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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Voss, Georg: Die Ausstellung der Münchener Secession im Sommer 1894, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0369

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Die Ausstellung der Münchener Secession im Sommer ;8yz.

Klubausstellungen üblichen Studien, welche der Künstler wesentlich aus eigener Freude an diesem oder
jenem fesselnden malerischen Motiv um seiner selbst willen schafft, weil ihn eine innere Stimme dazu treibt,
sind diesmal fortgeblieben. Minderwertige Arbeiten sind, so weit dies in einer derartigen Parteiausstellung
möglich ist, zurückgewiesen. Noch jetzt nach der Eröffnung ist ein ganzer Saal des Gebäudes mit den in
dichten Haufen beieinanver stehenden Gemälden der Zurückgewiesenen angefüllt — eine Totenkammer, in
der tausend schöne Hoffnungen begraben sind. Mancher Unwille wird sich gegen diese strenge Jury erheben,
und der Verein der Secessionisten wird jetzt die Probe auf seine innere Festigkeit machen müssen, um
den bittern Enttäuschungen manches begabten Mitgliedes des weit verzweigten Vereins zu begegnen. Die
Secession hat sich das stolze Ziel gestellt, nicht einen Bazar zu veranstalten, sondern eine Akademie der neuen
Kunst zu bilden, eine Elitegruppe, welche nur den Würdigsten in ihren Reihen aufnimmt. Wird der Verein
auf die Dauer dieses stolze Ziel durchzuführen imstande sein, oder werden die Rücksichten auf die praktischen
Interessen der einzelnen Mitglieder in Zukunft eine andere Lösung der Ausstellungsfrage erheischen?

Jedenfalls hat die Ausstellung als solche durch diese Strenge gewonnen und der Freund der modernen
Kunst findet hier eine Auswahl von Gemälden beisammen, wie dieselbe nicht einmal in dem Salon des Mars-
feldes zu Paris geboten wird.

Bei den ausgesprochen internationalen Grundsätzen der Secession befürchteten die Freunde einer nationalen
deutschen Kunst mit Recht, daß die Erstarkung eines kraftvollen selbstbewußten Nationalgefühls in unserer
vaterländischen Malerei durch das Zusammenströmen der fremden Vorbilder Gefahr laufen könnte. Lange genug
waren die jungen Münchener und Berliner Maler, welche einem Josef Israels das künstlerische Problem des
Arbeiterbildes abgelanscht hatten, in die Bauernstuben von Holland und Nordfrankreich gewandert, um von
ihren Studienreisen beständig Bilder aus der Fremde heimzubringen. Bei den Landschaftsmalern wiederholte
sich dasselbe. Die jetzt eröffnete Ausstellung dagegen zeigt, daß unsere Maler sich wieder auf ihre deutsche
Heimat besonnen haben und daheim die Motive zu ihren Bildern zu finden wissen. Mögen die künstlerischen
Kompositionsgesetze, die Farbenstimmung und die Wahl der Beleuchtung auch immerhin vielfach auf die An-
regung der Niederländer, der Franzosen, der Schotten oder der Skandinavier zurückzuführen sein; doch gleich
beim ersten Rundgang durch die Säle sieht man mit Freuden, daß Land und Leute auf den Bildern unserer
Maler wieder unserem deutschen Vaterlande angehören — wenigstens gilt dies für die größere Menge der
Werke. Allerdings giebt es darunter manche künstlerisch ganz besonders ins Gewicht fallende Ausnahmen.
Einige unserer besten Meister leben mit ihrer künstlerischen Phantasie in überirdischen Sphären. Sie malen
himmlische Wundererscheinungen und biblische Erzählungen, deren Inhalt das internationale Gemeingut der
ganzen Christenheit ist. Aber auch in diesen Werken tritt vielfach eine Innigkeit der Empfindung hervor,
welche diese Gemälde als Schöpfungen eines echt germanischen Künstlergeistes kennzeichnet.

Den Hauptanteil an der Ausstellung haben die Münchener Künstler. Gewiß sind die Schotten,
die Skandinavier, Belgier nnd Holländer durch manche glänzende Beispiele vertreten — die Franzosen werden
erst gegen Ende dieses Monats erwartet — aber die deutschen Künstler beherrschen den Haupteindruck der
Ausstellung; und unter ihnen vor allen die Münchener, neben denen Berlin, Karlsruhe, Weimar, Stuttgart
und die anderen deutschen Kunststädte nur nebenher in Betracht kommen. Unter den 178 Malern, welche hier
aus allen Ländern zusammengekommen sind, gehören nicht weniger als 78 der Münchener Künstlerschaft an.

Franz Stucks große Allegorie „Der Krieg" ist ein Werk, welches den apokalyptischen Reitern Dürers
und Cornelius' ebenbürtig zur Seite steht. Unerbittlich wie das Schicksal reitet diese Gestalt des Krieges,
das bluttriefende Richtschwert auf der Schulter, hinweg über die mit Leichen und Blutlachen dicht bedeckte
Walstatt. Der Krieg schwingt nicht selber das Schwert in den Händen wie bei Dürer. Die Blutarbeit ist
bereits gethan. Von fern her glühen düsterrot die Flammen einer Feuersbrunst herüber: Der Krieg hält seinen
Triumphzug. Die dämonische Gewalt, mit der dies veranschaulicht ist, wirkt mächtig. Wer die Bibel-Illu-
strationen des Mittelalters kennt, weiß, daß auch in früheren Jahrhunderten die Maler in ähnlicher Weise
die vier dämonischen Reiter der Offenbarung St. Johannis einzeln über das Land hinwegsprengen
lassen: den Krieg, die Pest, den Hunger und den Tod. Welch großartige Entwicklung von jenen naiv em-
pfundenen Miniaturen und Holzschnitten bis zu dem ergreifenden Gemälde Stucks!

Fritz von Uhde läßt den Heiland als Gärtner am Ostermorgen vor den Mauern einer alter-
tümlichen deutschen Stadt erscheinen. Magdalena, die anbetend vor Christus niedergesunken, ist ein
deutsches Weib in der Kleidung einer schlichten Taglöhnersfrau, aber zugleich in jedem Zuge erfüllt von der
Innigkeit deutschen Gemütslebens. Schön ist wieder einmal die Landschaft, die Abendröte, welche über das
einfache Hügelland hinwegschimmert und sich in den Fenstern der Häuser widerspiegelt.

Das Heiligenbild der alten Tradition in den farbenreichen Gewändern der Renaissance vertritt so
ernst und groß wie wohl nie zuvor Arnold Böcklin mit dem Gemälde der Kreuzabnahme. Das Bild gehört
zu den reifsten Werken, welche Böcklin in seiner ganzen Lebensarbeit geschaffen hat. Bereits in der Mitte der
siebziger Jahre ist dasselbe entstanden. Böcklin hatte es für eine große norddeutsche Gemäldegalerie ausgeführt.
 
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