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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 6 (Juni 1928)
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Braband, Reinhold: Volk, höhere Schule und moderner Kunstunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0182

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Volk, höhere Schule und moderner Kunstunterricht

Von Neinhol

Ls gibi ein Selbslbildnis von Nembrandk, das
mohl alS eine Ler schönsien und herrlichsten Schöpfnn-
gen deukscher Kunsi bezeichnet wcrden kann. Nicht
nur, dasi uns die Einfachheit und Grösie der Auf-
fassung Vewunderung abnöligt, noch mehr werden
wir gefeffelt durch die Ark, wie wesentliche Ziige des
deukschen Lhar.akters zu einem Typus höherer Gak-
tung geprägt sind. Was kann man nicht alles aus
diesem Kopf herauslesen. Da ist etwas von kampf-
gesäktigkem Leben, etwas von der Ueberlegenheit
und Nuhe des Philosophen und Denkers, ekwas vom
Schöpferwillen des Künstlers, kurz etwas von deut-
scher Seele. Das deutsche Volk isk in seinem Cha-
rakker wesensverschieden von dem anderer Völker.
Zedes Volk hat seine Vorzüge, aber an Tiefe des
Gemütslebens wird es von keinem übertroffen. Es
sei nur an die Ausstrahlungen deukschen Geistes-
lebens in der Myskik, in der Nomantik und im
deukschen lidealiSmus erinnerk. Damik ist aber das
Wesen des Deukschen noch nicht erschöpft. Wir ha-
ben auch einen Vismarck. Wir schauen ihn, wie er
in LenbachS Vildnis für die Nachwelk weiteriebt als
der Held, als der Mann der Tat. Der Deutsche gilt
im allgemeinen alS unpolitisch, was im Vcrgleich mit
den wesklichen Völkern nuch so scheinen mag. Dem
ist aber nicht so. Polikische linstinkle und staaksbiir-
gerlichc Fähigkeilen sind wohl vorhanden, nur sind
sie durch falsche Erziehuiigsinasznahinen und Uebcr-
betonung des Wissens verschütket worden.

Zn -den beiden angeführken Bildnissen wird uns die
ganze Fülle der geistigen Kräfke und schöpferischen
Anlagen gezeigk und durch künstlerische Mittel zur
lebendigen Anschauung gebrachk. Der Künskler er-
sä)aut das Genie, die vollkommenste Form mensch-
liche» Seins, wie sie aus dem Volke heraus geboren
wird. Daraus folgt, dast in letzterem alle Eigenschaf-
ken, die in einem llndividuum zur höchsten Entfal-
kung kommen, lakenk vorhanden seln mllffen.

Vetrachten wir nun die Physiognomie des deutschen
Volkes in der Gegenwark, so will dem unbefangenen
Beobachter scheinen, dah die edleren Kräfte und An-
lagen durch die Nöke der Zeik verkümmert sind. Er
siehk ei» Geschlecht, innerlich zerwühlt, zerrissen, mit
dem Gefllhl der Leere bis auf den tiefsten Grund
der Seele, ohne jede Harmonie des Ausdrucks und
der Gebärde. Er sieht, wie sich diese inneren Zu-
stände auswirken in der Politik, in der Kunst, im
wirtschafklichen und religiösen Leben. Er siehk, wie
das Volk in dieser Nok den rekkenden Anker nichk
wirft in die Tiefen kosmischer Verbundenheit mit
den ewigen Merken, sondern wie eS sich verankert
in den seichten Gewässern einer materialistischen Ge-
sinnung und Lebensauffassung... Dieses Pläkschern in
äuszerlichen Genüssen und Oberflächlichkeiten, wie
es durch das verflachende Kino, durch übermätzige
Genuszsuchk, eine die Sinne reizende Literakur und
überkrlebene Sporlfexerei in die Erscheinung krikk,
isk charakkerislisch für den heutigen Menschen. Das
sind die Werke, die ihn erfttllen.

d Braband.

Diese Betrachkung lsl vlelleicht elwas zu pessimi-
stisch gefärbt, immerhin zeigt sie ein negatives Lr-
gebnis. Das Volk ist, so lehrt es die Geschichke, ein
Nichts, eine Null, die dann nur einen Wert be-
kommt, wenn eine Zahl davor gesetzt wird. Wo
aber sollen diese Zahlen geprägt werden, wenn nicht
in der höheren Schule?,

Auch wir als Kunsterzieher müssen mit Vetrübnis
festskellen, datz künstlerische und ideelle Werte keinen
hohen Kurs haben. Weil das nun so ist, müssen y)ir
uns unserer gröjzeren Aufgabe bewutzt werden, sie
tiefer durchdenken, und mit Freudigkeit an ihre Lö-
sung herangehen.

Die durch die Zeitlage der höheren Schule gestellte
Aufgabe sei in ein paar Sätzen umschrieben. Sie
wird in ihren Erziehungsmatznahmen vom Geiste
des Christentums wahrhaft durchdrungen sein und
auch dem Elkernhaus die Erziehung als einer Vor-
bildung für das ganze Leben mit groszer Eindring-
lichkeit vor Augen stellen, dem materialist'schen Sinn
durch Weckung der Kräfte des Geistes und des Her-
zens enkgegen arbeiten und die Pflege der Fröm-
migkeik als Grundlage alles wahren Menschenkums
fordern.

l!n dieser Gesamkaufgabe sind wir alS vollwertige
Faktoren miktälig eingeschlossen, wie es die neuen
Nichklinien für das höhere Schulwesen deutlich ge-
nug erkcnnen lassen, indem hier der Gedanke der
künsllerischen Lrzichung austauchk. Es ist eine be-
freiende Tak, dast dic Kunstfächer, besonders das
Zeichnen als Kunstunterricht aus seiner Winkelstel-
lung heraus mitten in den Gesamtunterricht hinein-
gestellt worden sind. Diese Wenöung haben also die
neucn Nichklinien herbeigefllhrk. And wie ist das
gekommen? Als der Neinbraiidtdeuksche vor cinem
Menschenalter dic lldee der künstlerischen Erziehung
in das Volk warf, da haben die Besten des Volkes
sie aufgegriffen und in Kunsierziehungstagen weiter-
gepflegk, bis wir nun etwas Vreifbares in diesen
Nichklinien vor uns verwirklicht sehen. Das Schlag-
work „Arbeitsunterrichk" kaucht auf. Unker dieser
Flagge wird viel experimentiert, zum Schaden des
Unkerrichts. Der kiefere Sinn der Aichklinien isk
wohl der, dast der Schwerpunkt vom herrschenden
clntellekkualismus nur verschoben wird nach der
Sphäre des Willens, vom Wiffen nach dem Können.
Nichk Nezeption und Denken allein bestimmen und
beherrschen den Unkerricht, sondern auch die andern
Vezirke des geistigen Lebens, wie die schöpserischen
Kräfke, die Phankasie und das Gefühlsleben sind in
gleicher Weise zu beachken. Die höhere Schule wird
nichk mehr eine Lernschule sein, sondern eine Schule
der Ausdruckskulkur, und zwar des sprachlichen, des
kllnstlerischen unü des körperlichen AuSdruckS.

Die Aufgabe, die dem Zeiäzen- und Kunskunter-
richk iiii Gesamkorganismus der Schule zufällk, isk
folgende:

Bildhafkes Gestalken der in Deutsch, Literakur
und Geschichke erarbeiteken Skoffe, sowie auch der
Vorstellungen, die durch Beobachtung der Natur ge-
 
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