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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 4 (April 1928)
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Braig, Adolf: Albrecht Dürer und die Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0096

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Albrecht Dürer

Aon Adolf A

Wenn der Denlfche von Kunst nnd Schule spricht,
umg er zuerst nn dns eigene bildhnste Gestnlten der
hugenü deuken, daZ nm sichersten nuf den Weg zur
dildenden Kunst fiihrk. Dnnn lcnnn er nber nuch die
Kunstschnhe der Aergnngenheit im Auge hnben, die
nlS Lrbgüter deutscher Kulkur sich dnuernd anbieten
für die Aildung deä AollleZ und besonders seiner
llugend. Zieht sich der Aliclc dnhin nuf elne
grosze Erscheinung zusnmmen, so stöszt er zuerst auf
die hehre Gestnlt Albrecht DürerS.

Es ist selksnm, dnjz, von dieser Seite her gesehen,
Dürer gegen seinen Zeikgenossen Grünewald ganz
in den Aordergrund trikt. Sein Nuhm galt ln allem
unbeskrlkten, bis der grosze Unbeknnnte dem deuk-
schen Aolke eigenllich erst wiederentdeckt wurde.
Wer zu der Zelt, nls der llsenheimer Altar in der
Alken Pinnkokhek in München ausgestellt war, frisch
erfüllt von dem überwältigenden Erlebnis dieser
Schöpsung, zu den Dttrersälen hinllberging, mujzke
dns Äibkühlende, Aüchlerne dieser 2ltmosphäre wie
einen Mickschlng ersahren. Aiele konnten es nicht
unkerlnssen, Dllrer seinen nlken groszen Auf nbzu-
sprechen.

llnd doch — wie unsnchlich und ungerecht muszte
sich die Aerucieiiuug bei ruhigem Zusehen erwei-
sen! Dtirer ist so gnnz nuderS gearket, dnsz er sich
in der 9lachbnrschnst GrünewnldS nicht finden läszt.
Deu visionären Flug in llberirdische Weiten, daS
glüheude Slrömeu der Empsindung uud dnS hem-
mungSlose Gestalten hat Dllrer, wentgstens liber
seine llugendjahre hiunus, nicht gekannt. Hätte er
üen llsenheimer Altar jemalS gesehen, so hälte er
seiueu Schöpfer wohl zu den Malern aezählt, die
„ihre Werke gewaltiglich, aber unbedächtlich und
nllein nach ihrem Molgesallen gemacht haben".
„Dasz aber solche Mnler Wolgefallen tn jhren slrr-
khumen gehnbt, ist alleiii Ilrsach gewest, daß sie die
Kuust der Messung nit gelernt haben ahn die kein
rechker Merkmnnn werden oder sein kanni daS aber
ihr Meister Schuld gewest, die solche Kunst selbS
nit geklinnk hnben." „Sich der Messunge Zirkels und
Mchkscheik unkerwinden und daraus die rechke Wahr-
heit erkennen und vor Augen sehen", solcher Len-
kung hätke sich Grünewnld gewljz ebenso hohnlachend
entzogen wie dieser nuderen: „Willl du nber eklich
Masz eiueä AildeS brnuchen und dasselbig dornoch
kllnsllich mnchen, so uimm sllr dich lebendig Men-
schn, jo schön du sie gehaben mngsk, und derselben
viel, so mngst du destomehr guks Dings zusammen-
klnuben." „Aber in solchen Dingen halt ich die ver-
gleichlichen (gemäjzigken) Ding stir die schönsken."
Aicht nur diesen hernuSgehobenen Sähen, nein, bei-
nahe jedem Wort in Dtirers Schrisken häkke Grüne-
wnld mit tiefem Widerstreben begegnen miissen. Da-
mit siehk man die beiden grohen Zeikgenossen in
weiken Abstand auseinandertreten.

LS fiele uns schwer, Grünewald nls Lchrec zu
denkcn. Sein Schaffen erschelnk uns mehr vom
Sturm der Lingebung,, vorwärksgekragen, nls von
verweilender Erwägung geleiket. Als Lehrer, so
meinen wir, miijzte dieser aigenmächkige Gestalter,
der alles nudere eher wollte als Mahhalken und
die rechke Mikte suchen, jeden Schüler erschreckt

und die Schule

ralg, Mllnchen.

und abgestojzen oder zu willeuloser Anchnhmung ver-
gewaltigt haben.

Albrecht Dürer war von nnderer Art. Die Stimme,
die ihn trieb, kam nicht aus geringerer Höhe, aber
sein Genius führte ihn andere Wege. Durch alle
seine Schriften geht der Zug der einen Schnsuchk:
den ruhenden Pol zu finden in der Erscheinungen
Flucht. tlhm gilt es als das Höchste, die Gesehe
nufzusptiren, die alles verwirrend Aielsältige und
Unsichere der Crscheinungswelt geheimnisvoll durch-
waiken und die nur ein bohrender Aerstand auS
Licht zu heben vermag. „Dann das Wissen ist wnhr-
hafk, aber die Meinung (das Subjekkive) vekreugt
oft." Ohne die Kunst der Messung ist sür Dürer
nlle vollkommene Kunst unmöglich, und er bcdauerk,
dasz die deukschen Maler daran und auch an „Per-
lpectiva und Anderem dergleichen Mangel gehabt
haben". And auch „ahn rechte Proporkion kann je
kein Blld vollkommen sein, ob es auch so fleijzig,
als das immer möglich ist, gemacht wirdek."

Es ist ergreifend, Dürers Schrifken zu lesen. Mcht
nur, weil mnn Zenge dnvon ist, wie er mik der
Sprache ringt, um sie in immer wieder erneuten
Fassungen der Säsze gefügig zu machen fllr den
Nusdruck dessen, waS begriffliches Denken lhr auf-
biirdet, und noch dnzu ein Denken llber llnhalte, an
die sie bisher nichk herangesührk worden war. Er-
greifend ist vor nlleizi die Tntsnche, dajz Dtirer zu
kelnem sicheren Ende kommt und kommen kann.
„Ls ist uns von Natur eingegossen, dajz wir gern
viel weszken, dordurch zu bekennen ein rechke Mahr-
heik aller Ding. Aber unser blöd Gemüt kann zu
solcher Vollkommenheit aller Künst, Wahrheit und
WeiSheit nit kummen." „Was nber die Schonheit
sei, das weisz ich nit." llmmer wieder mujz also
Dllrer der absoluten Glllkigkeit seiner mtihselig be-
gründeten „Meinung und Erfindung" selbst mijz-
krauen.

Da kritt dann wieder dns frsie Ktinsklerwesen
gegen das abgelöst denkerische Wesen in ihm auf.
„lltem die Maß, die ich beschreib, will ich nit hoch
loben, wiewol ich sie nsz für die ärgest Meinung
halt. 2ch seh sie auch nit dorum, daß sie eben also
musz sein und nit anderst. Aber durch die Mittel
magst du ein besseren Weg suchen und erfinden."

Dlirec will nlso kein alleinseligmachendes Dogma
einsehen. So ruft er immer wieder zurück zur Na-
tur alS der reinen Quelle künstlerischen Schaffens.
Bei allem Streben nach Ordnung und Geseh, nnch
dem Schönen und Aollkommenen, „HLt sich eiu hed-
licher, dah er nichks Anmüglichs mach, das die Na-
kur uit leiden klinn".

Schön und reich, aber durchaus nicht in sachlicher
Uebereinsklminung verbunden, triffk des Meisters
kllnsklerischer Glnube mik seiner lehrhaften Weisung
zusammen in einer der berllhmtssken Skellen der
Proportionslehre: „Aber das Leben in der Nakur
gibk zu erkennen die Wahrheik dieser Ding. Darum
sieh sie fieiszig an, richl dich darnach und geh nit
von der Natur ln dein Gutgedunken, dnjz du wöl-
lest meinen das Aesser von dir selbs zu sinden: üann
du wirdest verführt. Dann wahrhafkig steckt die
Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reihen,
 
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