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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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Vogel, Julius: Die Erwerbung der Thiemeschen Sammlung für das Museum der bildenden Künste in Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.6189#0091

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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXVII. Jahrgang 1915/1916 Nr. 17. 21. Januar 1916

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
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leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Qewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

DIE ERWERBUNG DER THIEMESCHEN SAMMLUNG FÜR DAS MUSEUM
DER BILDENDEN KÜNSTE IN LEIPZIG

In aller Stille hat sich in Leipzig ein Ereignis
vollzogen, das während des jetzigen Krieges eine stolze
Tat bedeutet: die Erwerbung der Thiemeschen Samm-
lung niederländischer Meister für das Museum der
bildenden Künste.

Alfred Thieme, der Gründer der Sammlung (gest.
den 2. April 1906) war einer von der Art jener Kunst-
freunde, wie sie im 1 S.Jahrhundert eine besondere Zierde
Leipzigs gewesen, wie sie Goethe in Dichtung und
Wahrheit in dankbarer Anerkennung ihrer Verdienste
rühmend hervorhebt. Alfred Thieme hatte schon in
frühen Jahren in Begeisterung für die Niederländer
des 17- Jahrhunderts angefangen zu sammeln, um sein
eigenes Heim mit den Kabinettstücken dieser Kunst
zu schmücken. Diese erste von ihm zusammengebrachte
Sammlung von 65 Nummern hatte er im Jahre 1886
dem Museum »in Anbetracht der bedeutenden Raum-
vergrößerung durch den neuen Anbau und mit Rück-
sicht auf die Armut unserer Galerie an Erzeugnissen
der älteren Kunst« als Schenkung überwiesen. Gleich-
zeitig fing er an, eine zweite Sammlung für sein vor-
nehmes Haus am Johannapark sich zu begründen, die
er dann mit dem glücklichen Eifer eines Sammlers
großen Stils und mit Hilfe von Wilhelm v. Bode, der
schon bei Erwerbung der Schätze der dem Museum
überwiesenen ersten Sammlung hervorragenden Anteil
gehabt hatte, weiter ausgebaut hat. 1889 wurde der
Galerie eines ihrer Glanzstücke, das herrliche
Bildnis eines Mulatten von der Hand des Frans
Hals, das Bode eben aus Paris mitgebracht hatte,
einverleibt, und Meisterstücke, wie die aus einer Lon-
doner Sammlung stammende »Musizierende Gesell-
schaft« des Pieter de Hoch, Adriaen Brouwers »Hütte
am Meer« und andere Werke hervorragender hollän-
discher und vlämischer Künstler folgten in den
nächsten Jahren nach, so daß die Sammlung im Jahre
igoo sich auf 94 Nummern belief. In dem näm-
lichen Jahre gab Ulrich Thieme im Auftrage seines
Vaters einen ansehnlichen, mit einer feinen Radie-
rung Krügers nach dem Bilde von Frans Hals und
mit anderen Tafeln geschmückten Katalog heraus, mit
einer Einleitung von Wilhelm Bode. Im Laufe der
nächsten Jahre kamen zu der Sammlung noch mehrere
Gemälde hinzu, so daß sie beim Tode ihres. Besitzers
98 Nummern zählte.

Wenn auch der Zahl nach, vielleicht mehr aus
Zufall, die Landschaften (Prachtstücke von Camp-
huysen, Cuyp, van Goyen, van der Heyde, Hoppemahr,
Jacob und Salomon van Ruysdael, A. van de Velde,
Vermeer u. a.) überwiegen und die Kabinettstücke im |

engeren Sinne, die Bildnisse und die Stilleben, in der
Minderzahl sind, so befinden sich doch unter den
letzteren Meisterwerke ersten Ranges, die viel begehrt
und im internationalen Kunsthandel jetzt außerordent-
lich hoch bewertet werden. Einzelne Namen brauchen
an dieser Stelle um so weniger genannt zu werden,
als die oben erwähnte, in dem Katalog der Sammlung
aufgenommene Einleitung von Bode den Lesern dieser
Zeitschrift bekannt ist. Sie erschien zuerst im Jahr-
gang 1900 der Zeitschrift für bildende Kunst.

Die Sammlung ist seit einigen Tagen im Kunst-
verein ausgestellt. Die Schaffung günstiger Räume
für die endgültige Aufstellung ist für später in Aus-
sicht genommen.

Das Leipziger Museum ist verhältnismäßig arm an
Werken älterer Kunst, namentlich an solchen von ge-
schichtlicher Bedeutung. Die Sammlung ist ja seit
ihren ersten Anfängen in der »Bürgerschule« noch
keine 70 Jahre alt. Alte Meister im Kunsthandel zu
erwerben, war bei dem Mangel an Mitteln früher un-
möglich und beinahe grundsätzlich ausgeschlossen,
denn etwa bis zum Jahre 1880 wurden die Neu-
erwerbungen aus Mitteln des Kunstvereins bestritten,
der um seiner Ausstellungen willen ausschließlich
Werke lebender Künstler bevorzugte und nach Lage
der Dinge auch bevorzugen mußte. Aus diesem
Grunde besitzt das Museum der überwiegenden
Mehrzahl nach Werke der neueren Kunst, etwa vom
letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ab bis auf die
Gegenwart. Was bisher von Gemälden älterer Meister
(Deutsche, Italiener und Niederländer) in den Besitz
des Museums gelangte, wird, abgesehen von wenigen
Ausnahmen, Schenkungen, meist Vermächtnissen ver-
dankt. Die ersten niederländischen Meister gelangten
durch die Stiftung des Generalkonsuls Gustav Moritz
Claus 1860 in das Museum, 1878 folgte das Ver-
mächtnis der Freifrau Luise von Ritzenberg. Aber
erst durch die oben erwähnte erste Thiemesche
Sammlung und — im Jahre 1903 — durch das Ver-
mächtnis der wertvollen Galerie von Julius Otto Gott-
schald erhielt die Abteilung der niederländischen und
vlämischen Künstler einiges Ansehen, wenn auch die
feinen Stücke der Kabinettsmalerei spärlich vorhanden
waren, und mancher große Meister ganz fehlte. Die
neue Erwerbung hilft nun die Lücke ausfüllen. Daß
diese höchst wertvolle Erwerbung jetzt überhaupt
möglich war, verdankt Leipzig dem vornehmen Ent-
gegenkommen der Erben Alfred Thiemes und seiner
im Oktober vorigen Jahres verstorbenen Galtin.

JULIUS I OGEL.

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