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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 9 (September 1928)
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Zondler, Otto: Köpfe schnitzen aus Kartoffeln: Unterrichtsbeispiel für die Quarta
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0300

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Köpfe schnitzen aus Kartoffeln

(UirlenichtSbeispiel für Ne Quarla). Von Olto Z o ir ö l e r - Stukkgart
(Vgl. die Abbildung der Beilage.)

Wer eimiiat deir Skeiiipeldruck uiil Kartolfelsteiii-
pelii' eiiiigeführt hat, der weist, dasz die Buveu und
Mädchen nebeicher versuchen, allerlei andere For-
inen: Gegeirstände, Tiere, Figttrliches aus den Kar-
loffetn herauszufchnrhen, atso nicht einsach blost ein
Werlizeug zuin Steinpelin Sie haben näinlich er-
fahren, dah dieser „Werkstoff" sich so leicht bearbei-
ten lästk, viel teichter z, B. als Holz. Warmn soll
inan also nicht einnial frischiweg eine plastische Forin
ans der Karkoffel herausschnitzen?

Was etwa? Seht euch doch ei-ninal so eine richtige
Kai'toffel genau an: was hat sie für eigentüinliche
Beuten nnd Bnckel, für inerliwlirdige Löcher, darin
die „Augen" sitzen! Äch, öas ist ia beinahe schon ein
fertiges Gebilde: Ein Kopf init Mundspalten, Augen-
höhlen, Schinisseii, Baclien, Beulen und Borsprüngen.
Wie ein richkiger derber Aanecnschädel sieht fo eine
Kartoffek aus, tllcht-ig verpr-ügelt nach einer tollen
KirchweihWachk, -La wird 'ni'in-iner vie-l dran szu
inachen fein. Die Phantasie ist -schon lebendig- ge-
worden und sieht allerlet Köpse aus der unsörmigen
Karloffel init HEfe ei-nes handlichen Tascheninessers
entsl'ehen. Und die schöne branne Laut: vielleicht tätzk
fie sich geschickt benützen? — Wenn sie weg, ist,
lioinint eine aiigenehine gelbe Fleilchfarbe zuin Bor-
schein: da habLn wir ja schvn etne prächtige Gesichts-
farbe. Setzen w-ir dann nachher noch einige f?ar-
ven dazn, so eiit-stehen verinutlich ganz seine Sachen.
Wer gefchickt ist, benützt die Forinen der unbearbei.
keten Karloffel.

Ei-ne Borhesprechung in diefer Meife leitet die
Arbeit ein. Manche Borschläge sind zutage gekoin-
men, Manchein sah ich an, wie er's kauin „verheben"
kann, wie wir Schwaben sagen: „stch weitz schon...
Aber ich sag nichts, ihr werdek's schon sehen!" Das
Ziel wtrd nocheininal forinuliert: inerk-würdige Köpfe
sind zu- schnitzen.

Mik Eifer gehk's an die Arbeit. Die „Späne" flie-
gen. 2» liurzer Zeit sind einige fertig. Die ersten
Erfolge und Mitzerfolge zeigen sich: ein paar Köpfe
siiid ganz übel zugerichtet, -ganz verfchnitzk. -^as inaait
aber nichts, inan hat noch inehr Karlosseln iin Bor-
rnk und iin iiahen Konfninlnden giblS uin ein pnnr
Pfennige ein ganzes Psund. Mnn inerkl schnell, wie
diese Ärbeit lhre Besonderheilen tzat: inik dein Ales-
ser lassen sich tn diesein Fleisch nur grotze gerade
Flächen schneiden, senlrrechte liantige Vertiefungen
ausschnitzen, Auiidungeii sind beinahe uninöglich: das
Fleisch brichl! ans. Mit Ton oder Holz ist anderS zu
arbeiten. 2eder hak uniiiitkelbar die Sprache von
Merkzeug nnd Merkstoss ersahre». Die Besonder-
heit dieser Sprache koininl dein Einzelnen noch niehr
znm Be-wutztsein, wenn er auch andere Techniken
erprobk hak: Ber'gile'ichsinöglichkcit!

Es ift in mehrsacher Hinsicht sür den Lehrer wich-
tig iin-d Interessank zu beobachten, wie die Schüler
bei -der Arbelk vorgehen: der eine versährt ganz
primltiv: eine Ark Zeichnnng wir-d inik Kerbschnitt'-
linien In die Obersläche der Knolle eingeschnihk: die
ursprllnglichste Form des Flachreliefs. Ein anderer

gehk weiter: er schneidet an Stelle der Nase ein
kiefes Loch hinein, der näWe geht ebenso voc, setzt
aber in dieses Loch ei-ne „rlchkige" N-afe ein, so ec-
scheinen alle -Formen von Flach-, Halv-, Hochrelief
bis zur Bollplaftik, die teils einsach blockmäsng, leilü
stark differenziert anfkrikk und lm fetzteren Fall das
deutliche Bestreben zeigt, eine „natürliche" Form zu
erreichen.

Die fertigen- Köpfe marschieren vorn an der Tafel
auf einem Brett auf: einer lnstiger wie dec andere.
Doch mützten sje besser sichtbar sei-n. Die Buben sind
erfinderisch: sie schleifen allerlei „passende" Gefätze
herbei, die früher einmal ftun-denlang abgemalt wur-
den: daranf werden die Köpfe gesetzt: sind nichk Kopf
und Antersah wie fttr einander geschafsen? Sehk -nur,
wie jener „Geheimcat" dork rechkS niit viel Wllrde
aus seinem M-antelkragen vorsieht. Der grimmige
Tenfel daneben init seinem zerkcahten Fratzengesicht
patzt ganz gnk auf diesen derbe-n Untersatz. D-atz die
Lörnchen so äriiilich zusaniinengeschrnmpft sind, daS
kommt natllUlich von hölli-scher Hitze. Wje guk sitzl
daS leichtsinnige Kerlchen in der Milte auf dem
eleganten Krllglein. D.anebLii links e-nldeckt ihr einen
wifften Grobian und Freszsack, harmloser ist daS
Spieszerlein- daneben oder -das Teuselchen auf langem
Hals. An der linken Flanke sitzk dann nocheinmnl
ein ganz gefähillicher Bösewichk und -rechts von der
Mitte, grad neben -dein luistigen Ker-kchen ist der
grauenvolle Tod zu erblicken. Ei-n Leichenklei-d haben
ihm die Buben u.mgelegt und der eine Zipfel ergab
eincn energischen Ärin. iAns -P'appdeckelistückchen,
Karkoffelresten, Skricknadeln wurden Kopsbedecknn-
gen hergestellk und befestigt.

Die Farbe ducste auch nichi sehlen. Die Auben
machkeii die Erfahru-ng, dajz auf dem Kartosselsleisch
die Farben ganz anders wirken wie -aus Lem weitzen
Papier des Zeichenblocks: sie Peszen sich tei-lweise inil
dem gelblichen FleiWon fo schön zusainmenstiniinen,
sie zerflossen so sein an den Nändern. Zu viel Far-
ben ware-n lange nichk fo wlrksain wi-e einige wenige,
wie dunkelrot, schwarz und blau.

Wenn maii die ferkigen Köpfe nebeneinander siehl,
so ist inan erstaunt iiber die Fülle und Berschieden-
arkigkeit des Äiisdrucks: vom harmlosen „nalüclichen"
Gesichtchen bi-s zur schrecktichsten Fratze sind alle
Möglichkeiten verlreten. Es ist nicht schwer, in der
Schluszbesprechung mik den Sch-ttlern diejenigen Köpse
herauszusinden, die stark im Ausdruck sind und krotz-
dem -die Klarhei-t einheitlicher Geflaltung nichl ver-
loren, bzw. gewo-nnen haben. So berühren wir daS
wesenlliche Prvblem ailen künsllerischen Schassenü
überhaupt, und wenn anschliejzend Erzeugnisse exo-
tischer Kunst (afrikanische Negerplasliken z. B.) im
Bilde gezeigt werden, so bin ich sicher, -datz ein un-
mittelbares Berhälknis zu ihnen erreicht ist. Zu den
Werken dieser Stufe künstlerischen Schasfens vlel
eher, als etwa zu griechischer oder Nenaissancepl-aftik,
weil sie einer ähnlichen Stufe i-n der künftlerischen
EnVwicktuiig des Mensäfen entsprechen (biogenetisches
Grundgesetz, Gusiaf-Britsch-Theorie!)
 
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