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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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Wie Jaro Springer Fiel
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https://doi.org/10.11588/diglit.6189#0060

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Wie Jaro Springer fiel

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schnell machen, denn die russischen Kugeln flogen
uns über die Köpfe herüber. Wurde es erst hell,
dann hatten sie bessere Ziele. Zum Glück kamen
beim Eingraben keine Verluste mehr vor. Der nächste
Tag und die darauf folgende Nacht galten der Vor-
bereitung für den Sturm. Die Minenwerfergeschütze,
die Maschinengewehre und die Pioniere, die beim
Sturm den Drahtverhau durchschneiden sollten, kamen
an. — Dann kam der 13. August. Um 4 Uhr morgens
sollte die Kanonade beginnen und der Sturm war auf
10 Uhr festgesetzt worden. Leider trat starker Nebel
ein, so daß die Zeit verschoben werden mußte. Die
Nachbarkompagnie wurde abgelöst. Warum nicht
auch wir, die wir seit fünf Tagen keine Ruhe hatten.
Diese Worte gingen in der Kompagnie herum. Wars
Ängstlichkeit? Ich glaube es fast. Doch, wie immer
bei einem Sturm, sind die Gemüter sehr verschieden.
Einige beten, einige sind lustig, einige traurig. Alle
Abstufungen treten kraß hervor. Jeder ist mit sich
selbst beschäftigt. Endlich war der Nebel gewichen,
und die Schießerei begann. Schaurig und doch schön
war es anzusehen, als unsere schwersten Geschütze
ihre Granaten in die russischen Unterstände warfen.
Dann ging ein Haus nach dem anderen in Flammen
auf, da man im Dorfe russische Reserven vermutete.
Unsere Minenwerfergeschütze warfen ihre Leiber in
die russischen Schützengräben und in die von uns
angegebenen Durchbruchsstellen. Doch die Russen
blieben die Antwort auch nicht schuldig. Die zielten
aber schlecht und keine Granate traf unseren Graben.
Nur durch Gewehrschüsse wurden einige verletzt.
Wir alle standen zuerst, trotz dieser Gefahr, aufrecht
im Graben und beobachteten dieses schöne Schauspiel.
Waren doch an dieser Kanonade ca. 2000 Geschütze,
davon russische ca. 1200 beteiligt. Schließlich hatten
wir auch dieses Vergnügen satt. Dann unterhielt sich
der Hauptmann lebhaft mit mir. Er war sehr betrübt
über den Verlust eines Unteroffiziers. Dieser war ein
Angestellter der Chemischen Fabrik Heyden bei Dresden
gewesen. »Der Inhaber ist ein Onkel meiner Frau,
ich werde bitten, daß er etwas für die Hinterlassenen
tut,« so sagte er. Auch über seine Familie sprach
er. Dann wurde er wieder ernst. »Nehmen Sie diese
kleine schwarze Flasche zum Andenken, falls ich falle.
Aber heiße Getränke dürfen Sie nicht hineinfüllen.«
»Ach, wer wird solche Gedanken hegen,« erwiderte
ich lustig auf ihn einwirkend. — »Sie beschämen
mich immer! Aber eine Pille müssen Sie mir doch
gestatten! — Was sind es denn für Dinge?« »Kola!
Die schaden nichts,« erwiderte ich, »nehmen Herr
Hauptmann nur.« Dann bat ich ihn, doch noch mal
durch den Schützengraben zu gehen und den Mann-
schaften einige derbe Aufmerksamkeiten zu sagen, da
sie es gern hätten. Als er zurück kam, meinte er:
»Die wissen nichts von ihrer bevorstehenden Gefahr,
sie sind alle sehr guter Dinge. Wir müssen aber
beim Sturm ganz vorne sein; meine Führer machen
mir ein zu ängstliches Gesicht. Ich bin in diesen
Tagen sehr enttäuscht gewesen.« Dann studierten
wir uns auf polnisch: er »ich bin der Teufel« und
ich: »steht, Hände hoch, Deutscher ist gut«, ein.

Gegen Mittag krochen der Hauptmann und ich aus
unserem Unterstand, am Schützengraben entlang bis
zu unserem rechten Flügel, wo die Sturmkolonnen
herausbrechen sollten. Die Lage hatte ihren Höhe-
punkt erreicht, hieß es doch für jeden bald: »Sein
oder Nichtsein.« »Jungens, i&r braucht keine Angst
zu haben, ich gehe mit euch« rief der Hauptmann
den jüngeren Pioniertruppen zu. »Haben wir auch
nicht«, antwortete einer. Auf allen Gesichtern ruhte jetzt
Mut und Zuversicht. —Jetzt kam der Augenblick! —
Wie auf ein Kommando erhoben sich um punkt
1 Uhr 30 Minuten mittags die Sturmkolonnen und
liefen nach den russischen Stellungen zu. Auch der
Hauptmann mit seinen beiden Gefechtsordonnanzen
sprang tu gleicher Zeit auf. Immer neue Kolonnen
folgten. Doch die Russen paßten auf. Ein wahrer
Kugelregen prasselte uns entgegen. Mancher stürzte
zu Boden! Einige suchten auf freiem Felde Deckung
zu nehmen. Gleich rief der Hauptmann: »Wollt ihr
mal vorwärts! Ihr habt doch hier viel größere Ver-
luste!« Als der Sturmlauf zu erlahmen anfing, gab
ich das Zeichen zum Hurrarufen. Wieder wurde die
Masse belebt und endlich der Drahtverhau erreicht.
Mit Spaten, Scheren, Gewehrkolben, mit Fußtritten
machten die Ersten sich freie Bahn, dann ging es
weiter, dem westlichen Ausgange des Dorfes Pucsin
zu. Von hier sahen wir, daß die hinter uns kom-
menden Kameraden die ersten Gefangenen aus den
wenigen unversehrt gebliebenen Unterständen heraus-
holten. Alle anderen waren von unserer Artillerie
zusammengeschossen. Wir hatten aber keine Zeit,
auf die Wirkungen unserer Granaten zu achten, wir
mußten weiter; galt es doch die Hauptstellung östlich
des Dorfes zu erobern, von wo die Russen ihr furcht-
bares Flankenfeuer herabsandten. »Dauerts noch
lange?« rief nun der Hauptmann mir zu. Er konnte
kaum noch laufen, der Atem war ihm ausgegangen.
Ich rief: »Nein, nein, nur noch ein paar Schritte!«
Dann faßte ich ihn am Arme. Ich mußte unbarm-
herzig sein, denn nur in der Schnelligkeit des Angriffes
liegt der Erfolg. Bald konnten wir nicht weiter, das
Feuer wurde zu heftig, die Kompagnie und die in-
zwischen mitvermischten Truppen anderer Kompagnien
mußten in einem Graben Deckung suchen. Hier
hörten wir nun, daß einige von uns schon gefallen
waren, darunter die andere Gefechtsordonnanz. Auch
der erste Zugführer war schwer verwundet worden.
»Schrecklich!« stöhnte der Hauptmann auf, er war
stark mitgenommen, da ein Herzfehler ihm viel zu
schaffen machte. Doch es gab keine Ruhe, ich riß
ihn wieder mit fort. Wir mußten von der Flanke
angreifen, wenn wir uns vor Verlusten bewahren
wollten. »Alles was hier liegt, mir nach!« rief der
Hauptmann. Bald ließ das Feuer nach, wir holten
im weiten Bogen aus, und die Russen konnten nicht
so schräg schießen. In kurzer Zeit waren wir ihnen
fast im Rücken und kaum zwanzig Schritte von ihnen
entfernt. Hinter einem dicken Baumstamm suchten
wir Deckung und feuerten unaufhörlich in ihre nach
hinten offenen Unterstände hinein. Bald kam Ver-
wirrung in ihre Reihen, aber nach kurzer Zeit nahmen
 
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