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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Woermann, Karl: Raphaels Sixtinische Madonna, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0175

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Von Aarl woermann.

1ZZ

Zunächst ist zu wiederholen, daß die iAackomru. cki 8an 8isto, wenn Himmelserscheinungen auch in
anderer Weise schon früher dargestellt worden und Vorstufen einer ähnlichen Auffassung sich bei früheren
Malern, ja bei Raphael selbst Mackonim cki buli^no) Nachweisen lassen, doch unzweifelhaft die erste 8airta
Lonvsrsa^ione, das erste Andachtsbild mit Heiligen ist, das den himmlischen Vorgang unmittelbar in den
wirklichen, lichterfüllten, von weißen Wolken durchzogenen Himmelsäther verlegt. Hierzu kommt, daß Raphael
auf der Höhe seiner Meisterschaft angelangt, von der aus er überhaupt nichts anrührte, ohne es mit neuem,
eigenartigem Geiste zu erfüllen oder es in neuer, eigenartiger Technik vorzuführen, den neuen Gegenstand auch
mit neuen, eigenen, durch die Auffassung bedingten Darstellungsmitteln zur Geltung brachte. Hier können wir uns
bereitwilligst die geistvollen Bemerkungen Brunns über
das eigenartige, rhythmische oder gleitende Gleichgewicht,
das die Komposition beherrscht, aneignen. So frei und
lebendig war eine ihrer Natur nach von Haus aus
symmetrische Darstellung noch nie behandelt worden, wie
in diesem Bilde. Hier trat in der ganzen Linienführung
und Formensprache gegenüber der herben und spröden
Wahrheit des 15. Jahrhunderts, aus der auch Raphaels
Werke erst allmählich herauswuchsen, das Wesen des
Idealismus des 16. Jahrhunderts, der, ohne die engste
Fühlung mit der Natur aufzugeben, die Natur doch mit
eigenen Augen ansah und Freiheit und Schönheit mit
der Wahrheit paarte, so rein und sonnenhell zu Tage,
wie kaum in einem einzigen früheren Bilde; und gerade
diesen Idealismus bezeichnet« man damals als „die
Moderne" im Gegensatz selbst noch zu den ein Menschen-
alter vorher entstandenen Werken. — Hier wurde die
himmlische Erscheinung zum erstenmale in ein wirkliches,
nach allen Seiten hin leuchtendes, alles durchzitterndes
Helles Himmelslicht gehüllt, das, wenn es der gegen-
wärtigen Freilichtmalerei auch erst die Vorbedingungen
gemein hatte, doch allen früheren Darstellungen gegen-
über einen Fortschritt in der Lichtmalerei bedeutete, der
damals ähnlich empfunden werden konnte, wie heute die
Freilichtmalerei selbst, deren Übertreibungen es ausschloß.

Man sehe sich nur das Original daraufhin an und beachte
auch die feine, von bläulichem Lichte durchgeistigte Be-
handlung der Engelköpfe in den äußeren Teilen des
Bildes! Wie materiell erscheinen daneben noch Correggios,
des Lichtmalers, Engelköpfe auf seinem 1515 vollendeten
Bilde der Madonna mit dem heiligen Franziskus! —

Hier wird die himmlische Leichtigkeit der Wolken und der
von ihnen getragenen göttlichen Geister zum erstenmale
mit einer Breite, Leichtigkeit und Flüssigkeit der Pinsel-
sührung auf die Fläche gebannt, die erst von der für die
späteren Breilmaler vorbildlich gewordenen Pinselsührung
des alternden Tizian wieder erreicht wurde. Man betrachte
daraufhin nur die völlig unberührten Köpfe des hl. Sixtus
und der beiden Engel des Vordergrundes. Diese Mal-
weise würde selbst im modernsten Pariser „Salon" nicht glatt, veraltet oder unmalerisch erscheinen. — Hier
sind — und das ist und bleibt schließlich die Hauptsache — alle Gestalten und Köpfe mit einer ihrem besonderen
Wesen ungehörigen, voll bezeichnenden Tiefe und Fülle des geistigen Ausdrucks ausgestattet, wie sie uns aus
keinem früheren und kaum aus einem späteren Bilde entgegenwehen. Die männliche Glaubensinbrunst, die zu-
gleich durch ihr Flehen die ganze Gemeinde mit erlösen will, in den Zügen und Augen des heil. Papstes, —
die innige Demut und selige Beglücktheit, die sich, nicht männlich-thätig, wie drüben, sondern nur weiblich-
empfangend in der heil. Barbara wiederspiegelt, — die nur erst ahnungsvolle, mit Staunen, Neugierde und Anbetung
gepaarte kindliche Hingebung, die den vorn aus die Brüstung gestützten Englein aus den großen, sinnenden Augen
leuchtet, — alle diese geistigen Regungen und Stimmungen, die das Bild innerlich Zusammenhalten, waren mit
dieser überzeugenden Kraft noch nie vorher dargestellt worden; und doch sind alle diese Regungen nur ein

Nus A. v. Werners Skstrenbuch.
 
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