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Vom Dome zu Lund
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nisse der Prophetenworte interpretieren, eine ganz per-
sönliche Technik zurecht gemacht; Federstriche, die
in dichteren oder lockereren Kreuzlagen und Schraffen-
schichten verwendet, einigermaßen an den klassischen
französischen Kupferstich des 17. Jahrhunderts (Claude
Mellan) erinnern; Birnbaum verwendet aber verschieden-
farbige Tinten und schöpft so nicht nur aus dem
rhythmischen Schwung der langen, regelmäßig an-
und abschwellenden Linien, sondern auch aus der Ab-
folge der Farben ein künstlerisches Mittel. So selbst-
verständlich und natürlich Birnbaum diese reizvolle
und komplizierte Technik auch handhabt, so leicht ist
es einzusehen, daß hier eine gewisse Gefahr für ihn
liegt; heute strömt und quillt es in dem Zwanzig-
jährigen von tief erlebten Bildern, erstarrt dieser Born,
dann wird jene Technik, die er heute meistert, ihn
beherrschen, zu leerer Dekoration werden. Wir haben
eine solche Entwicklung, die kein Werdegang, sondern
eine Zersetzung ist, bei uns zu Lande, wo es von Talenten
wimmelt und an Charakteren fehlt, zu oft miterlebt,
als daß wir auch dieser starken Verheißung gegen-
über nicht mißtrauisch sein sollten. Was wir ihr zu
wünschen haben, ist nichts als Kraft und Geduld zu
stetigem Ausreifen, den Mut, an sich weiterzuarbeiten,
die Energie, sich nicht aus seiner Bahn zerren zu lassen;
denn schon, da wir uns der Ausstellung freuen, die
ihn uns bekannt macht, müssen wir fürchten, daß dieser
Sprung in die Öffentlichkeit zu früh erfolgte und dem
Werdenden schade. Man erzählt mir, daß er ins Feld
geht; möge er zu jenen gehören, denen der Krieg die
Nerven stählt und die Kraft mehrt; möge er hart
werden, den Eitelkeiten und Verlockungen eines Wiener
Lokalruhms zu widerstehen. HANS TIETZE
VOM DOME ZU LUND
Die Abspaltung des germanischen Nordens mit
seinen Normannen, Dänen, Schweden und Skride-
winden vom hamburgischen Erzbislume und damit von
Deutschland war ein für alle Zukunft entscheidendes
Ereignis. Kirchliche Kreise suchten sich nachher da-
mit ein wenig zu trösten, daß für den harten Verlust
ein gewisser Ersatz geboten sei in den neu begründeten
wendischen Bistümern und schließlich in dem 1186 an-
gelegten livischen zu Riga, aber der Schmerz und die Er-
regung blieb heftig, und noch im Jahre 1196 gab solchem
Gefühle ebenso der biedere Propst Sido zu Neumünster
in seinem offenen Briefe an den Domherrn Gozwin
Ausdruck, wie der für uns namenlose Schulmeister
des Klosters in seinen Versen, der Däne aber, der Ge-
winner nach dem jahrzehntelangen Ringen um Selb-
ständigkeit, machte aus seiner Genugtuung kein Hehl,
und schrieb über die Petritür des Schleswiger Domes
die Worte
»Treib mir den Deutschen von dannen,
des Lands hartherzgen Tyrannen
Doch die Bewahrer der Treue berufe zurück
mir aufs Neue«
als Befehl des Herrn an den hl. Laurentius, den Be-
schützer des nordischen neuen Erzbistums und seines
Domes zu Lund.
Dieser Dom ist das Wahrzeichen vom Abschluß
jenes Kampfes, in dem sich lange Zeit hindurch die
Kräfte der größten Gewalten gemessen hatten. Schon
Gregor VII. hatte dieser Schwächung Hamburgs und
des Reiches der Deutschen vorgearbeitet, der König
Erich Eiegod aber (1095—1103), ein Feind des
deutschen Wesens, die Loßreißung als Lebensaufgabe
betrieben und sein Ziel bereits fast erreicht; 1103 konnte
sich der Bischof Ascher von Lund (1089—1137) mit
dem »schnöde erschlichenen Pallium« schmücken(Sido).
Ganz abgeschlossen ist der Abfall erst 1139.
Der Lunder Dom ist also das Denkmal und Er-
gebnis des Kampfes und seines endlichen Ausganges.
Mail glaubt an ihm beobachten zu können die Anlage
in der diesen Landen eigenen Art, den Umschwung,
veranlaßt durch bewußte Abwendung davon und Heran-
ziehung fremder Kräfte, endlich das Übergewicht west-
ländischer Einflüsse. Als Baudenkmal ist er das ge-
waltigste und vornehmste des ganzen alten Dänemarks
überhaupt.
So ist es natürlich, daß er vor vielen anderen die
Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein besonders günstiger
Umstand ist dabei, daß Lund der Schauplatz einer
reichen und mannigfaltigen Tätigkeit von Gelehrten ist;
ihre Einsicht und ihr Fleiß kommt der Erkenntnis
des herrlichen Baues allseitig zugute. Der erste, der
sich darum Verdienste erwarb, war beachtenswerter-
und rühmlicherweise ein Philologe, C. G. Brunius,
Professor an der Lunder Hochschule. Wenn den ge-
lehrten Architekten des skandinavischen Nordens, die
sich, als ihre Zeit gekommen war, als Fachmänner
auf den Bau stürzten, um ihn aufs Großartigste nach
ihrem Sinne reinigend und veredelnd zu behandeln
und in Übereinstimmung mit ihren Schönheits- und
Reinheitsidealen sauber und gefällig zu machen, doch
nicht ganz hat gelingen wollen, was sie erstrebten,
so ist das noch des trefflichen Griechen und Lateiners
Verdienst. Mehr als genug ist leider geschehen, zu
seiner persönlichen tiefen Kränkung; die Domkirche
steht jetzt, von vielen Mängeln, Schäden und Verun-
staltungen befreit, als rühmliches Nebenbild der edelsten
rheinischen Kathedralen, sauber und schön in herrlicher
Ganzheit. Vieles aber zeigt sich immer noch, was
sich nicht gleich machen ließ und dauernd Fragen
stellt und Rätsel aufgibt und für die Gelehrten Zacken
hat und Vorsprünge, daran sie sich mit ihren Theorien
anhängen können.
Uns Deutschen ist die prächtige Arbeit Seesselbergs
über den Dom und seine Wunder wohlbekannt,
mit ihren überraschenden Mitteilungen und mutigen
Schlüssen. Das stolze Gebäude dieses Werkes steht
nicht überall auf festem Grunde der Erkenntnis des
Einzelnen. Unter den Gelehrten, die einen Teil ihrer
Lebensaufgabe darin sehen, solchen Unterbau in allem
Einzelnen solide und tragkräftig zu machen, steht im
Vordergrunde der Dozent Rydbeck, der Verfasser des
Werkes über die Kalkmalereien in den Kirchen Scho-
nens (Lund 1904). Vgl. Kunstchronik 1907, 190. Er
hat 1911 in einem bescheidenem Hefte das darge-
boten, was er mit knappen Worten über die Geschichte
und die Erscheinung des Baues darzulegen hatte; es
Vom Dome zu Lund
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nisse der Prophetenworte interpretieren, eine ganz per-
sönliche Technik zurecht gemacht; Federstriche, die
in dichteren oder lockereren Kreuzlagen und Schraffen-
schichten verwendet, einigermaßen an den klassischen
französischen Kupferstich des 17. Jahrhunderts (Claude
Mellan) erinnern; Birnbaum verwendet aber verschieden-
farbige Tinten und schöpft so nicht nur aus dem
rhythmischen Schwung der langen, regelmäßig an-
und abschwellenden Linien, sondern auch aus der Ab-
folge der Farben ein künstlerisches Mittel. So selbst-
verständlich und natürlich Birnbaum diese reizvolle
und komplizierte Technik auch handhabt, so leicht ist
es einzusehen, daß hier eine gewisse Gefahr für ihn
liegt; heute strömt und quillt es in dem Zwanzig-
jährigen von tief erlebten Bildern, erstarrt dieser Born,
dann wird jene Technik, die er heute meistert, ihn
beherrschen, zu leerer Dekoration werden. Wir haben
eine solche Entwicklung, die kein Werdegang, sondern
eine Zersetzung ist, bei uns zu Lande, wo es von Talenten
wimmelt und an Charakteren fehlt, zu oft miterlebt,
als daß wir auch dieser starken Verheißung gegen-
über nicht mißtrauisch sein sollten. Was wir ihr zu
wünschen haben, ist nichts als Kraft und Geduld zu
stetigem Ausreifen, den Mut, an sich weiterzuarbeiten,
die Energie, sich nicht aus seiner Bahn zerren zu lassen;
denn schon, da wir uns der Ausstellung freuen, die
ihn uns bekannt macht, müssen wir fürchten, daß dieser
Sprung in die Öffentlichkeit zu früh erfolgte und dem
Werdenden schade. Man erzählt mir, daß er ins Feld
geht; möge er zu jenen gehören, denen der Krieg die
Nerven stählt und die Kraft mehrt; möge er hart
werden, den Eitelkeiten und Verlockungen eines Wiener
Lokalruhms zu widerstehen. HANS TIETZE
VOM DOME ZU LUND
Die Abspaltung des germanischen Nordens mit
seinen Normannen, Dänen, Schweden und Skride-
winden vom hamburgischen Erzbislume und damit von
Deutschland war ein für alle Zukunft entscheidendes
Ereignis. Kirchliche Kreise suchten sich nachher da-
mit ein wenig zu trösten, daß für den harten Verlust
ein gewisser Ersatz geboten sei in den neu begründeten
wendischen Bistümern und schließlich in dem 1186 an-
gelegten livischen zu Riga, aber der Schmerz und die Er-
regung blieb heftig, und noch im Jahre 1196 gab solchem
Gefühle ebenso der biedere Propst Sido zu Neumünster
in seinem offenen Briefe an den Domherrn Gozwin
Ausdruck, wie der für uns namenlose Schulmeister
des Klosters in seinen Versen, der Däne aber, der Ge-
winner nach dem jahrzehntelangen Ringen um Selb-
ständigkeit, machte aus seiner Genugtuung kein Hehl,
und schrieb über die Petritür des Schleswiger Domes
die Worte
»Treib mir den Deutschen von dannen,
des Lands hartherzgen Tyrannen
Doch die Bewahrer der Treue berufe zurück
mir aufs Neue«
als Befehl des Herrn an den hl. Laurentius, den Be-
schützer des nordischen neuen Erzbistums und seines
Domes zu Lund.
Dieser Dom ist das Wahrzeichen vom Abschluß
jenes Kampfes, in dem sich lange Zeit hindurch die
Kräfte der größten Gewalten gemessen hatten. Schon
Gregor VII. hatte dieser Schwächung Hamburgs und
des Reiches der Deutschen vorgearbeitet, der König
Erich Eiegod aber (1095—1103), ein Feind des
deutschen Wesens, die Loßreißung als Lebensaufgabe
betrieben und sein Ziel bereits fast erreicht; 1103 konnte
sich der Bischof Ascher von Lund (1089—1137) mit
dem »schnöde erschlichenen Pallium« schmücken(Sido).
Ganz abgeschlossen ist der Abfall erst 1139.
Der Lunder Dom ist also das Denkmal und Er-
gebnis des Kampfes und seines endlichen Ausganges.
Mail glaubt an ihm beobachten zu können die Anlage
in der diesen Landen eigenen Art, den Umschwung,
veranlaßt durch bewußte Abwendung davon und Heran-
ziehung fremder Kräfte, endlich das Übergewicht west-
ländischer Einflüsse. Als Baudenkmal ist er das ge-
waltigste und vornehmste des ganzen alten Dänemarks
überhaupt.
So ist es natürlich, daß er vor vielen anderen die
Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein besonders günstiger
Umstand ist dabei, daß Lund der Schauplatz einer
reichen und mannigfaltigen Tätigkeit von Gelehrten ist;
ihre Einsicht und ihr Fleiß kommt der Erkenntnis
des herrlichen Baues allseitig zugute. Der erste, der
sich darum Verdienste erwarb, war beachtenswerter-
und rühmlicherweise ein Philologe, C. G. Brunius,
Professor an der Lunder Hochschule. Wenn den ge-
lehrten Architekten des skandinavischen Nordens, die
sich, als ihre Zeit gekommen war, als Fachmänner
auf den Bau stürzten, um ihn aufs Großartigste nach
ihrem Sinne reinigend und veredelnd zu behandeln
und in Übereinstimmung mit ihren Schönheits- und
Reinheitsidealen sauber und gefällig zu machen, doch
nicht ganz hat gelingen wollen, was sie erstrebten,
so ist das noch des trefflichen Griechen und Lateiners
Verdienst. Mehr als genug ist leider geschehen, zu
seiner persönlichen tiefen Kränkung; die Domkirche
steht jetzt, von vielen Mängeln, Schäden und Verun-
staltungen befreit, als rühmliches Nebenbild der edelsten
rheinischen Kathedralen, sauber und schön in herrlicher
Ganzheit. Vieles aber zeigt sich immer noch, was
sich nicht gleich machen ließ und dauernd Fragen
stellt und Rätsel aufgibt und für die Gelehrten Zacken
hat und Vorsprünge, daran sie sich mit ihren Theorien
anhängen können.
Uns Deutschen ist die prächtige Arbeit Seesselbergs
über den Dom und seine Wunder wohlbekannt,
mit ihren überraschenden Mitteilungen und mutigen
Schlüssen. Das stolze Gebäude dieses Werkes steht
nicht überall auf festem Grunde der Erkenntnis des
Einzelnen. Unter den Gelehrten, die einen Teil ihrer
Lebensaufgabe darin sehen, solchen Unterbau in allem
Einzelnen solide und tragkräftig zu machen, steht im
Vordergrunde der Dozent Rydbeck, der Verfasser des
Werkes über die Kalkmalereien in den Kirchen Scho-
nens (Lund 1904). Vgl. Kunstchronik 1907, 190. Er
hat 1911 in einem bescheidenem Hefte das darge-
boten, was er mit knappen Worten über die Geschichte
und die Erscheinung des Baues darzulegen hatte; es