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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Pecht, Friedrich: Die Jahres-Ausstellung 1894 der Künstlergenossenschaft zu München, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0409

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Die Jahresausstellung der Rünstlergenoffenschaft zu München.

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zwar im einzelnen oft pikanter wirkt, dem Ganzen aber eine gewisse, fast beleidigende Charakterlosigkeit giebt. —
Nur die Engländer haben im Glaspalast ganz unvermischt für sich ausgestellt und sehen darum weitaus am charakter-
vollsten und männlichsten aus, wie denn auch die Holländer und Belgier zu ihrem großen Vorteil wenigstens
einigermaßen zusammeugehalten wurden. — Die Italiener und Spanier dagegen, ohnehin die buntesten von allen,
verderben einem wie eingestreute Quarzkörner oft eine ganze Wand durch das grelle Farbenkonzert eines einzigen
ihrer Bilder. Dazu kommt nun noch, daß gerade der Genossenschaft die eigentlich packenden und überraschenden
Werke fehlen, wie sie die Secessionisten in Franz Stucks schauerlich-genialem Bilde des „Krieges" oder in
Herkomers „Bureau der (Bank-) Direktoren" besitzen. Zwei Drittel der vorhandenen Bilder sind im Gegenteil
ohne alle innere Notwendigkeit gemalt, ja, die Künstler, ihre Väter, hätten ebensogut etwas ganz anderes machen
können. Es ist das die natürliche Folge jener Theorie, die auf den Gedanken, den Inhalt des Bildes gar nichts
giebt, sondern allen Wert bloß auf die Form, die Mache, oder was noch am ersten geht, auf die Charaktere legt.
Die Ausstellung der „Alten" ist aber fast ein einziger Beweis dafür, daß diese Theorie der „Jungen" auch
von ihnen, schon ob der größeren Bequemlichkeit, adoptiert worden. Nichtsdestoweniger wird man bei näherem
Zusehen unter unserer diesmal bloß 1200 Ölgemälde, 150 Aquarelle und Zeichnungen, fast 200 Skulpturen
und ungezählte Kupferstiche rc. enthaltenden, übrigens mit noch weit größerem Raffinement als früher in Szene
gesetzten Ausstellung sehr viel Hochachtbares, wenn auch wenig eigentlich Geniales finden, so daß man sich da,
wenn auch nur selten erschüttern oder erheben, doch recht gut unterhalten kann. Einige Versuche zu ersterem
sind indes doch gemacht worden, wo denn die religiösen Stoffe natürlich am nächsten liegen. So hat Holmberg
— freilich nur auf Veranlassung des Staates — einen Gekreuzigten gemalt, dem zwei Engel den Augenblick
des Verscheidens zu erleichtern suchen. Offenbar weiblichen Geschlechts, sind sie auch dementsprechend sehr
lieblich ausgefallen, während der Erlöser selber durchaus edel und großartig gelang. Sähe man dem Bilde
nicht die bestellte Arbeit etwas zu sehr an — denn das Freischweben des Kreuzes in der Luft, wie der Kelch
mit der Hostie, die der eine Engel dem Verscheidenden bringt, sind ganz gewiß nicht des Malers Erfindung,
sondern ihm octroyiert worden — so müßte man das Bild zum Besten zählen, was vorhanden, obwohl ihm
das Drohende, Furchtbare des Moments, wo die Erde zittert und die Sonne sich verhüllt, allzusehr mangelt;

also gerade das, was Stucks „Krieg" so
unwiderstehlich macht. — Weit mehr
Schuldigkeit und Stimmung zeigt des
Düsseldorfers Br litt „Was toben die
Heiden?" oder vielmehr ein sozialistischer
Aufruhr, wo die Arbeiter eine Stadt in
Brand gesteckt haben und nun aus der-
selben in dichten Massen herausströmend
in der nächtlichen Dämmerung sich der
weißen Gestalt des Erlösers in den Lüften
gegenüber sehen, an den sie doch längst
allen Glauben verloren hatten. Da stürzen
sie nun nieder und beten reuevoll an oder
weichen doch erschüttert zurück. Das ist
nun mit hervorragendem Talent sehr wirk-
sam gegeben; leider aber viel zu klein und
zu genreartig naturalistisch, als daß es
einen großartig erschütternden Eindruck
machen könnte. Dazu brauchte man nicht
nur eine Reduktion der Volksmenge auf
einzelne typische Charaktere, die man kaum
angestrebt findet, sondern auch eine materiell
imponierende Größe, die nun' einmal für
solche Vorwürfe unentbehrlich ist. So
glaubt man wohl an die wilden Empörer,
aber nicht an das ihnen entgegentretende
Phantom in den Lüften. Immerhin zeigt
aber dieses Bild, wie noch eine ganze
Reihe anderer, daß sich unsere Künstler
denn doch allerdings auch mit den Fragen
Kreuzigung. von Wilhelm Trübner. der Zeit beschäftigen und deren Lösung auf

)abresausstellung 1(894 der Rünstlergenossenschast zu München. 1^6 (§l) Mil!
 
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