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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 7 (Juli 1928)
DOI Artikel:
Walbe, Heinrich: Vom Bildungswert des Zeichnens, [2]: aus der Antrittsrede des Rektors ... an der Techn. Hochschule in Darmstadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0206

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Vom Bildungswert des Zeichnens

AuS der Astkriltsrede des Rekkors Gehelmen Nats Professor Walbe an der Techu. Hochschule iu

Darmskadk im eiahr 1820.
lSchlutz)


Ls muß de>> Schülern — uud nicht nur den Schü-
lern, souderu nlleu, die daS Bcobachken verlernt
hnbeu, erst wiLder ein Wissen von den Dingen
beigebrachk merden, damst sie wieder das Beobach-
ken lernen. „Demi an sich — so sagt Goekhe — ist
uiibefaiigeiies rechkes Wissen der Beobachkung nicht
hinderlich, vielmehr behaik die alke Wahrheit ihr
Äecht, dasz wir nur Augen und Ohren haben für
das, was wir kennen." Ilnd an anderer Stelle: „Der
Mensch begreifl nur und hat nur Freude an dem,
wns ihm bekannt ist". „Der Mensch sieht nur, was
er meifz und verstehk."

Goethe führt ais Vemeis dafür den Bokaniker an,
der viei mehr an den Pflanzen sieht und einen ganz
aiidere» Genusz an ihrer Schönheik hat, als ein
Uiikundiger.

ES ist begreiflich, wenn i ch das Bauwesen und
die Kunst überhaupt in den Bordergrund stelle.

Für bie B a u k u n st besteht im Bolke das aller-
geringste Berstandnis, die Bauten in Stadt und
Land werden kaum beachtet, man geht nls an ekwas
selbstverstcindlichein an ihnen vorüber. Und warum?
Weil keiner ekwas davon weitz. Es braucht sich gar
nicht um geschichkliche Skile zu hnndeln. Aber man
fragt sich doch vergebenS, warum daS ganze Gebiek
der Baugeschichte dem Bolke verschlolseii bleibrn soil.
Natürlich ist zu ihrer Erkeniiknis ein Wissen nok-
wendig. Ueber die wichtigsten Formen Ler geschichl-
lichen Stile musz man unterrichket morden sein. lisl
ünS abcr der Fnil, so wird man allmählich auch feiner
unterscheiden lernen, und mancher wird in das
Wesen der alten Vauweise tiefer einzudringen ver-
mögen. Man snge nichk, die 2ugend sei nichk reif
dnzu und KLnne kein wahres Berständnis dafür ge-
winnen. Welcher Bruchteil hat denn wirkliches Ber-
ständnis sür die Schönheiken unserer Dichker oder
gar für Zomer? Und doch ist es nökig, dafz sie ge-
lehrl weideii. Und dnS hier gewonnene Wissen wird
sich in späleren liahre» als höchsl sruchlhriiigeiid
erweisen.

Blel wichtiger aber will es mir scheinen, daß der
Mensch die Ligenheiten der in seiner Zeimatüblichen
Vauweise erkennk, dasz er erfährk, wodgrch sich das
Zaus der Heimak unterscheidek von dem Haus des
benachbarken Landes. Daraus wlrd sich eine Fülle
von Beziehungen ergeben für den Zusammenhang
der Bauweise mit der Bodenbeschaffenheit des Lan-
des, mit seiner Oberflächennestalkung. seinem Klima,
seiner Landwirtschafk, der Ligenark seiner Bevölke-
rung. Warum wird im Nied anders gebauk als im
Odenwald, in der Wekterau anders als im Bogels--
berg, warum haben Hler-Lie Dörfer eine ganz an-
dere künstlerische Wirkung als dort?

Das sind Unterschiede, die sehen die wenigsten,
sehen sie erst, wenn thnen durch Unkcrweisung die
Augen geösfnet werden. Und man bedenke, wenn
dies gelingt. welchen llnhalt gewinnk alsdann jede
Wanderung?

Oder man richte die Aufmerksamkeit auf die Kirch-
türme, die man so schön aus dem fahrenden Elfen-

bahnzug beobachten kann. Wie wenige wissen denn,
daß z. B. im südlichen Teil von Skarkenburg die
Türme eine ganz andere Form haben als im nörd-
lichen Teil, im Maintal: in Oberhessen wesklich des
Bogelsberges unker rheinischem Einfluß eine andere
als östlich nach Thüringen zu.

Und wie wichtig ist es, das Gegenständliche eines
Kunskwerkes zu erfassen. Dazu Anleitung ^zu
geben, wäre gerade in der jehigen künsklerisch so ver-
worrenen Zeit von gröjzkem Wert. Der beske Mei-
ster darin ist Goethe in seiner italienischen Neise.

Alle diese und ähnliche Dinge in den regelmäßigen
Schulunkerricht einzureihen, wird nakllrlich nicht an-
gängig sein. Zedenfalls wird man sich gegen eine
Bermehrung der Lehrskoffe mit Necht sträuben. Aber
für die Bolksschulen vereinige inan die Lehrer zu
besondören Kursen, damik sie wenigstenS das zur Be-
obachtung auf diesem oder jenem Gebieke Äotwen-
digske lernen und dieses Missen ihren Schülern wei-
tergeben. llch darf fcrner auf einen Borschlag deS
Berbandes der bildenden Künstler Zessens hinivei-
sen, der dahin ging, mehrere Klassen der höheren
Schulen zu Abend- oder auch Tagesvorkrägen, die
von Fachlcuten mit L i ch k b i l d e r n gehalken
werden, zu vereinigen oder F ü h r u n g e n durch
die Sainiiiluiigeii, cbenfalls unker Lcikung von Fach-
leuten, zu veranslalken — clmaS, was ja zum Teil
schon geschieht. Nur keine eigenkliche Kunstgeschichte,
vor allen Dingen kcine Kunslgeschichle durch Nichk-
fachleuke gelehrt, weil dann der Unterricht gar zu
leichk in ein Aesthetisieren ausarkek. Ilnd das ist
gefährlich. Später, wenn die Iugend herangewach-
sen und gereisk ist, dann ergibk sich der rein ästhc-
tische Genuß von selbsk. Er wird um so vollkom-
mener und sicherer sein, je mehr er auf dem g e g e n-
sländlichen Denken beruht. Dann ergibt sich
auch ein rlchtiges Berhälknis zur Kunst, vielleichk
auch für -den Laien ein Sinn für die am schwersten
zu erfassende, die Archikekkur.

So wollen wir die Erziehung ergänzen im Goe-
thischen Sinne, dafz das deuksche Bolk bei aller Er-
hebung über dle sichtbare Welt diese selbst nie aus
den Augen verliere, daß alles Fllhlen und Denken
auf klarer, nüchkerner Anschauung sich aufbaue.

Man sage ja nichk, wir sollten wieder ein Bolk
der Dichser und Denker werden. Das sind und blei-
ben wir ohnehin. Das ist unser Berhängnis. Es hat
uns viel Zerrlichkeik, aber noch mehr Berworren-
heik gebracht. Wir müssen jeszt werden ein Bolk
mit offenen Augen, ein Bolk der Ar-
beit und der Tat.

Anser Skreben seis in Liebe,

Ilnser Leben sei die Tat.

Fast scheink es überflüssig, vom Nedepult einer
Technischen Hochschule aus solches zu sagen. stch ge-
denke gern der Worte, die vor 12 stahren, als wir
diese Näume einweihten, von eben dieser Skelle aus
der Berkreter der Ilniversitäk tzeidelberg im Namen
alier Ilniversikäken sprach: Er sähe im Geiske llber der
Pforte dieses Hauses wie in Flammenschrifk die
 
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