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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 6 (Juni 1928)
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Frantzen, Wilhelm: Unser Verhältnis zur Kunst, Kulturkunde und Kunstbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0178

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Attser VerMtnis zur Kunst, Kulturkunde und Kunstbetrachtung

Von Wilhelin ^F r c>

ES gibt Wislenlchciftler, die alS Erzieher tcttig
sind nnd ciusdrücklich fesistellen, nuch bcides zu sein.
Wciruin soll es nicht Musilier uud bildende Kiinstler
gebeii, üie duSselbe tun und ciuch beides betoneu!
Die Äufgciben lcissen sich ja tntsächlich in hohem
Mas;e initeinander vervinden. Leider sind aber damit
die Änschauiingen, die sie niit sich bringen, voneinander
sn verschieden, ivirlte» sich in solchen Vegensähen
auf Grenzgebieten aus, üasz es allerdings schwer
sällt, in der Schule von der Heiterkeit einer herz-
iichen Wnhlverivnndtschaft im Geiste zu sprechen.
Lies ineinander eiugreifende Koinpetenzstreitiglieiten
— von preujzischeii Standesfragen soll in diesem
Zusnniineiihnnge nicht gesprochen werden — sind die
Tropfe», die den inanchinal von selbft säuernden
Wein der Erziehungsarbeit ofk ganz verderben.
ginzu lioinntt fiir uns, dajz, wenn der Skreit zwi-
schen Wissenschnfk und Kunst wegen grundsätzlicher
Meinungsverschiedenheiten in einer gemeinsamen
Snche eininnl in Zeikschrifken getragen worden ist,
er sich z. T. als ein Kanipf init ungleichen Waffen
erweist. Dein von Natur nus workgewnndten Ger-
innnisken und Hiskorilier fällk eä nicht schwer, ei»
gehnriiischtes Sonckt so sunlielndcn Skils gegen hen
Kunslliollegen zu schleiidern, datz dieser ineiskens
nchselzuckend versluiuiuk. Sage keiner, dajz das Letz-
kere von cinein bedauerlichen Ntnngel an allgemei-
uer Aildung herrühre, wenn er das bevorrechte Aus-
druckSinikkel ües Liternken und RekhorilierS, daS
Wort, nicht zuin Geineinplatz ninchen will. Musilier
und bildende Kllnstler mllssen sich mik dein Ae-
dauern beruhigen, datz sie ihre tonalen bzw. bild-
hafken Ansichken nicht ins Literarische llbersetzen kön-
ncn, uin dein Gegner gründlich gewachsen zu sein.
Goekhe, dcr falsch verstandene Klassilier impotenker
Philologie, ineink es zwar teuflisch gut nttt seiner
Mahniing sich an Worte zu halken, uin in den (dem?)
Tempel der Gewiszheil einzugehen. Er vergijzt nur,
daß Philologeu allenfalls, Maler, Aildhauer und
Akusilier aber weniger aussichlsreich zu Sophisten
oder Dichkern werden lrönnen. 3>n übrigen gilt
naktirlich auch fllr diese das Wort „wenn es auch
ecnsk ist, was zu sagen, ist's nökig, Worten nachzu-
jagcn?" Lrnst isk cs einein schon. Drum rede man
slillos niit Aernunfk.

Es liegt im Gegcnsatz zu den ezaliken Wisjenschaf-
len iin Wesen der Kullurgeschichke und Kulturliunde
begrlindet, datz sie lrotz aller Aekonung wissenjchafl-
licher Vorurkeilslosiglieik Forschungsergebnisse von
objelitiver Eindeutigliett nichk erzielen lrönnen. ltede
geiskesgeschichtliche Auswerkiing sachlichen Stoffes ist
üer Persönlichlieit des blntersuchenden unterworfen
und erfährt auch wieder persönliche Uinformungen
von anderer Seike. Die Forine» der Welt verändern
sich in dem ewig tätigen Flusse deS Lebens, und auch
der Mcusch !st ein nie gleich bleibendes Gebilde der
Nakur. DieseS Wesen studiertAind glaubt, vielleicht
iinbewutzk, den Herrn zuin Diener niachen zu liönnen.
Aus dein sinnlichen Gekriebe der Dinge und Einp-
findungen, denen der Klinskler sich hingibt und worin
er sich auswirlik, sucht der Wissenschastler die pla-
tonische Nuhe der Nee und des Gesehes.

ntzen, Hannover.

So erforscht man auch Eigenar! und Geschichke der
Kunst „im Wandel der durch daS Wesenlliche einer
Zeikströmung bestimmte» Kulture» der Menschheik"
und versucht, die hier gewonnenen Erliennlnisse einer
allgemeinen Bildung nuhbar zu machen. Man relion-
skruiert nach Pergamenten lebendige Kunstwerlie in
ausgestorbenen Nuinen, wiederholt die anliguarischen
Szenen gewissermatzen als filmischen Ablauf im Ge-
birn: aber statt sich nun an d'er sinnlichen Fülle d!e-
ses Theaters zu erfreuen, von seiner dichkerisch ge-
skalteken Phantasiewelt enkzllckt zu sein, sucht der
Philologe das „geistige Vand" der Dinge. Man macht
Worte, hält Vorkräge, schreibt dickleibige Folianken
und verliebt sich in seine Einbildung der har! er-
kämpften Objektivierung. Man ist natürlich peinlich
llberraschk, vielleicht auch entrüsket, wenn plöhlich
aus einem kaum fllr nennenswert gehaltenen Pro-
blem ein neuer, grotzartiger Geüanke gefunden
wird, der den Entdecker veranlafzt, in einen Streit
mik dem Alten zu treten. K, gegen V, K -j- L — ??.
Aran versehe diese Fragezeichen mik dem mathe-
inakischeii Unendlichkeitszeichen, und die Formel ist
richtig und anschaulich zugleich. Mag ein geistes-
geschichtliches Ergebnis anerkannt werden oder nichk,
so odcr so skelll es sich doch einmal als eine fehler-
haste Sache heraus, die sich öamit den Launen der
Mahrheit als nichk gewachsen crweist.

E i n s e l b st i » e n g e n G r e nz e n sich be -
wegender, abcr schöpferischer Dilek-
kankismus in K u n sk i st l e b e n s v o l l e r
und blühender als e i ne kulturkund-
l i ch e B e t r a ch t u n g d e r K u n st. D a s k l e i n e
Werk i st da, will auch nur üasein, und
gleicht in dieser Anspruchslosigkeit
je»ergrojzenNatur,ausderenAnblick
es enkstanden ist, und v o n welcher es
doch so Vieles trennt.

Trotzdem sich die Kulturkunde äutzerst skark mit
der Kunst beschäskigt, sind sis beide untereinander
doch grundverschieden. Die Kunst ühnelt in ihrem
Organisch-Wachsenden Leben und Nakur am meisten.
Sie ist und wirkt, wenngleich sie auch üurch das
Bewujzksein des Menschen gegangen ist, dennoch in
erster Linie sinnlich, und — das ist das Heiker-Ernste
daran! — sie erscheink dem Forscher wieder umso
problemakischer, je sinnlicher sie sich gibt.

Wns ist dem Künstler denn eigentlich der Begriff
im Work? Ein Verständigungsmiktel im Verkehr mit
der meiischlichen Gesellschafl, ein Hinweis auf die
siniilichen Erscheinungen des Lebens, aber diesem als
eineni körperlichen untergeordnek. Sowie der Be-
griff fllr sich selbsk arbeiket, zur Selbstherrschafk wird,
ohne fatzbare Dinge zu säzaffen, ist er ihm ein
Ilnsinn.

Kunsk isk mehr als Kulkurkunde — weil sie über
die Richtigkeit abgeleiteker Gesehe die Schönheik
sichtbarer, greifbarer und tllhlbarer Formen seht.
„DaS isk kein Veweis!" lächelt der Gelehrte. Hier
hörl die Logik des Denkens auf, Trieb zur Arbeit
und Talsache des kllnsklerischen Schaffens sprechen.

2n der Eilenriede, dem Mald Hannovers, wach-
sen schlanke Buchen, lila—grau und grlln. Die Mege
 
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