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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Railleur, Jean: Die neueste Richtung in der Malerei und "Quelque chose" von P. L. Asieurs
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0056

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Die neueste Richtung in der Malerei rc.

Farbentöne auf ihre Seele wirken! Taucht hier nicht
ein Kopf auf? Erscheint nicht hier eine Hand, ein

Arm!-Weiter, lassen Sie die Farbenakkorde auf

sich wirken, schwelgen Sie weiter in Harmonien!"-

Hier sind einige Urteile, die ich gestern Abend im
Salon der geistreichen Frau von S. sammelte! »(Juelcius
ckose« bildete natürlich auch hier das Hauptthema der
Unterhaltung. Die Dame des Hauses ging ich zuerst
um ihr Urteil an.

„Ah, mein Herr", erwiderte sie, „die Sache läßt
sich nicht somit wenig Worten abthun! Wissen Sie, als
ich so ungefähr eine Viertelstunde vor dem Bilde gesessen
hatte, fiel mir eine allerdings gewagte aber höchst origi-
nelle Zusammenstellung einer hellrötlichen Farbennuance
mit einem blassen Blau, das durch schmale bräunliche
Linien durchzogen war, in die Augen. Wie müßte dir,
mußte ich denken, eine Robe in diesen Farben stehen,
aber nein — dachte ich weiter, für eine alte Frau, wie
ich bin"-(ich beeilte mich natürlich eisrigst, Wider-

spruch zu erheben). „Doch, doch! Sie Schmeichler", fuhr sie
fort. „Aber dieses Braun hier mit den hellroten Streifen würde
recht passend sein für meine Abende, besonders wenn ich dazu
eine Rose oder eine Kamelie im Ton dieses dunklen Rot
ins Haar stecken würde. — Ich weiß nicht,
wie es kam, mit einemmal, wie es in
Träumen zuweilen vorkommt, war es mir,
als säße ich in meinem Salon inmitten
meiner Freunde und würde durch deren
geistreiches Geplauder im Geist bald hierhin,
bald dorthin geführt. Bald war es an die
Gestade des mittelländischen Meeres, bald
in die Tropen, bald in den fernen Norden,
bald in einen einsamen Waldwinkel unsrer
Ardennen. Aber an alledem war das Bild
schuld, dessen Töne mich bald in diese, bald
in jene Gegenden versetzt hatten. Sehen
Sie, mein Herr, dies ist mein Urteil über
das Bild, daß es nicht „Etwas" heißen
müßte, sondern „Viel".

„Und Sie, mein Herr", redete ich
Herrn T. an, den jungen Komponisten,
dessen bedeutendes Talent ihm in immer
größeren Kreisen Anerkennung verschafft,

„würden Sie uns Ihr Urteil mitteilen?"

„Ah, aber nein! mein Herr", erwiderte
er, „aber nein! — wenigstens nicht in
Worten — aber besuchen Sie mein nächstes
Konzert, und ich hoffe, Sie werden mir
alsdann zugeben, daß sich so etwas besser
durch Musik interpretieren läßt, als durch
das Wort!"

Vielleicht kennen Sie Fräulein v. R.,
die noch immer so reizende Blondine mit
der Junogestalt und den großen, schwärme-
rischen Augen. „Und was sahen Sie
auf dem Bild, mein gnädiges Fräulein?"
fragte ich.

Sie warf einen seelenvollen Blick auf
mich und lispelte: „Den g anzen Himmel!"

Ich wandte mich zu Herrn L. Er soll,
wie man sagt, ein ziemlich lockeres Leben
führen und sieht älter aus, als er wohl

z?

in Wirklichkeit ist. Er antwortete zuerst ausweichend,
als wir uns aber hernach etwas abseits trafen, rief er
mir zu: „Köstlich, herrlich, dieses Bild!" und sein sonst
ziemlich mattes Auge nahm Glanz an. „Eine famose
Orgie!" Ha, wie sie sich durch einander schlingen, die
nackten Körper dieser Weiber! Möchte so etwas wohl
einmal in Wirklichkeit durchmachen. Habe zwar schon
manches erlebt, so toll ging es aber doch nicht zu!"

Herr N. war zu uns getreten. Er hatte eine ziem-
lich düstere Miene. Man sagt, er soll Geld auf hohe
Zinsen ausleihen und dadurch reich geworden sein, von
seinem Reichtum aber nur sehr wenig Gebrauch machen.
Auch an ihn erging meine Frage. — Der Mann hat
in seiner Jugend Schulen besucht und spielt sich zuweilen
gern als Schöngeist auf. —

„Was ich auf jenem Bilde sah? Dantes Hölle!"
murmelte er. Er nannte wohl auch die Nummer des
Gesanges, ich konnte sie aber nicht verstehen. Ich er-
innere mich, daß ein Gesang des intsrno die Strafen
der Wucherer und Geizhälse beschreibt. Vielleicht meinte
er diesen.

Ich war wieder zum Kamin zurückgekehrt, wo man
auch noch immer über „Etwas" sprach, als Herr T.
eintrat, der pensionierte alte Oberst. Er benutzt seine

Gottfried Keller. Vriginal-Radierung von Karl Staufser-Bern.

)ahresausstellung 18Y3 der Rünstlergenossenschafl zu München.
 
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