung der bunten Passionsbilder am nächsten. Da auch Einzel-
heiten wie die Bildung der Hände, der Augen und Ohren nahe verwandt sind, können
wir annehmen, daß sie einer Wiener Werkstatt angehören. Damit wäre die Lokali-
sierung des Altars einwandfrei gegeben. Der Stil der Malereien verbietet ein Ansetzen
der Entstehung nach der Jahrhundertmitte. Es erscheint also die Datierung des ganzen
Werkes in die vierziger Jahre des 15. Jahrhunderts gesichert.
Als Hauptvertreter der österreichischen Malerei der vierziger Jahre muß aber der
Meister von Schloß Lichtenstein gelten. Von zweien seiner Altäre haben sich Frag-
mente erhalten. Zu dem früheren gehören acht auseinander gesägte Tafeln, von
denen drei Szenen aus der Geschichte der Eltern Mariä und des Marienlebens, die
fünf anderen Episoden der Kindheits- und Jugendgeschichte Christi darstellen. Diese
fünf, die Beschneidung des Berliner Museums, die Ruhe auf der Flucht bei Baron
Louis Rothschild in Wien und ein Christus zwischen den Schriftgelehrten im Tempel
(Abb. 12), der 1928 für die Wiener Gemäldegalerie erworben werden konnte, ferner
eine Taufe Christi im Breslauer Museum und eine Versuchung Christi in Wiener Privat-
besitz stammen sicher von einer Hand. Ebenso aber scheinen mir die drei anderen:
die rechts ein wenig gekürzte Botschaft des
Eno-els an Joachim in der WTener Galerie,
die oben beschnittene Begegnung unter der
goldenen Pforte in St. Petersburger Privat-
besitz und die Heimsuchung des Berliner
Museums von einer Hand und zwar von der
des Hauptmeisters zu sein1. Es ist offensicht-
lich, wie sehr der Gehilfe, dem die Kind-
heits- und Jugendgeschichten Christi über-
tragen waren, sich bemühte, in der Art
des Hauptmeisters zu malen. So übernahm
er bei der Flucht nach Ägypten die land-
schaftliche Kulisse der Verkündigung an
Joachim, ohne die räumliche Klarheit des
Vorbildes zu erreichen. Ebenso versuchte
er, technische Eigentümlichkeiten nachzu-
bilden, doch sind z. B. seine Idände einfach
mit schwarzen Linien Umrissen und blei-
ben flach, während die des Hauptmeisters
plastisch in Licht und Schatten modelliert
sind.
Der Meister von Schloß Lichtenstein muß
aus der Werkstatt des Meisters der Dar-
bringung hervorgegangen sein. Für die tech-
nischen Eigentümlichkeiten, die Bildung der
Haare und Hände, die Modellierung und den
Farbenauftrag bilden dessen Marienleben-
1 Büchners anderer Scheidung der Tafeln (Münch-
ner Jahrhuch XIII, 1923, S. 170) vermag ich eben-
sowenig zuzustimmen wie Beneschs Behauptung
(Pantheon, April 1928), daß die Verkündigung
an Joachim von derselben Hand herrühre wie die
flucht nach Ägypten und der Christus unter den
Schriftgelehrten.
Abh. 11. Österreichisch um 1440
Die Disputation der hl. Katharina
Wien, Kunsthandel
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