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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

DOI issue:
Heft 20
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Grohmann, Will: Georges Braque
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0618

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Fläche und Kontur. Die Orchestrierung der letzten Arbeiten ist überaus souverän, man
denkt an Kammermusik, die Verzahnung der Themen so konsequent, daß der Eindruck des
Fugenhaften entsteht. Dieses Fugenhafte wird fraglos unterstützt durch Braques Vor-
liebe für einige wenige Gegenstände wie Geige, Mandoline, Pfeife, Glas, Flasche,
Fruchtschale, Früchte. Braque liebt seine Gegenstände in einem ungewöhnlichen Maß.
Sie sind für ihn sozusagen die Angabe des Rhythmus, sie sind bestimmend für das Gesetz
seiner Malerei. Die Vertrautheit des Malers mit diesen Dingen war nicht entscheidend
für ihre Wahl, eher schon ihre Bereitwilligkeit, sich dem neuen Sehen anzupassen,
ihre Einfachheit, ihre Ferne von jedem Pathos und ihre Eignung, sich als Thema (im
musikalischen Sinne) fugenmäßig, also undramatisch verarbeiten zu lassen. Es ist nicht
Armut, die Braque immer wieder zu seinen alten Gegenständen zurückkehren heißt,
sondern wie bei Chardin angeborener Sinn für Beschränkung, Stille, Tiefe.
Auf diesen Eigenschaften steht Braque, der Künstler und Mensch. Er lebt ausschließlich
der Vervollkommnung seines Werkes. Mit seltener Sensibilität und Beharrlichkeit ver-
gräbt sich der Maler in das Wesen der kleinsten Dinge, in die Möglichkeiten des Hand-
werks, um seine Poesie herauszuholen, um in seinem Bezirk das Letzte an Perfektion zu
erreichen. Mit der Gelassenheit eines alten Meisters arbeitet Braque an seinen Bildern,
immer unbefriedigt, immer überzeugt, daß eine weitere Steigerung möglich ist und
daß das Werk einer so sorglichen Pflege nicht unwert sein wird. Erstaunlich, daß durch
so viel Sorgfalt weder das Gleichgewicht noch der natürliche Charme, noch die Noblesse
des Meisters beeinträchtigt wird, daß die innere Gelassenheit, die Spannweite und die All-
gemeingültigkeit der Arbeiten nicht darunter leidet. Das erklärt sich nur daraus, daß
Braque mit all seinen menschlichen Qualitäten an der Arbeit beteiligt ist und selbst
reift, indem er das Werk vervollkommnet. Auch er wird am Schluß seines Schaffens sagen
können: »Je commence maintenant, je commence«. Das Höchste, was uns erreichbar ist.


Georges Braque Akt Kohle. 1924
Lausanne, Slg. Reber

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