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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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Liphart, Ernst Friedrich von: Reiseeindrücke III: Venedig und Florenz
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Reiseeindrücke

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heißt (Vol. V, pag. 565): . . . »si parti con Giovanni
(Bellino) e si acconciö con Oiorgione; col quäle stette
tanto, che prese in grau parte quella maniera oude
fece alcuni ritratti in Venezia di naturale molto oi-
mili, e fra gli altre quello di Verdelotto Franzese,
musico eccellentissimo, che era allora maestro di ca-
pella in San Marco; e nel medesimo quadro, quello di
Ubretto suo compagno, cantore: il qual quadro recö a
Fiorenza Verdelotto, quando veune maestro di capella
in San Giovanni, ed oggi l'ha nella sua case Fran-
cesco Sangallo scultore.« Unwillkürlich denkt man,
wenn man diese Zeilen liest, an das Pittikonzert! Die-
selben Musiker mögen sich auch bei Giorgione ver-
sammelt haben, der Kanonikus-Damianus, der Ubretto
Cantore, der junge Mann mit dem Federbarett, ein
richtiger Tenorino, und der dritte herrliche Augustiner-
mönch, wer der wohl sein mag?

In dem im Berliner Kgl. Preuß. Jahrbuch ver-
öffentlichten Teil meiner »Reiseeindrücke« hatte ich die
Bemerkung gemacht, daß von Raffael zu seinen groß-
artigsten Werken wie die Sixtina und der Ezechiel keine
Studie, keine auch noch so leichte Skizze auf uns ge-
kommen ist, während er sich sonst durch zahllose
Vorarbeiten ermüdete, worunter dann die endgültigen
Werke an Wärme und Spontanität verloren.

Was die Madonna des hl. Sixtus anlangt, so wurde
mir diese Auslegung in einem ausführlichen Briefe
durch Herrn Professor Hermann Behmer in Weimar
überzeugend widerlegt, indem derselbe mir beweist,
daß die Velata in Florenz, die er vor langer Zeit
kopierte und daher gründlicher kennt als irgend je-
mand, nichts anderes ist als eine Naturstudie zur Six-
tinischen Madonna, ist nachträglich, so denke ich es
mir, zu einem Porträt zugestutzt, dem Modell als Ge-
schenk zu dienen.

Prof. Behmer sagt, daß unter dem reichen weißen
Damastärmel ein rotes Gewand mit viereckigem Aus-
schnitt, sowie auch an den Konturen der rechten Hand
hervorguckt. Der schattenhafte Ton auf der linken
entblößten Schulter erklärt sich dadurch, daß auf der
Übermalung des roten Gewandes am viereckigen Aus-
schnitt die rote Farbe sich einigermaßen durch die zu
dünn aufgetragene Fleischfarbe durchgesetzt hat, wo-
durch der ursprüngliche lichte Fleichtoh ein grauer,
unbegründeter Mittelton geworden ist. Die Stellung
des Kopfes, ja der rechten Hand stimmen sonst auf-
fallend, und so kann ich nur meinem verehrten Op-
ponenten dankbar beipflichten, indem ich doch hin-
zufüge, daß sich Raffael an dieser schönen Studie gewiß
nicht ermüdet hat und sich alle Begeisterung und
Frische zum großen Werke erhielt.

Im Palaste Pitti vor einem Bacchiacca wurde es
mir ganz klar, wie ich das sogenannte Sannazzaro-
porträt Raffaels in der Eremitage zu bestimmen habe;
auch Gronau versetzt es in den Anhang unter die
Apokrypha seiner neuen Ausgabe der Klassiker der
Kunst, und zwar neben das Knabenbildnis des Louvre,
ganz an den Platz, wo es hingehört. Sollte auch
dieser feine Kenner eine Ähnlichkeit dieser beiden
Werke gefühlt haben, die, horribile dictu, dem Bac-
chiacca gehören. Ich habe vor Zeiten für Herrn v.

Schack das Louvreporträt kopiert, kenne es also aus-
und inwendig, und daß diese beiden Bilder vom selben
Künstler stammen, steht bei mir fest. Nun prüfte ich
auf meiner Reise alle Bacchiaccas durch und kam
schon in Berlin vor Nr. 267 (die Frau mit dem Korbe)
zur Überzeugung, wie Morelli bei der Bestimmung
des Louvrebildnisses den Nagel auf den Kopf ge-
troffen habe.

Die Erhaltung des Pitti-Bildes ist durchaus nicht so
schlecht, wie es allgemein angenommen wird. Die
obere Hälfte der Stirn und das Barett sind übermalt
und hie und da Punkte von Restaurationen bemerkbar.

Morelli gibt eine Reproduktion eines Adam- und
Evabildes des Ubertini in seinem Buche über die
Galerie Borghese Seite 135, die, frei nach dem Moor-
schen Raffael (jetzt Perugia), gestohlen ist. Weniger
bekannt dürfte es sein, daß in Petersburg bei dem
Grafen Mordrinow eine ähnliche Adoptierung des-
selben Meisters: in lebensgroßen Figuren den Sünden-
fall darstellend, zu sehen ist. Offenbar aus späterer
Zeit und viel besser gezeichnet. Im Hintergrunde die
Austreibung aus dem Paradiese in kleinen Figuren,
die denn auch viel erfreulicher ausgefallen sind, als
dem kleinen Talent des Künstlers mehr angemessen.

Nach der Besprechung des Pseudo-Raffaels, des
Sannazzaroporträts, fühle ich mich versucht, die Ehre
des einzigen Correggios, den die Eremitage besitzt,
zu retten. Es ist die Madonna del Latte, die von
gar vielen angezweifelt wird, als wäre sie eine Kopie
des Budapester Bildes, dessen Geschichte man an der
Hand des Stiches des Francesco Spierre einigermaßen
verfolgen kann.

Man hat geglaubt, das Petersburger Bild liege
diesem Blatte zugrunde, weil bei ihm die Bäume
und die Landschaft den Hintergrund bilden. Dem
ist nun nicht so.

Als Dr. Gabriel v. Terey, der Direktor der Pester
Galerie, die Güte hatte, mir das Bild aus dem Rahmen
nehmen zu lassen, so daß wir es ohne Glas in seinem
Kabinett ruhig studieren konnten, fand ich, daß der
einförmig graue Hintergrund offenbar eine Übermalung
war, die Direktor v. Terey seither hat entfernen lassen
und unter welcher, wie er mir schreibt, die Land-
schaft des Spierreschen Stiches zutage trat, doch in
einem so trostlosen Zustande, daß man gezwungen
war, sie wieder einförmig übertünchen zu lassen wie
vorher. — Ein schrecklicher Entschluß!

Aus verschiedenen Gründen hatte ich geglaubt,
der Stich sei nach dem Budapester Exemplar ent-
standen, es fehlt die Franse am Mantelsaum der Ma-
donna in der Eremitage, welche dort wie auch im Stich
deutlich hervortritt, auch gibt das Grabstichelblatt den
grauen Ton der Karnation, die etwas übertriebene
Modellierung der Köpfe und der Körper durchaus
getreu wieder. Das Pester Bild ist jedenfalls das
ältere im Datum und durch ein zu gewissenhaftes
Streben des Meisters, das Äußerste am Relief zu er-
reichen, hat das Bild die Wärme des Kolorits und
das Licht, das wunderbare Licht des Correggio ein-
gebüßt, und er hat das Bild wiederholt, um diesmal
alles dem Lichteffekte und der Farbe zu opfern, was
 
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