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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 8.1928

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Heft 8 (August 1928)
DOI Artikel:
Lindemann, Reinhold: Wege zur bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.27998#0266

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219


sehen, ein Ton Musilr, der irgendwann an unser Ohr
aedrungen — längst mögen ivir das all vergessen
haben. Aber plöhlich, in Augenblicken des Glücks,
des Leids oder jenen Stunden der erhöhten Span-
nung, wenn uns der Sturin des Lebens grausam
paclik, wird das scheinbar spurlos Bersunkene wie-
der wach und neu lebendig. Der Held eines Dichkers
beslimint dann ofk als geheimes Vorbild nnsere Tn-
ten, Musilr reiszk die Gedanlien zu Enkschltissen fort,
Erinnerung an irgendeine Melodie wird lindernder
Balsain der Seele, und in dem entziickten Blick
auf dle Schönheit der Welk ersteht ein Sklick von
jenein Enkzllclien wieder, das irgendeln großer Mei-
ster ln der Farbenglut seiner Gemälde elnmal un-
vergängllch geformt.

Mehr als wlr glauben wollen, steht unser tägliches
Leben im Aanne der Kunsk: die Ktinskler sind in
vieler entsä-eidender Zinsicht unsere Bildner und
Erzieher. Durch tausend ungreifbare, uiienkwirr-
bare Fäden hängk nnsere Ark, die Melt zu sehen
und zu erleben, mit ihnen zusammen. Kann es da
gleichgtilkig sein, welchem Ktinskler wir uns anver-
krauen, glelchgtlltig, wenn uns oft Unliunsk, Schund
oder Kiksch als edle reine Kunst geprlesen werden?
Geminnt von hier cius nlchk die Frage, die so mancher
stellt: lla, was ist denn nun eigentilch wahre Kunst,
waruin Ist dies ein gukes, jenes ein schlechkes Bild?
erhöhke Schmere und Vedeuksamlieik?

Frelllch — elne elndeulige, allgemeinglllklge De-
sinlllon von Kunsk und Anliunsl gibt es nlcht. And
selbst, wenn eS elne solche gäbe, so wlirden sich doch
bei der Anwendung In jedem besonderen Fall kausend
neue ungelöske Probleme erheben. Auch nllgemeine
liunstlirillsche Gesichkspunlike, wie Stllrelnheit, Slil-
losiglielt oder SMverwlrrung, filhren nlchk wesenllich
weiker. „Mle denn llberhaupt Knnst nlchl ln irgend-
einem dlllgeinelnen — nenne man es Skil oder wie
lminer — in Erschelnung trllk, sondern nur im ein-
zelnen Merki. Dieses aber gualikakiv zu bestimmen,
ist fllr den Erlilärer das Problem der Probleme."
lWölsslln.)

Eine lehke BekrnchlungSwelse bleibt, die vielleicht
in dem Dunliel, das uns hier umfängt, schrlkkweise
ekwas Llchk verbreikek. Nämlich: Das geheimnis-
volle Leben, das auf wunderbnre Ark anf einen
Fehen Leinwnnd gelangt und anf glelch wunderbnre
Art in uns neues Leben enkzllndek, ist jn iin Grunde
nichks anderes, als der Geist des Kllnsklers, der im
Merlie wnlkek. Hlnker dem Kunskwerli, dem Geschnf-
fenen, slehk dle Persönllchlieit des Schaffenden. Lehk-
lich Isl jedes Merlr von seinem Schöpfer nlchk zu
krennen: es ist nokwendige Aeuherung selnes Me-
senS, höchskeS Dolttiinenk seines Menschenlums, dem
nlemals blohe slllliriklsche Kennerschaft voll gerechk
wird. Kunskmerkie sind Taken, die wle alles Tun
auch einer ethischen Merkung iinkerstehen. Aeslhe-
lllr, die nlcht zugleich auch ekhische Schähung wäre,
gibk es nlchk, oder sollke es nichk geben. Folglich:
Wer gleichsam mik den Augen eines erfahrenen
Menschenlienners die kausend verschiedenen Werlie
der Ktinskler immer nur als besondere Aeuszerungen
Ihres besonderen Menschenkums zu bekrachken ver-
möchke, so wie man slch ans Workeu, Vllcken, Gesken
und Tnke» ein ungefähres Mesensbild seiner Freunde
und Belrannken machk, der wlirde nach und nach
auch in Dingen der Kunst das Mahre, Echte, Große,

— kurz: die Meisterschafk von ihrem Gegenteile
unkerscheiden lernen.

So gesehen weist jedes Kunstwerk von dem blosz
Aeuszerllchen, dem Aeiz der Makerie, dem nur den
Sinnen schmeichelnden Spiel der Farben und For-
men auf seinen mükterlichen Arsprung, den Men-
schen, der dahlnker skehk, zurlick. Die Ehrsurchk, die
wir vor einein groszen Werke haben — haben soll-
len! — wird zur Ehrfurcht vor seinem Schöpser.
Das menschliche Ekhos, die Gröhe und Aeinheit der
Persönlichkeik erweist sich auch hier als letzter äskhe-
kischer Mertgcad.

Dnsz wir überall da, wo es sich uin ganz grotze,
wirklich überragende Kunskerscheinungen handelt, tak-
süchlich mik derartigen, eigentlich „außerkllnstleri-
sä)en" Maßstäben messen, mag ein Belspiel lehren.
Nehmen wir gleich ein grojzes, ganz groszes: Äem-
brandt. Wlr bewundern nichk hier einen Beleuch-
kungseffekk, da ein Farbenproblem, dork eine geniale
komposikionelle Erfindung in seinen Bildern, lieben
nichk den Bürgermeister Six oder die Vakhseba oder
den llakob oder den barmherzigen Samnriter, son-
dern den Teil Nembrandks, Teil seiner Schöpfung,
Teil seiner Persönlichkeit, Tell seiner Melt. Der
blosze Sammler niag dieses oder jenes Vild flir Nem-
brandk selbst nehmen, mag behaupken, hier habe sich
der Meisker eininal ganz erschöpft, mag das Blld
liansen und seln Leben vor ihm in gläublger Andncht
verbrlngen. Er irrk, er hnt nichk Nembrandk, sondern
lminer nur ein Skück von ihm, ein ganz wlnzIgeS
Skiick, auch wenn es das gröjzke wäre. Gewlsz hat
jeder seln Lieblingsbild, jeder seInen Nembrandk.
Mer aber weiker forschk und In die Tiefe dringk, dem
verschwindek allmählich das Einzelne, dnS ihn über
alles begeisterk, das Lleblingsbild, an dem er beso»-
ders hüngk. Selne Liebe wächst dnrliber hlnauS. Er
vermag sich Immer weniger mit elnem Tag dleses
relchen Lebens, und wäre es der schönske, mlk elnem
Werk, und wäre es das koskbarske, zu begnügen. Er
will den ganzen Menschen, der seine überskrömende
Fülle in kausend Formen der Schönheit osfenbarke.
sMeler-Graefe).

„Das ist daS Wunderbare an den Werken des
Genlus: Es gibk Iinmer noch schöneres. Auch wenn
man alle Bilder aller Gaklungen, daS größte wle
das kleinste, das erske wie das lehke kennk, wenn
sie einem verkraut sind, wie der eigene Tag: Es glbt
kein Ende, es komnik immer noch Unbekannkes aus
dem Veknnnken, Schöneres aus dem Gchöncn zn
Tage."

Mer unbedingk elne blindlge Tlnkwork auf die
Frage haben wlll, wornn man die wnhre Grvtze er-
kennk, den mujz inan auf dieses Unbegrenzbare deS
Schönen verweisen. „So wie das Lichk, daS elnen
Gegenstand sichkbar machl, nlchk nur diesen, sondern
unzählige nndere erhellt, so rngk dns Genle liber das
Merk seiner Hände hinaus und blldek jenselks dcs
von ihm geschaffenen eine ganz kranszendenlale
Schöpfiing, ein Bild, das nichk mehr aus Fnrbe,
das nur noch aus Empfindung beskehk, gleichsam
das Vild nller Vilder."

Dnmik erwelsl sich das ofk gepriesene Borrecht der
bildenden Künste, mik einem Blick gewonnen zu
werden, vor der Muslk und der Poesie, dle In der Zeil
sich auswirken müssen, als krügerisch. Wohl gilk eS
 
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