KUNSTCHRONIK
Neue Folge. XXVII. Jahrgang 1915/1916 Nr. 8. 19. November 1915
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.
BERLINER AUSSTELLUNGEN
Eine rasch dementierte Nachricht, die durch eine
Berliner Tageszeitung verbreitet wurde, wollte wissen,
daß das Zustandekommen der nächstjährigen »Großen
Berliner Kunstausstellung« durch eine ablehnende
Stellungnahme der Akademie der Künste in Frage
gestellt sei. Die Mitteilung des Akademiepräsidenten
Schwechten ergab die Unrichtigkeit der Nachricht in
dieser Form. Wahr aber bleibt, daß die Unzufrieden-
heit mit der »Großen Berliner Kunstausstellung« in
ihrer bisherigen Form auch in nächstbeteiligten Kreisen
im Wachsen begriffen ist. Dem Außenstehenden er-
scheinen die Zustände schon seit langem unhaltbar
geworden. In allen großen und selbst kleineren Städten
des Reiches fand das Ausstellungswesen Pflege. Man
fuhr nach Dresden, München, Darmstadt, Düsseldorf,
Köln, — um nur einige Orte zu nennen, — und allein
Berlin stand zurück mit seiner durch Staatssubvention
künstlich am Leben erhaltenen Großen Kunstausstellung,
die kaum noch ernsthafte Liebhaber zum Besuch an-
zulocken vermochte, während draußen in Charlotten-
burg privater Initiative die kleine Sezessionsausstellung
ihr Dasein dankte, die fast immer interessante Dar-
bietungen brachte, nicht aber das künstlerische Ereignis
zu sein vermochte, das der Reichshauptstadt würdig
gewesen wäre.
Durch die Spaltung der Sezession ist nun auch
die Lebensfähigkeit dieses Unternehmens ernstlich in
Frage gestellt. Die Corinthgruppe hat eben durch
ihre erste Ausstellung jedermann klar bewiesen, daß
sie nicht stark genug ist, die Erbschaft würdig zu ver-
walten, die sie kühn genug war, anzutreten. Immer-
hin zog sie eine Reihe junger Kräfte an sich, die nun
der anderen Gruppe, die ebenfalls für diesen Winter
eine Ausstellung ankündigt, notwendig fehlen müssen.
So sind die Dinge auf dieser Seite gründlich ver-
fahren, und wenn auch die Spaltung auf der anderen
Seite noch nicht zur Tatsache werden sollte, so kann
man es doch verstehen, daß die Akademiemitglieder
nach den Erfahrungen dieses Sommers wenig Lust
verspüren, ihre Räume noch einmal der »Großen
Berliner« zur Verfügung zu stellen, sondern lieber mit
einer kleinen Mitgliederausstellung unter sich blieben.
Es gibt nicht wenige Fürsprecher solcher Sonder-
bestrebungen der einzelnen Künstlergruppen. In der
Tat haben die kleinen Ausstellungen ihre unverkenn-
baren Vorzüge vor den schwer zu bewältigenden
Riesenveranstaltungen. Aber die Voraussetzung der
kleinen Ausstellung ist ihr Elitecharakter, wenn sie
nicht provinziell wirken will. Und dieses Schicksal
bedroht das Berliner Ausstellungswesen ernstlich. Was
soll man dazu sagen, wenn in der Reichshauptstadt
eine Ausstellung, die sich Berliner Sezession nennt,
die Hundertjahrfeier Menzels mit einer Handvoll be-
langloser Bildchen begeht und ganze elf Bilder als
retrospektive Abteilung vorführt. Sammlung der Kräfte
tut dringend not. Man sollte denken, daß die Zeit
des Burgfriedens auch für die Künstlerschaft die rechte
Gelegenheit wäre. Aber das Gegenteil scheint der
Fall zu sein. Persönliche Rivalitäten und eifersüchtiges
Hüten einmal erworbener Privilegien stehen einer
großzügigen Kunstpolitik im Wege, die allein der
Sache zu dienen hätte ohne Ansehen der eigensüchtigen
Wünsche der Einzelnen und ihrer Parteien.
Es war schon kürzlich hier — nicht zum ersten
Male — von den schweren Mängeln der Berliner
Kunstpflege die Rede, sofern das Wort Kunstpflege
für die Berliner Verhältnisse überhaupt in Anwendung
gebracht werden darf, und es wurde schon damals
die dringende Notwendigkeit eines würdigen Aus-
stellungshauses betont. Aber mit dem Hause allein
ist es natürlich nicht getan. Sollte es keinem anderen
Zwecke dienen, als einer neuen und womöglich noch
erweiterten Großen Berliner Kunstausstellung in ihrer
alten Form die Daseinsmöglichkeit zu geben, so be-
wahre uns ein gütiges Schicksal davor. Diese In-
stitution ist mitsamt ihren Folgeerscheinungen, als da
sind staatliche und städtische Zwangsankäufe, gründ-
lichst überlebt, und sie bedeutet gerade durch ihre
Privilegien eine schwere Ungerechtigkeit gegen alle,
die einmal aus sachlichen Gründen sich von ihr
scheiden zu sollen meinten.
Wie die Verhältnisse heut liegen, ist weder von
der Künstlerschaft selbst noch von Seiten der staat-
lichen Behörden der erste Schritt zu einer gründlichen
Wandlung im Berliner Ausstellungswesen zu erwarten.
Wir wiederholen es nochmals, hier gibt es eine Auf-
gabe für die Stadt Berlin, dringender als die Schaffung
eines neuen Museums, für das zurzeit die erforder-
lichen Mittel doch nicht bereit zu stellen wären. Aber
auch zu diesem Zweck ist ebenso wie für die Leitung
eines Museums ein geeigneter Fachmann die erste
Vorbedingung. Gibt es ein solches Amt bisher an
keiner Stelle, so ist das kein Grund, es nicht zum
ersten Male für Berlin zu schaffen. Man gebe dem
Beamten den Titel eines ständigen Sekretärs, wie für
ähnliche Aufgaben die Akademie der Künste einen
solchen besitzt, und man erweitere seine Befugnisse,
wenn er sich bewährt, um endlich den verantwort-
lichen und sachverständigen Beirat in künstlerischen
Dingen zu besitzen, den Berlin so dringend braucht.
Karl Scheffler hat kürzlich in »Kunst und Künstler«
das neugeschaffene Hannoveraner Museum einer
strengen Kritik unterworfen und hat an diesem Bei-
spiel gezeigt, wohin es führen kann, wenn die Stadt-
gewaltigen sich auch in künstlerischen Dingen für
Neue Folge. XXVII. Jahrgang 1915/1916 Nr. 8. 19. November 1915
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BERLINER AUSSTELLUNGEN
Eine rasch dementierte Nachricht, die durch eine
Berliner Tageszeitung verbreitet wurde, wollte wissen,
daß das Zustandekommen der nächstjährigen »Großen
Berliner Kunstausstellung« durch eine ablehnende
Stellungnahme der Akademie der Künste in Frage
gestellt sei. Die Mitteilung des Akademiepräsidenten
Schwechten ergab die Unrichtigkeit der Nachricht in
dieser Form. Wahr aber bleibt, daß die Unzufrieden-
heit mit der »Großen Berliner Kunstausstellung« in
ihrer bisherigen Form auch in nächstbeteiligten Kreisen
im Wachsen begriffen ist. Dem Außenstehenden er-
scheinen die Zustände schon seit langem unhaltbar
geworden. In allen großen und selbst kleineren Städten
des Reiches fand das Ausstellungswesen Pflege. Man
fuhr nach Dresden, München, Darmstadt, Düsseldorf,
Köln, — um nur einige Orte zu nennen, — und allein
Berlin stand zurück mit seiner durch Staatssubvention
künstlich am Leben erhaltenen Großen Kunstausstellung,
die kaum noch ernsthafte Liebhaber zum Besuch an-
zulocken vermochte, während draußen in Charlotten-
burg privater Initiative die kleine Sezessionsausstellung
ihr Dasein dankte, die fast immer interessante Dar-
bietungen brachte, nicht aber das künstlerische Ereignis
zu sein vermochte, das der Reichshauptstadt würdig
gewesen wäre.
Durch die Spaltung der Sezession ist nun auch
die Lebensfähigkeit dieses Unternehmens ernstlich in
Frage gestellt. Die Corinthgruppe hat eben durch
ihre erste Ausstellung jedermann klar bewiesen, daß
sie nicht stark genug ist, die Erbschaft würdig zu ver-
walten, die sie kühn genug war, anzutreten. Immer-
hin zog sie eine Reihe junger Kräfte an sich, die nun
der anderen Gruppe, die ebenfalls für diesen Winter
eine Ausstellung ankündigt, notwendig fehlen müssen.
So sind die Dinge auf dieser Seite gründlich ver-
fahren, und wenn auch die Spaltung auf der anderen
Seite noch nicht zur Tatsache werden sollte, so kann
man es doch verstehen, daß die Akademiemitglieder
nach den Erfahrungen dieses Sommers wenig Lust
verspüren, ihre Räume noch einmal der »Großen
Berliner« zur Verfügung zu stellen, sondern lieber mit
einer kleinen Mitgliederausstellung unter sich blieben.
Es gibt nicht wenige Fürsprecher solcher Sonder-
bestrebungen der einzelnen Künstlergruppen. In der
Tat haben die kleinen Ausstellungen ihre unverkenn-
baren Vorzüge vor den schwer zu bewältigenden
Riesenveranstaltungen. Aber die Voraussetzung der
kleinen Ausstellung ist ihr Elitecharakter, wenn sie
nicht provinziell wirken will. Und dieses Schicksal
bedroht das Berliner Ausstellungswesen ernstlich. Was
soll man dazu sagen, wenn in der Reichshauptstadt
eine Ausstellung, die sich Berliner Sezession nennt,
die Hundertjahrfeier Menzels mit einer Handvoll be-
langloser Bildchen begeht und ganze elf Bilder als
retrospektive Abteilung vorführt. Sammlung der Kräfte
tut dringend not. Man sollte denken, daß die Zeit
des Burgfriedens auch für die Künstlerschaft die rechte
Gelegenheit wäre. Aber das Gegenteil scheint der
Fall zu sein. Persönliche Rivalitäten und eifersüchtiges
Hüten einmal erworbener Privilegien stehen einer
großzügigen Kunstpolitik im Wege, die allein der
Sache zu dienen hätte ohne Ansehen der eigensüchtigen
Wünsche der Einzelnen und ihrer Parteien.
Es war schon kürzlich hier — nicht zum ersten
Male — von den schweren Mängeln der Berliner
Kunstpflege die Rede, sofern das Wort Kunstpflege
für die Berliner Verhältnisse überhaupt in Anwendung
gebracht werden darf, und es wurde schon damals
die dringende Notwendigkeit eines würdigen Aus-
stellungshauses betont. Aber mit dem Hause allein
ist es natürlich nicht getan. Sollte es keinem anderen
Zwecke dienen, als einer neuen und womöglich noch
erweiterten Großen Berliner Kunstausstellung in ihrer
alten Form die Daseinsmöglichkeit zu geben, so be-
wahre uns ein gütiges Schicksal davor. Diese In-
stitution ist mitsamt ihren Folgeerscheinungen, als da
sind staatliche und städtische Zwangsankäufe, gründ-
lichst überlebt, und sie bedeutet gerade durch ihre
Privilegien eine schwere Ungerechtigkeit gegen alle,
die einmal aus sachlichen Gründen sich von ihr
scheiden zu sollen meinten.
Wie die Verhältnisse heut liegen, ist weder von
der Künstlerschaft selbst noch von Seiten der staat-
lichen Behörden der erste Schritt zu einer gründlichen
Wandlung im Berliner Ausstellungswesen zu erwarten.
Wir wiederholen es nochmals, hier gibt es eine Auf-
gabe für die Stadt Berlin, dringender als die Schaffung
eines neuen Museums, für das zurzeit die erforder-
lichen Mittel doch nicht bereit zu stellen wären. Aber
auch zu diesem Zweck ist ebenso wie für die Leitung
eines Museums ein geeigneter Fachmann die erste
Vorbedingung. Gibt es ein solches Amt bisher an
keiner Stelle, so ist das kein Grund, es nicht zum
ersten Male für Berlin zu schaffen. Man gebe dem
Beamten den Titel eines ständigen Sekretärs, wie für
ähnliche Aufgaben die Akademie der Künste einen
solchen besitzt, und man erweitere seine Befugnisse,
wenn er sich bewährt, um endlich den verantwort-
lichen und sachverständigen Beirat in künstlerischen
Dingen zu besitzen, den Berlin so dringend braucht.
Karl Scheffler hat kürzlich in »Kunst und Künstler«
das neugeschaffene Hannoveraner Museum einer
strengen Kritik unterworfen und hat an diesem Bei-
spiel gezeigt, wohin es führen kann, wenn die Stadt-
gewaltigen sich auch in künstlerischen Dingen für