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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Sonderheft Kunstliteratur
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Praehistorie und Altertum
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0773

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Praehistorie und Altertum

HERBERT KÜHN: KUNST UND KULTUR DER
VORZEIT EUROPAS. Das Paläolithikum. Ber-
lin und Leipzig 1929. Walter de Gruyter & Go.
Es ist für die augenblickliche Situation der Prä-
historie als einer selbständigen Wissenschaft mit
eigenen Methoden der Forschung bedeutsam, daß
gerade von der Seite, von der in den Jahren nach
dem Krieg der nachdrückliche und erf olgreiche Hin-
weis auf bisher ungehobenes »ästhetisches« Mate-
rial, auf eine, modernen Ausdrucksformen ver-
wandte »Kunst« ausging (Kunst der Eiszeit, Kunst
der Primitiven), nun der reaktionäre Gegenstoß er-
folgt, der die Kunst und Kultur der Vorzeit Euro-
pas aus einer Vorgeschichte der Kunstgeschichte
zum ersten und wichtigen Kapitel der Prähisto-
rie macht.
»Die Kunsttatsachen können nicht herausgerissen
werden aus dem Gesamtgefüge, das die vorgef-
schichtliche Wissenschaft aufbaut, -— sie können
allein aus der Vorgeschichte heraus verstanden wer-
den,« so steht es am Anfang des Buches. Kunsttat-
sachen, besser bildnerische Tatsachen, bieten uns
das einzige sichtbare Material für die Erkenntnis
der geistigen Struktur des prähistorischen Men-
schen. Andere Quellen dafür gibt es nicht, und da-
her konnte eine rein ästhetische Betrachtungsweise
der Situation nicht gerecht werden, denn durch die
Kunst wird hier ein Bild gegeben, »von der gesam-
ten geistigen und materiellen Kultur dieses Erd-
teils in der Vorzeit«.
Vollständigkeit des Materials, Ideal jeder ernst-
haften wissenschaftlichen Arbeit, wird an diesem
Punkt auf diesem Gebiet der Forschung zu einer
um so strengeren Forderung als jede dieser Fund-
inkunabeln, da sie am Anfang steht, imstande ist,
die Einsicht in die Entwicklung entscheidend zu
verändern. (Vergleiche den Abschnitt über das pa-
läolithische Ornament.) Jedem Abschnitt des Bu-
ches ist eine »Geschichte der Entdeckungen« voran-
gestellt, wie sie in gleicher Vollständigkeit und
Exaktheit bisher noch nie gegeben ist, da die ge-
samte ungewöhnlich verstreute Literatur herange-
zogen wurde. Exakte Fundbericht-Zusammenstel-
lung und Beschreibung war ja seit je Signum der
Prähistorie alter Observanz, doch hier geschieht es,
■um aus dem Material heraus Entwicklungen
festzustellen, durch die eine Materialsammlung erst
zur Wissenschaft wird. Das Entwicklungsmoment
ist es überhaupt, das prähistorisches Material erst
anschließt an die Kunstgeschichte, die Philosophie,
Religionsgeschichte, Soziologie und die übrigen
Geisteswissenschaften, für die so die Prähistorie
gleichermaßen zur Vorgeschichte wird.
Das Buch weitet also die Bedeutung der Prähistorie
gegenüber früher erschienenen Arbeiten unge-
wöhnlich aus, indem es den ailzu engen und aus-
schließlichen Anschluß an die Kunsthistorie auf-
gibt zugunsten einer universellen Bedeutung der
Prähistorie für alle Geisteswissenschaften. Was in

der Arbeit Ivühns als Vorzug aus dieser Zeit der
Personalunion mit der Kunstgeschichte geblieben
ist, ist eben die Betonung des Entwicklungsmo-
ments, das ihn nicht nur drei örtlich fixierte ver-
schiedene Stile (die Einführung des nordafrikani-
schen Kulturkreises wird erstmalig in die paläoli-
thische Kunst neben dem franko-kantabrischen und
ostspanischen unternommen), sondern innerhalb
jeden Stiles wieder Entwicklungsstadien sehen läßt.
Wenn dieses Vorgehen die Arbeit Kühns an kunst-
historische Forschung äußerlich und innerlich an-
schließt, so wird doch ganz der Fehler vermieden,
das Phänomen: Kunst in der Prähistorie mit den
Augen des Menschen des 20. Jahrhunderts zu sehen,
Kunst überhaupt als ewigen und unwandelbaren
Begriff zu stabilisieren. Es ist über »Geburt der
Kunst«, »Anfänge des Ornaments« nur dann rich-
tig zu urteilen, wenn, wie es hier geschieht, das so
völlig andersartige »Weltbild der Primitiven« in
Rechnung gezogen wird. Es spricht für die Fun-
diertheit der Arbeit, daß das letzte Kapitel über
»das Denken des Menschen der Eiszeit« mit das
glanzvollste des ganzen Buches ist. Es zieht zum
Schluß das Fazit aus dem Material des Buches und
ist im logischen inneren Arbeitsvorgang die Grund-
lage für das ganze Buch, das durch diese Einstel-
lung und durch seine Vollständigkeit das deutsche
Standardwerk prähistorischer Forschung auf dem
Gebiet des Paläolithikums wird. Ernst Scheyer
EMANUEL LÖWY: POLYGNOT. EinBuchvon
griechischer Malerei. Wien 1929. A.
Schroll & Co.
Von Polygnot, den das Altertum bis in seine späten
Zeiten hinein als den größten griechischen Maler
schätzte, kennen wir mit Sicherheit auch aus Ko-
pien kein Werk. Wir haben nur Beschreibungen
einzelner Hauptwerke und Charakteristiken seiner
Stils bei antiken Schriftstellern. Emanuel Löwy
unternimmt es nun, über das Polygnot-Kapitel des
Basler Archäologen Ernst Pfuhl in seinem Stan-
dardwerk der antiken Malerei hinaus, das Bild die-
ses größten Malers der klassischen Zeit zu rekon-
struieren. Aus Nachklängen der polygnotischen
Kunst in Vasenbildern aus der zweiten Hälfte des
5. Jahrhunderts, in den handwerklichen Friesen
von Gjölbaschi-Trysa, in schwer verwitterten Par-
thenonmetopen, in kleinen Tonreliefs und in den
Gravierungen auf der Fiooronischen Cista findet
er solche Nachklänge, hierin, besonders bei der
Vasenforschung, durch die Beobachtungen andrer
Archäologen bestätigt, und geführt von den er-
wähnten ziemlich eindeutigen Charakteristiken des
Polygnot-Stils in der antiken Literatur; auch durch
Heranziehung der für Polygnot und seinen viel-
leicht ihm in manchen Dingen ebenbürtigen Zeit-
genossen Mikon bezeugten Bilderkreise, von Ama-
zonenscblachten und Iliupersis, von Freiermord und
Orpheuslegenden, Menelaosabenteuern und Kaly-

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