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Nekrologe
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eigentlich gefunden war. Selbst die Nächstbeteiligten
kannten nicht die genaue Stalte, wo sie ans Tages-
licht gekommen war: Griechenland selbst, das grie-
chische Kleinasien, die Inseln, ja das ganz von grie-
chischer Kultur bedeckte Ufer des nördlichen Schwarzen
Meeres, das südliche Italien oder Sizilien konnten die
Heimat des Tempels der sitzenden Göttin sein. Denn,
wenn nicht da entstanden, wo sie später thronte, konnte
sie doch immerhin ein Werk eines großen Meisters
aus Athen oder Ägina und auf Bestellung der Gläubigen
einer griechischen Inselgemeinde oder Kolonie ge-
arbeitet sein. Im Kriege selbst war nicht mehr soviel
die Rede davon, und jetzt kommt die frohe, unerhörte
Kunde, daß das um seine Weltstellung und seine
Existenz kämpfende Deutschland diese Marmorstatue
birgt und daß man in dieser Zeit nicht zu überbietender
Kraftenlfaltung In Berlin noch den Weg gefunden hat,
den dem Werte dieser Statue äquivalenten Preis hin-
zulegen, der vielleicht der höchste ist, der je für eine
einzelne Antike gezahlt wurde, — ohne daß wir dabei
die übertriebene, dafür genannte Summe unterschreiben
wollen. Ja noch mehr, neben Berlin trat noch Bayerns
Metropole in den Wettbewerb um den Marmor und
wich nur dem Berliner Vorkaufsrecht, das sich Wie-
gands sicherer Blick errungen hatte; und auch Buda-
pest wollte den gleichen Preis zahlen und verzichtete
nur, einen höheren zu bieten, um den mit den gleichen
wirklichen Waffen kämpfenden Bundesgenossen nicht
im Kampf um künstlerischen und Kulturbesitz aus
dem Felde zu schlagen. So treten die Mittelmächte
für Kunst in einer Zeit auf, wo England seine Museen
schließt und seine Schulen dezimiert, um Geld zu
sparen! — Wo die Statue war und woher sie mitten
im Kriege in das von allen Seiten umschlossene und
belauerte Deutschland kam, ist jetzt noch, zurzeit, eine
müßige Frage; mag sie aus Cypern oder Cyrene, aus
einer der von der Entente besetzten griechischen Inseln,
aus dem feindlichen Süditalien oder Sizilien gekommen
sein; genug, sie ist in Berlin, schon manche haben
sie dort gesehen; und was Einzigartigkeit und Charakte-
ristikum einer Stilperiode des klassischen Altertums
betrifft, so hat kein Museum der Welt etwas Ähnliches
zur Seite zu stellen und kaum ist je irgendwohin ein
Kunstwerk auf abenteuerlicherer Reise gelangt.
Die ausgezeichnete Erhaltung der etwas über
Lebensgröße hohen Statue erlaubt den Schluß, daß
ihre Verehrungsstätte vielleicht ein unterirdischer Tempel,
oder daß ihr Heim durch ein Naturereignis so zu-
gedeckt war, daß sie die 24 Jahrhunderte seit ihrer
Entstehung fast heil überlebte. Allerdings fehlen ihr
die Hände und damit die Symbole, auf welche die
tragenden oder hinhaltenden Arme hinweisen, so daß
eine genaue Bestimmung, welche Göttin wir jetzt vor
uns haben, noch nicht zu treffen ist. Man kann an
eine Schale und einen Granatapfel denken, und es
mag eine Demeter, eine Persephone gewesen sein,
vielleicht auch eine Göttin, die die Eigenschaften der
Fruchtbarkeit und der Unterwelt in sich vereinigte. —
Weiter fehlen noch Teile der Fußbank und des Thrones,
aber letztere sind, wie wir erfahren, wieder aufgetaucht
und bereits unterwegs, so daß sie bald der Rücklehne des
Thrones wieder angefügt werden dürften. Die eine Seite
des Gesichtes hat gelitten. Farbspuren sind noch vor-
handen. Der Marmor ist parisch und ein einziger Block.
Die Göttin sitzt auf einem Thronsessel, an dem
wundervolle Palmettenornamente noch zu sehen sind,
und auf dessen Sitz und Rücklehne sich die Polster
erkennen lassen wie am Ludovisischen Thron. Der
obere Teil der Statue ist von vollendeter Ausarbeitung.
Ober- und Unterschenkel und die Beine sind noch
an den Block gebunden und stehen noch im Banne
der ägyptischen sitzenden Statue. Dagegen kommen
die Füße wieder in trefflicher Arbeit unter dem Ge-
wandsaume heraus. Drei Gewänder bedecken den
Körper, ein zierlich gefälteltes, rein archaisches Unter-
gewand, das Obergewand und der Mantel, und dieser
Mantel wirkt in einem Teil fast verwirrend, denn in
dem herunterhängenden Zipfel wagt der Künstler
einen Fortschritt, wie er sich bei den zum Vergleich
heranzuziehenden Figuren noch keineswegs offenbart.
Der Kopf, das Haar, die Zöpfe, die unter dem Kopf-
tuche hervorfallen, finden ihre Analoga in den spätesten
Koren des Akropolismuseums (den sogenannten Tanten);
aber ihr Stil führt noch weiter: man betrachte nur
das geradezu entzückend ausgeführte Ohr, und wie
sich das milde Lächeln zur hoheitsvollsten Anmut er-
hebt. Die Figur mag daher nach den spätesten der
Koren oder in die Zeit der Äginagiebelfiguren datiert
werden: mit 480 vor Chr. dürfte man das Jahr ihrer
Entstehung ungefähr taxieren — ohne daß wir aber
dabei das Rätsel des fortgeschrittenen Mantelzipfels
lösen können. Mannigfache Spuren zeigen, daß Metall
außer Farben zum Schmuck der Statue verwendet war.
Sie wird ein Diadem getragen haben (wonach sie
vielleicht auch als eine Stadtgöttin erkannt werden
darf), die Sandalen waren wohl durch Bronze- oder
Goldspangen gehalten u. a. m.
Jedenfalls ist der Eindruck der Statue, dieses Uni-
kums eines wirklichen Kultbildes, ein derartiger, daß
man sie als die Individualarbeit eines großen, uns noch
unbekannten Künstlers betrachten muß. Alles Hand-
werksmäßige ist ihr fern. Die Berliner archaische sitzende
Göttin wird in der Kunstgeschichte einen besonderen
Platz einnehmen, und Deutschland darf stolz darauf
sein, daß man in dieser Zeit den Mut und die Kraft
gefunden hat, ein solches Werk zu erstehen. M.
NEKROLOGE
Ernst Isselmann t- Der Maler Ernst Isselmann, der
am 17. März in seiner Vaterstadt Rees am Rhein im Alter
von dreißig Jahren gestorben ist, war über die Kunst-
gemeinde des westlichen Deutschlands hinaus noch kaum
bekannt geworden. Kurze Zeit nur Gast der Düsseldorfer
Akademie, dann in Dresden und Willingshausen in Bantzers
Schule sich heimischer fühlend, schien er schließlich doch
abseits von Gruppen und Sonderbünden eigenwillig seinen
Weg zu suchen, als Mensch wie als Künstler dem ge-
wählten Kreis, der noblen Malerei Werner Heusers und
der Gebrüder Sohn-Rethel noch am nächsten stehend. Die
Fachwelt wurde auf ihn aufmerksam, als er vor einigen
Jahren auf rheinischen Ausstellungen pointillistische, mit
einer frischen Meisterschaft gemalte Bilder zeigte. Land-
schaften, die von Paul Baum, den er in Willingshausen
kennen gelernt, berührt sind, bunter und lustiger als ihr
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eigentlich gefunden war. Selbst die Nächstbeteiligten
kannten nicht die genaue Stalte, wo sie ans Tages-
licht gekommen war: Griechenland selbst, das grie-
chische Kleinasien, die Inseln, ja das ganz von grie-
chischer Kultur bedeckte Ufer des nördlichen Schwarzen
Meeres, das südliche Italien oder Sizilien konnten die
Heimat des Tempels der sitzenden Göttin sein. Denn,
wenn nicht da entstanden, wo sie später thronte, konnte
sie doch immerhin ein Werk eines großen Meisters
aus Athen oder Ägina und auf Bestellung der Gläubigen
einer griechischen Inselgemeinde oder Kolonie ge-
arbeitet sein. Im Kriege selbst war nicht mehr soviel
die Rede davon, und jetzt kommt die frohe, unerhörte
Kunde, daß das um seine Weltstellung und seine
Existenz kämpfende Deutschland diese Marmorstatue
birgt und daß man in dieser Zeit nicht zu überbietender
Kraftenlfaltung In Berlin noch den Weg gefunden hat,
den dem Werte dieser Statue äquivalenten Preis hin-
zulegen, der vielleicht der höchste ist, der je für eine
einzelne Antike gezahlt wurde, — ohne daß wir dabei
die übertriebene, dafür genannte Summe unterschreiben
wollen. Ja noch mehr, neben Berlin trat noch Bayerns
Metropole in den Wettbewerb um den Marmor und
wich nur dem Berliner Vorkaufsrecht, das sich Wie-
gands sicherer Blick errungen hatte; und auch Buda-
pest wollte den gleichen Preis zahlen und verzichtete
nur, einen höheren zu bieten, um den mit den gleichen
wirklichen Waffen kämpfenden Bundesgenossen nicht
im Kampf um künstlerischen und Kulturbesitz aus
dem Felde zu schlagen. So treten die Mittelmächte
für Kunst in einer Zeit auf, wo England seine Museen
schließt und seine Schulen dezimiert, um Geld zu
sparen! — Wo die Statue war und woher sie mitten
im Kriege in das von allen Seiten umschlossene und
belauerte Deutschland kam, ist jetzt noch, zurzeit, eine
müßige Frage; mag sie aus Cypern oder Cyrene, aus
einer der von der Entente besetzten griechischen Inseln,
aus dem feindlichen Süditalien oder Sizilien gekommen
sein; genug, sie ist in Berlin, schon manche haben
sie dort gesehen; und was Einzigartigkeit und Charakte-
ristikum einer Stilperiode des klassischen Altertums
betrifft, so hat kein Museum der Welt etwas Ähnliches
zur Seite zu stellen und kaum ist je irgendwohin ein
Kunstwerk auf abenteuerlicherer Reise gelangt.
Die ausgezeichnete Erhaltung der etwas über
Lebensgröße hohen Statue erlaubt den Schluß, daß
ihre Verehrungsstätte vielleicht ein unterirdischer Tempel,
oder daß ihr Heim durch ein Naturereignis so zu-
gedeckt war, daß sie die 24 Jahrhunderte seit ihrer
Entstehung fast heil überlebte. Allerdings fehlen ihr
die Hände und damit die Symbole, auf welche die
tragenden oder hinhaltenden Arme hinweisen, so daß
eine genaue Bestimmung, welche Göttin wir jetzt vor
uns haben, noch nicht zu treffen ist. Man kann an
eine Schale und einen Granatapfel denken, und es
mag eine Demeter, eine Persephone gewesen sein,
vielleicht auch eine Göttin, die die Eigenschaften der
Fruchtbarkeit und der Unterwelt in sich vereinigte. —
Weiter fehlen noch Teile der Fußbank und des Thrones,
aber letztere sind, wie wir erfahren, wieder aufgetaucht
und bereits unterwegs, so daß sie bald der Rücklehne des
Thrones wieder angefügt werden dürften. Die eine Seite
des Gesichtes hat gelitten. Farbspuren sind noch vor-
handen. Der Marmor ist parisch und ein einziger Block.
Die Göttin sitzt auf einem Thronsessel, an dem
wundervolle Palmettenornamente noch zu sehen sind,
und auf dessen Sitz und Rücklehne sich die Polster
erkennen lassen wie am Ludovisischen Thron. Der
obere Teil der Statue ist von vollendeter Ausarbeitung.
Ober- und Unterschenkel und die Beine sind noch
an den Block gebunden und stehen noch im Banne
der ägyptischen sitzenden Statue. Dagegen kommen
die Füße wieder in trefflicher Arbeit unter dem Ge-
wandsaume heraus. Drei Gewänder bedecken den
Körper, ein zierlich gefälteltes, rein archaisches Unter-
gewand, das Obergewand und der Mantel, und dieser
Mantel wirkt in einem Teil fast verwirrend, denn in
dem herunterhängenden Zipfel wagt der Künstler
einen Fortschritt, wie er sich bei den zum Vergleich
heranzuziehenden Figuren noch keineswegs offenbart.
Der Kopf, das Haar, die Zöpfe, die unter dem Kopf-
tuche hervorfallen, finden ihre Analoga in den spätesten
Koren des Akropolismuseums (den sogenannten Tanten);
aber ihr Stil führt noch weiter: man betrachte nur
das geradezu entzückend ausgeführte Ohr, und wie
sich das milde Lächeln zur hoheitsvollsten Anmut er-
hebt. Die Figur mag daher nach den spätesten der
Koren oder in die Zeit der Äginagiebelfiguren datiert
werden: mit 480 vor Chr. dürfte man das Jahr ihrer
Entstehung ungefähr taxieren — ohne daß wir aber
dabei das Rätsel des fortgeschrittenen Mantelzipfels
lösen können. Mannigfache Spuren zeigen, daß Metall
außer Farben zum Schmuck der Statue verwendet war.
Sie wird ein Diadem getragen haben (wonach sie
vielleicht auch als eine Stadtgöttin erkannt werden
darf), die Sandalen waren wohl durch Bronze- oder
Goldspangen gehalten u. a. m.
Jedenfalls ist der Eindruck der Statue, dieses Uni-
kums eines wirklichen Kultbildes, ein derartiger, daß
man sie als die Individualarbeit eines großen, uns noch
unbekannten Künstlers betrachten muß. Alles Hand-
werksmäßige ist ihr fern. Die Berliner archaische sitzende
Göttin wird in der Kunstgeschichte einen besonderen
Platz einnehmen, und Deutschland darf stolz darauf
sein, daß man in dieser Zeit den Mut und die Kraft
gefunden hat, ein solches Werk zu erstehen. M.
NEKROLOGE
Ernst Isselmann t- Der Maler Ernst Isselmann, der
am 17. März in seiner Vaterstadt Rees am Rhein im Alter
von dreißig Jahren gestorben ist, war über die Kunst-
gemeinde des westlichen Deutschlands hinaus noch kaum
bekannt geworden. Kurze Zeit nur Gast der Düsseldorfer
Akademie, dann in Dresden und Willingshausen in Bantzers
Schule sich heimischer fühlend, schien er schließlich doch
abseits von Gruppen und Sonderbünden eigenwillig seinen
Weg zu suchen, als Mensch wie als Künstler dem ge-
wählten Kreis, der noblen Malerei Werner Heusers und
der Gebrüder Sohn-Rethel noch am nächsten stehend. Die
Fachwelt wurde auf ihn aufmerksam, als er vor einigen
Jahren auf rheinischen Ausstellungen pointillistische, mit
einer frischen Meisterschaft gemalte Bilder zeigte. Land-
schaften, die von Paul Baum, den er in Willingshausen
kennen gelernt, berührt sind, bunter und lustiger als ihr