Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

DOI Heft:
Heft 8 (August 1928)
DOI Artikel:
Boger, Emma: Wie dient der Zeichenlehrer der Mädchenbildung?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0258

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
WWSMS 211

perspMivilche Zeichnen schon genug, wenn dle
Müdchen nicht selbst Lust haben, sich an schwierig
gestalteken Körpern zu erprobein

Dagegen sollte viel Zeit auf das ornamentale Ge-
stalken verwendet werden. Da haben die Mädchen
eine starlie naliirliche Begabung, besonderS ihr aus-
geprägler Farbensinn lioinml ihnen hier zugnte. And
iin Leben brauchen können sie dieses Gestalten auch.
Wenn ein junges Mädchen heutzukage eine Zand-
nrbeit machen will, liauft es meistens enlweder einen
Sloff, auf dem ein Aiiister vorgezeichnet ist, oder es
nimiiit eine Vorlage aus einem Landarheilsbuch.
Diese Vorbilder sind ost schlechker als das, was das
Mädchen selbst enkwerfen lrönnle. Die Bilder von
Zehnjährigen sind manchmal von so hohem orna-
menknlem Neiz, das, sie in einem Ätuseum hängen
liönnken, wenn sie nur elwa Sädseebewvhner ge-
malt hätken. Mie liommt es, dasz die wenigsten er-
wachsenen Mädchen mehr eine solche Fähiglreit zei-
gen? Auch ihr drohk eben Gefahr, sowie daS Kind
die Mirlilichlieit wiedergeben will. Da sieht es nichk
die Farben beieinander, die seither seine Vilder
schiniicliken, und wenn der Lehrer es versüumt, neben
dem Lischeinungsgemäßen Darstellen die ornamen-
kale Vegabung zu pflegen, liommt sie in späteren
llahren schwer noch zur Gelkung. And doch ist es so
wichlig, üatz das Schmuclibediirfnis der Mädchen
die rechken Vahnen sindek.' Deshalb sollie mnn sie
j» der Schule womöglich nichk nur mit dem Pinsel,
sondern besonders auch mik der Nadel arbeiten las-
sen. Freilich reicht es in den zwei Zeichenskunden der
Moche nicht viel und es wäre gut, wenn an den
Mädchenschulen auch der Werlliinkerricht eingeführt
wiirde, der nn vielen Kiiabenschulen besteht. Damit
liönnle man den Mädchen einen groszen Dienst er-
weisen.

Zier liönnlen sie nach Herzenslust ihrem Schinucli-
bediirfnis Geniige kun und Kissen und Declien ma-
chen, aber nach eigenem Enkwurf. Die Im „Hand-
arbeiken" erlernle Technili liönnen sie hier verwer-
ten. Nlan halle sich aber an möglichsk einfache Tech-
nilien, die Schönheit einer Arbeik hangt ja nichk von
ihrer Schwieriglreit ab; das miissen die Mädchen
auch einsehen lernen. Nakürllch musz bei aller Ein-
snchhell snuber gearbeitek werden. Tluch Puppenlilei-
der sollen die Mädchen machen. Das ist liein müsziges
Spiel, wenn diese Kleider zweclrvoll nnd schön wer-
den, hak das Mädchen auch sür sich selbsl etwaS ge-
wonnen. Aehnlich wie seine Puppe wird es späker
selber gelileldel sein.

Vei solchen Arbeiken sindel der Lehrer leichl Ge-
legenheil, auf die richtige Verwendung eines Mate-
rials aufinerlisam zu machen, oder nuch auf die
Zweclimäsiiglieit einer Arbeit, damit die Mädchen
nichk wieder die nlken Fehler machen, ein Vor-
hänglein vor die Abkroclienlücher oder elnen Topf-
lnppen z» 'b.esticken. Der Weiliiiiilerricht livnnie
aber noch viel Wichligeres erreichen.

Menn man einen Gelehrten in einer grauen
Stube voll staubiger Vücher sihen sieht, so findek man
daran nichks Schlimmes svndern denlik, dasz das bei
seiner Arbeik in der Ordnung ist. Aber wie änderk
sich unsere Einstellung, sobald wir uns eine Frau
in solcher Ilmgebung denlien! Was beim Mann so-
gar ein Lob sein lionnke, wird hier zum Tadel.
Denn das Nakürliche fiir die Frau ist, dasz sie ihr
Leben ln den Diensk von Menschen skelll und nlchk

von Dingen, und das will man auch Ihrer Umgebung
anspüren; da sollen sich die Menschen wohl filhlen.
Das Zimmer einer Fra» soll sein wie sie selbst. Nicht
die bewußk „persönliche Note", der man die lrünsk-
liche Mache nnmerlit, möchte man da spüren, son-
dern den natürlichen Ausdrucli ihres Mesens.
Eigentlich sollte es selbstverständllch sein, dasz die
Ark eines Menschen sich nicht nur im Gesicht und in
den Bewegungen zeigt, sondern auch in der Klei-
dung und ganzen Amgehung, besonders bei der Frau,
die unmittelbar mit ihrer gnnzen Persönlichlieii zu
wirlien berufen ist. Aber die Mädchen finden zwar
oft in der Kleidung den natürlichen Ausdrucli, aber
nicht in ihrer Umgebung. Und doch haben sie das
Vedürfnis, ihr Zimmer schön zu machen: nur fin-
den sie nichk den rechten Meg. Da werden wohl mik
liebender Sorgfalt Kissen geskickt und Decken und
Deckchen ausgebreitek. Aber das alles tui's nicht,
das Ganze wirkt kleinlich, uneinheitlich, wohl gar
geschmacklos. Vielleicht ist aber sogar alleS Einzelne
schön, Voden und Tapeten, Vilder und Möbel, aber
jedes nur für sich und nichk in Veziehnng auf die
andern. Die Kunst ist, die Einzeldinge zum Ganzen
zusammenzuschlieszen. Aber das verskeht fast nie-
mand und öoch wäre es so wichtig. Darum sollte auch
der Lehrer hier zur Besserung helfen, soweit er
kann. Er könnke vielleichk schon ekwas erreichen,
wenn er nur einmal irgend einen Rnum aufmerk-
sam bekrachten läszt und dann mit seinen Kindern
llberlegt, wie denn der Schrank in der andern Ecke
aussehe, und ob unü wo ein Bild an die Wand passen
würde, und welcher Ark das sein inüszke. Womög-
lich sollten die Mädchen auch ihren Schulraum mil
der Hilfe des Lehrers selbst schinücken. Aujzerdem
jollken sie im Werkunterrjcht ihre Puppensluben sel-
ber machen dürfen, die würden viel schöner nls der
geschmncklose Prunk der Läden. Da liann dann das
Mädchen selbst die Farbe der Wand bestimmen, den
passenden Teppich machen und MLbel nach eige-
nem Geschmack zimmernk die verschiedensten Nlög-
lichkeiten kann es ausprobieren, und bei dieser sröh-
lichen Arbeit gehen gewisz manchem Mädchen die
Augen auf für das, auf was es ankommt.

Auszer im Werkunkerricht hat der Lehrer noch
eine Möglichkeit, auf eine Besserung in dieser siir
daS Volksleben so wichkigen Sache hiiizuwirken,
näinlich in der Kunstbekrachtung. ES ist schade, dasz
nach dem neuen würkt. Lehrplnn die Kuiisigeschichl-
siunden an den Mädcbenrenlschulen wegsallen. Sel-
ten sind die Mädchen so ganz Auge und Ohr in der
Schule wie hier.

Die Schule will ja die jungen Menschen mit den
Gükern unsecer Kultur verkraut macheu, und wenn
in diesem Veskreben Mqjz gehnlten wird, isi es be-
rechiigk. 2ch glaube, das; die Mädchen zu keinem
unier diesen Giilern leichleren Zugang sinden als
zur Kunsk, dem unmiikelbarsieii AnSdrucli mensch-
lichen Wesens. Um wieder in uns lebendig zu wer-
den, verlangt sie ein skarkes uninilkelbares Einftth-
liingsvermögen, und das ist gerade die starke Seiie
der Mädchen; darum liann die Kunst auch einen
hohen Bildungswert für das Mädchen haben. Frei-
lich genügk das Einfühlungsvermögen nicht allein.
Zum Verständnis einer Dichtung ist nichk nur der
Znhalt an sich, sondern ebenso die Form, die ihm
gegeben wurde, wesenllich, und so ist es auch bei der
bildenden Kunst. Zur Form kann man aber rein ge-
 
Annotationen