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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 7 (Juli 1928)
DOI Artikel:
Klauss, Otto: Zur Psychologie des plastischen Gestaltens im Kunstunterricht: ein Beitrag zu der Frage "Versiegt die Gestaltungskraft mit dem Eintritt des jungen Menschen in die Geschlechtsreife?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0208

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elne Klärung vsychologischer Fragen des plastlschen
GeslallenS hervelftlhren sollke. Sie wurde angeregt
üurch den In Heft 3 dleses 3ahrganges abgedruckten
Aufsah von G. Kolb: „Versiegen die Phantasie- und
Geskallungsliräfke mit dem Eintritt in die Geschlechts-
reife?"

Äls Aufgabe zur Veleuchtung dieser Frage von
üer Seike des plastischen Geskalkens her wurde den
Schülern aller beteiligken Slufen wieder dle Auf-
gabe „Phankasiekiere" geskellk, die dork eine Lösung
in der Schwarz-Weiszgeskalkung fand. Dieie Wieder-
holung war nicht ohne Absicht. Eä isk nolwendig, zu
sagen, dajz bei üev Ausführung dieser Arbelt der
oben angesührte Vegriff des Plaskischen nlcht unter
allen Ilmständen angestrebk wurde, weil vor allem
der PhankasIe Im Schüler der Weg frei gemacht
werden sollte, die durch die Gesetze des engbegrenz-
ken vlastischen Aegriffs eine Lemmung erfahren hätte.
Auch hier sollte autzerdem nochmals die Frage der
freIen Pahnlasie* angeschnitken werden, weil ge-
rade tie gemeint ist, wenn von „nakllrlicher Nückbil-
dung' gesprochen wird.

'' Wir wissen, datz die formende und geformke Phan-
tasie vor allem die Erfindung phankastascher
Tiere eine besondere Eigenschaft deS gokischen
GestallungswillenS war. Ein Verglelch mit den
Lösungen nnserer Schüler wlrd auch dem von
der „plaskischen" Gestaltung nicht ganz Vefrle-
digken zeigen, datz das Selbskgeskalten solcher
Skoffe dem Schüler die Möglichkeit gibt, dem We-
sen und liünsklerischen Geisk der in gotischen Wasser-
speiern, Tlergroteslcen und mykhologischen Frätzen
nledergeiegken Geskaltungsüräfke näherzukommen. Zu-
dem gilt yier das Wort Ed. Sprangers a. a. O.:
„Wenn die sungen Menschen im äutzeren Schaffen
hinker den strengen Forderungen „wahrer Kunsk" zu-
rllckbleiben, so ernken sie dafür mit ihren Träumen
und Phantasien ekwas in sich selbst, was dem Real
noch näher kommk". Die weitere Festskellung dieses
erfahrenen Zugendpsychologen, datz üas Ausdrucks-
miktel und das Sachgesetz der ausdruckkragenden
Phantasiegegenstände dem freien Bilden der inneren
Erlebniswelt den geringsken Wlderstand entgegenset-
zen müsse, um den Hugendlichen zu veranlassen, sich
auszusprechen, lietz wahrscheinlich erschelnen, datz der
gefügige Modellierton diese Eigenschaft mehr besitze,
als Zeichenskift und Papier. Er ermöglichk tatsäch-
lich eine unmikkelbare Ilmsetzung des körperllch Äor-
gestellken ins Körperliche und die Umdeukung des
Tastgefühls (beim Figürlichen des eigenen Körper-
gefühlS) ins Plnstische. Modellieren erforderk so
wenlp Technik, datz dieseS Gesknlkungsmikkel dem Aus-
druckskrieb kaum heinmend enkgegenwirken kann.
Der Zwang der Ileberkragung von Körper.- und
Naumvorskellungen in die Fläche fällt weg und da-
mit alle für den Schüler schwierigen Ausgaben der
Äerkürzungen. Tatsächlich lehrt die Erfahrung, datz
die Schüler aller Skufen sehr gerne modellieren und
sormen. Das Abskerben deS Form- (und Bau-) trie-
hes, von dem Spranger im Zusammenhang mit dem
Obenangeführken sprichk, ist sicher im wesenkllchen
eine Folge verpatzker Ausdrucksangelegenheiken unü

* üd. Spranger, Psnckologie deS'MWidaltersi .Es ist ein
lliilcrschied, ob die Pbliiitosie stch ciiies real gegcbcneii i»id gegen-
wartigcii SrlcbiiiSstosses iimdeilleiid beiiiöchtigtlgebiiiideiie Pban-
tasie), oder ob sie gleichsam iu deu leeren Naum eiuer iiiiagina.
tlvcu Welt die sreien Erzeuguisse der Iunerlichkeit hiuauSstrahlt
(sreie Phaiitaste)." rlntersuchiingeu in der Richtuug der g-buiidcnen
Phantasie mühten ebensalls reichen Stosf sür unsere Frage liesern.

noch mehr die sichere Wirkung des Lächerlichmachenl
solcher „Kindergacicnarbeit" durch verständnislvse
Erwachsene oder blasierle Kameraden.

Nach diesen zum Äerständnis der Abbildungen not-
wendigen und gcundsätzlichen Auseinandersetzungen
soll nun über methodische Einsührung, Veobachtun-
gen und Erfahrungen bei der Aufgabenstellung und
während deS Arbeitsvorganges berichkek werden, um
dem Vekrachker eigene psychologische Schlutzfolgerun-
gen zu erleichtern.

Vei der Einstimmung wurde vom Lehrer zunächst
das Mort „Phankasie- oder Fabeltiere" absichtlich
vermieden, üa es galt, den Schüler von allen Zwangs-
vorstellungen Irgendwelcher Art frei zu machen, und
nur an seine innere Erlebniswelt und die innere Er-
fahrung sich zu wenden. Wichtig war für die Unker-
suchung vor allem den Stärkegrad der Einbil-
dungskcaft der jeweiligen Stufe feskzustellen. Man
verskehk unter EinbildungSkrafk die Fähigkeit, mehr
oder weniger zusammengesetzte Äorstellungen frei
zu erzeugen, „einfache Elemenke der sinnlichen Mahr-
nehmung" zu neuen Äorstellungen von einheitlichem
Gepräge zu verknüpfen. Am dieser neubildenden in-
neren Kraft einen Nichtungsantrieb zu geben, der
gleichlaufend wirkte mit der Neigung und dem
Eigenankrieb der Alkersstufen wurde dle Aufgabe auf
jeder Stufe enkfprechend abgewandelt. Die Gestal-
kungslust wurde dadurch gehvben, und dlese vermeint-
liche Vindung gab dem Schlller dle innere Frelheik,
die ihn zur Selbskbefreiung gelangen lietz.*

3n der Quinka bot üer 1. April Gelegenheit, den
Spokkvers: „April, April, April, du grotzes Krokodil"
zum Ausgangspunkt der llnke«ichtsstunde zu neh-
men. Dir Schüler erkannten rasch, datz das Krvkodil
eben die Dummheit des Aprilenopfers bildlich aus-
deuten solle, datz man aber nicht notwendig dabei an
das Kcokodil im Nakurgeschichtsbuch denken müsse.
Das Aprilenkrokodil mutz ein Tier sein, daS
die hervorstechendsken Merkmale aller dummen Tiere
sein eigen nennt. Es mutz dumm aussehenl Dumm
vielleichk wie ein Ochse (Augen, Hörner) oüer wie ein
Esel (Ohren, Schnauze), es kann Glohaugen haben
wie eine „aufgeblasene" Kröte, wakscheln wle üie
dumme Enke, belämmert skehen wie das Schaf. Äor
lauter Dummheit wachsen ihm Geweih und Hörner,
„es reitzt Maul und Augen auf und streckt im Zorn
die Zunge raus"! Aber — es mutz leben können!
sirgenüwo in der Wllste, im Ilrwald, vielleicht wle
die Drachen im Gebirge. Datz das ein Fabelwssen,
ein Phankasietier werden wird, wutzken die Schüler
jetzt alle. Ilnd datz dieser „Dummrian" unker den
Tieren ein einfälkiger Geck isk, der „lächerlich farbig"
sein mutzke, war für alle selbstverständlich. Gerade die
Aussicht auf das nachherige Bemalen bildeke einen
Haupkanreiz zur Lösung der Aufgabe.

3n der Oberkerkia hatken wir schon allerhand Kari-
kakuren und Fratzenköpfe gezeichnet, eine ganze An-
zahl dieser Schüler neigke von vornherein zur Dar-
skelluug des Grotesken. Die Anregung nun einmal
KarikaturenvonTieren zu machen und noch
dazu in Ton wurbe darum gerne aufgenommen. Nach
kurzer Besprechung hatken wir die Tlere herausge-

* Pdols Hildebrandt! »Ich lehe immer deutlicher, wie nlle
Phantasts init einer gegebeiieu Siniatioii rechneii inuj), um gauz
real zu werden" — »weil soust die Unbeschränkibeit der Phantaste
dte Richtuna nimmt, und weil der dirckte Lebensanschlust sehlt,
welcher die Kunst als eine natürliche Konsequeuz erscheinen lätzt.'
(Briese an K. Fiedler.)
 
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