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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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Die Schwarz-Weiss-Ausstellung der Berliner freien Sezession
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVII. Jahrgang 1915/1916 Nr. 30. 21. April 1916

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

DIE SCHWARZ-WEISS-AUSSTELLUNG DER
BERLINER FREIEN SEZESSION

In rascher Folge veranstaltet die Berliner Freie
Sezession nach ihrer ersten Frühjahrsausstellung eine
zweite, in der vor allem die zeichnenden Künste zu
Worte kommen. Und wieder darf vorerst das gute
Gelingen des Ganzen gerühmt werden, ehe von dem
vielen Einzelnen die Rede ist. Der neuen Ausslellungs-
leitung ist ihre Arbeit wahrlich nicht leicht gemacht.
Die Spaltung der Berliner Sezession entzog ihr ohne
Frage einige tüchtige Kräfte. Zudem fehlt ihr jeder
Verkehr mit dem Ausland, und es braucht nicht ge-
sagt zu werden, daß auch abgesehen hiervon der
Krieg eine Erschwerung in vielfacher Hinsicht bedeutet.
Es kommt endlich hinzu, daß mit einer Reihe noch
recht problematischer Erscheinungen zu rechnen ist,
die auszuschließen ein Unrecht wäre, wie man auch
über sie denken mag. Denn — das soll den Nörglern
und übereifrigen Tadlern immer wieder entgegenge-
halten werden — eine Ausstellungsjury ist nicht dazu
da, nach Ewigkeitsmaßstäben zu messen, sondern ledig-
lich den Verkehr zwischen Künstlern und Publikum
zu vermitteln, und wo sie ein ernsthaftes Bemühen
voraussetzt, würde sie ihre Aufgabe verleugnen, wollte
sie ihm die Öffentlichkeit verschließen.

Es schien nötig, die allgemeine Bemerkung voraus-
zuschicken, um Widersprüche zu erklären zwischen
der kritischen Stellungnahme zu manchen Einzeler-
scheinungen und der Anerkennung der Gesamtleistung.
Denn es gab selten eine Schwarz-Weiß-Ausstellung
in diesen Räumen, die sich angenehmer und über-
schaubarer dem Besucher dargeboten hätte. Durch
verschiedene Mittel ist dieses Endziel erreicht worden.
Gruppen wurden gebildet, den meisten Ausstellern
ein verhältnismäßig großer Raum zugebilligt. So bleibt
die Zahl der Zugelassenen verhältnismäßig klein. Aber
dem Besucher ist Gelegenheit gegeben, eine Vorstellung
von dem Schaffen des Einzelnen zu gewinnen. Es
entstehen kleine Sonderausstellungen innerhalb des
größeren Rahmens, die zum Verweilen einladen und
die Übersicht erleichtern. Es war auch ein guter Ge-
danke, insbesondere zwei Plastikern eigene Räume
zuzuweisen, anstatt der sonst üblichen Bevölkerung
der ganzen Ausstellung mit größeren und kleineren
skulpturalen Werken. Endlich wurde durch ein monu-
mentales Gemälde dem großen Hauptsaal und damit
der ganzen Ausstellung ein starkbetonter Mittelpunkt ge-
geben und der Eingangsraum durch einen gemalten Fries
besonders herausgehoben, so daß schon in die Folge
der Säle Abwechslung und Gliederung gebracht wurde.

Zudem gab gerade dieser Fries dem bisher wenig
beachteten Otto Müller die erwünschte Gelegenheit,

an einer größeren Aufgabe sein Können zu erweisen.
Jedes seiner Bilder, das früher gezeigt wurde, erschien
wie eine Vorbereitung zu größeren dekorativen Arbeiten.
Wenn der Fries, den er nun geschaffen hat, nicht ganz
befriedigt, so soll das Verdienst der Ausstellungs-
leitung, die ihm den Raum zur Verfügung stellte,
darum nicht geschmälert werden. Man vermißt eine
rhythmische Zusammenbeziehung der Gesamtkompo-
sition des weitgedehnten Bandes, das sich um die vier
Wände des Raumes hinzieht. Die Gruppen bleiben
isoliert. Aber man wird manche schöne Erfindung
im Einzelnen nicht übersehen und ebenso nicht die
Schmuckwirkung des Ganzen mit den gelben Körpern
auf hellem Grunde über der kräftig gelb getönten Wand.

Im Hinblick auf diesen Fries von Otto Müller ist
gegenüber der gesamten neueren Kunst der Vorwurf
der »Niggerei« erhoben worden, mit dem die offen-
kundige Vorliebe für einen ungewöhnlichen Typus
getroffen werden soll. So einfach wie dieses Wort
die Dinge darstellen will, sind sie nun nicht. Es
handelt sich nicht lediglich um sensationslüsterne Mache,
sondern um eine Erscheinung, die mit dem ausge-
sprochen eklektischen Grundcharakter einer Haupt-
richtung neuerer Kunstübung in engem Zusammen-
steht. Wie jeder Eklektizismus, so ist auch dieser
jüngste stark artistisch und antinaturalistisch orientiert.
Daher die der Natur gegenüber willkürliche Farben-
gebung, die gelben Menschen Müllers oder als noch
auffallenderes Beispiel die in allen Farben kolorierten
Akte der Holzschnitte Moriz Melzers, von denen in
dieser Ausstellung gute Proben gezeigt werden, daher
ebenso die nachempfindende Hingabe an fremde und
ältere Kunstäußerungen der verschiedensten Art, seien
sie in Europa, Asien oder Afrika, in der Zeit der
alten Ägypter oder der jüngsten Franzosen entstanden.

Ein Werk, das von Otto Müllers lyrisch empfind-
samem Figurenfries so weit entfernt ist wie Otto Hettners
Karton einer Sintflut für das Fresko im Museum zu
Stettin ist doch unter diesem gleichen Gesichtspunkt
einer eklektisch orientierten Kunst zu beurteilen, ja
hier liegt ein extremer Fall vor, da jede andere Ab-
sicht zurückgestellt ist neben der rein formalen. Es
ist Akademiekunst in Reinkultur, was Hettner gibt.
Eine starke zeichnerische Schulung vergewaltigt das
Modell im Hinblick auf eine vorausgewollte Wirkung.
Michelangelo ist das Ideal, dem mit Hilfe einer ins
Maßlose gesteigerten Übermodellierung nachzukommen
versucht wird. Ein gewaltiges Geschehen wird durch
nichts als eine ungeheuerliche Anspannung von Mus-
kulatur versinnlicht. Aber alle Bildung des Geistes
und der Hand brachte doch nur eine gespensterhafte
Scheinwelt zuwege, der jede sinnliche Lebenskraft ab-
geht, und man kehrt schließlich zurück zu Müllers
 
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