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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.6189#0124

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235

Literatur

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letzten Endes zuiückzuführen sind auf ein andersartiges
Wollen zweier Generationen. Der Historiker würde aber
seine Stellung außerhalb der Parteien preisgeben, wollte
er dieses Wollen an sich werten, anstatt der Werke, die
an der einen und an der anderen Stelle entstanden. Trotz
aller Bedenken gegen den anscheinend ungeheuerlichen Ge-
rechtigkeitssinn, der von den Ägineten zu Rembrandt, von
Peru bis China alle Äußerungsformen menschlichen Kunst-
geistes mit gleicher Liebe umgreift, ist es tatsächlich dem
empfänglichen Betrachter möglich, zu so verschiedenen
Dingen die entsprechende Einstellung zu finden. Allein
die Gegenwart läßt sich nicht mit solchem historischen
Gleichmut interpretieren. In all den Strömungen und
Gegenströmungen, die wir schauend miterleben, heut schon,
aus einer Nähe, die noch keinen Überblick gestattet, die
Hauptrichtungen zu erkennen und das Wesentliche vom
Unwesentlichen mit Sicherheit zu sondern, ist ein Ding der
Unmöglichkeit. Den einzigen Maßstab vermag der Begriff
der Qualität zu geben. Man wird versuchen müssen, die
hochwertigen Leistungen herauszuheben. Aus ihrer Inter-
pretation mag sich Gemeinsames und Widerstrebendes
herauslesen lassen, als Bausteine einer künftigen Erkenntnis
vom Geiste der Zeit. Aber es bleibt bedenklich, die Ein-
stellung unmittelbar auf das Wollen zu nehmen und sich
allzu vertrauend auffällig zu Tage liegenden Strömungen
zu überlassen. Denn es kann leicht geschehen, daß um des
Interesses an einer neuen Form künstlerischen Ausdrucks
willen Künstler geringen Grades an Bedeutung unverhältnis-
mäßig zu gewinnen scheinen. In dem Maße, wie sich der
Historiker der jüngsten Gegenwart nähert, verwandelt
sich die objektiv konstatierende Einfühlung in das jeweilige
Kunstwollen einer Generation in eine unbedingte Partei-
nahme, der schließlich logischerweise alles Frühere zum
Opfer gebracht werden müßte. So gipfelt Hausensteins
Buch in einer Apothese der Kunstanschauungen der ab-
soluten Malerei, des Kubismus und des Futurismus, und
das bescheidene Talent eines Kandinsky, der unfruchtbare
Eklektizismus des Picasso, der süßliche Kitsch italienischer
Modemaler der Segantinischule wird unter dem Aspekt
eines gesteigerten Wollens so hoch emporgehoben, daß
ein Meister vom Range Leibis kaum mehr imstande ist,
neben ihnen seine Geltung zu bewahren. Dem Kunstkri-
tiker, dessen Amt sich allein in Beurteilung und Deutung
unmittelbar zeitgenössischer Kunst vollendet, bedeutet
das geringe Sorge, weil er nicht in die Gefahr kommt, die
Konsequenzen selbst ziehen zu müssen. Aber Hausenstein
begnügt sich nicht mit einer Darstellung gegenwärtiger
Kunst, sondern er versucht, ihre Entwicklungsgeschichte zu
schreiben, indem er auch die Hauptströmungen der zweiten
Hälfte des IQ. Jahrhunderts in den Kreis seiner Betrach-
tungen einbezieht. Der Kunstkritiker, der sich als Mittler
zwischen Künstler und Publikum fühlt, mag die Werke
der Kubisten und Futuristen sachlich zu deuten versuchen,
und die reichhaltige Literatur der jüngsten Künstlerästhetik
macht es ihm wahrlich leicht genug, das immanente —
oder müssen wir sagen praeexistente? — Wollen zu in-
terpretieren. Der Historiker aber begibt sich in eine Ge-
fahr, wenn er diese Erscheinungen gleichberechtigt der Dar-
stellung voraufgegangener Epochen anreiht, und mehr noch,
dazu gelangen muß, diese selbst nun unter dem Gesichts-
winkel der jüngsten Strömungen zu werten. Jeder entwick-
lungsgeschichtlichen Darstellung liegt die Vorstellung der
eindeutigen Bewegung auf ein sichtbares Ziel zum Grunde.
Der Historiker bestimmt diese Bewegung, indem er das
Werdende im Hinblick auf das Gewordene betrachtet. So
wird er gewissermaßen zum nachträglichen Propheten. Aber
da er nicht die Zukunft kennt, die der Gegenwart seines
eigenen Daseins folgt, versagt diese Art der Betrachtung

notwendig, wenn er das noch im Werden Begriffene ent-
wicklungsgeschichllich zu deuten unternimmt. So kann
auch Hausenstein nicht langsam ein fertiges und wohlge-
formtes Bild entrollen, sondern er muß den Leser einladen,
gleichsam selbst das Chaos des Werdens eines bunten
Zeitgemäldes mitzuerleben. Meinungen werden geformt
und wieder verworfen, Schlagworte werden geprägt, um
sogleich wieder entlarvt zu werden. Man spürt eine ständige
Beunruhigung, aber man empfindet es auch, daß ihr letzter
Grund die tiefe Skepsis eines gewissenhaften Denkers ist,
der den eigenen Resultaten nicht blindlings vertraut.

Der Verfasser hat selbst die Gefahren seines Unter-
nehmens nicht verkannt. Es gibt Sätze in seinem Vorwort,
mit denen die Einwendungen, die gegen sein Werk erhoben
werden können, klar und treffend formuliert sind. So nennt
er sein Buch einen »sonderbaren Kompromiß zwischen
den stärksten subjektiven Beteiligungen und einer verhält-
hältnismäßig indifferenten Wahrnehmung gewisser Werte
und Unwerte, die zur Zeit gehören und ihr Wesen bauen
helfen.« Der Satz entwaffnet den Kritiker, der nicht die
Absicht hegt, um persönliche Meinungen zu rechten, zumal
es ein Unrecht wäre, aus diesem brodelnden Chaos einzelne
Brocken emporzuheben, um Urteil gegen Urteil zu stellen.
Denn das Beste ginge darüber verloren, und das ist das
hurtige Tempo und die lebendige Teilnahme, mit der dieses
Buch geschrieben ist. Olaser.

Zeichnungen alter Meister in der Kunsthalle zu
Bremen. 1. Teil. Veröffentlichungen der Prestel-Ge-
sellschaft. Frankfurt a. M., 1914. A. Voigtländer-Tetzner.

Auch diese neue Mappe der Prestel-Gesellschaft bringt
wieder schönes Vergleichsmaterial für den Kunstgelehrten
und vieles, was der Kunstfreund mit Dankbarkeit und mit
freudigem Genießen entgegennehmen wird. Unter den
Künstlern, die vertreten sind, befinden sich 5 Deutsche,
darunter 3 Dürer und ein köstlicher Schäuffelein, 2 Italiener,
2 Franzosen und die stattliche Zahl von 19 Niederländern,
darunter 4 Rembrandt, 3 temperamentvolle v. Dycks und
so manches andere Stück, das künstlerisch oder kunst-
historisch interessant und wertvoll ist.

Gerade von den neu gegründeten Stadtmuseen werden
solche Publikationen ganz besonders freudig begrüßt werden,
ermöglichen sie ihnen doch heute, wo die Originale für
sie nicht mehr zu beschaffen sind, bei dem hohen Stand
der Reproduktionstechnik, für verhältnismäßig geringe Mittel
einen Ersatz für ein Handzeichnungskabinett zu beschaffen.

Sollen nun aber diese Publikationen von Handzeich-
nungen — es sind in der letzten Zeit ja verschiedene im
Erscheinen begriffen — für die kleinen Stadtmuseen zu
einem leicht benutzbaren Handzeichnungskabinett verar-
beitet werden, dann müßten die Blätter nach Meistern und
Schulen geordnet werden können. Dem steht aber die
verschiedene Größe, Ausführung und Aufmachung der ver-
schiedenen Publikationen im Wege. Es wäre deshalb sehr
wünschenswert, wenn sich die verschiedenen Herausgeber
untereinander verständigten, damit sie ihre Ausgaben zu
einer möglichst großen Übereinstimmung brächten und sie
gleich, ähnlich wie dies bei den Berliner Blättern geschehen
ist, mit Rücksicht auf die vorerwähnte Einordnung mit be-
stimmten gleichmäßigen Bezeichnungen versähen. Das
wäre doch nur eine kleine Mühe und leicht zu bewerk-
stelligen, wenn nur eine Art Zentrale vorhanden wäre, die
diese Angelegenheit in die Hand nähme, wozu möglicher-
weise die Prestel-Gesellschaft, die ja keine Privatinteressen
vertritt, besonders geeignet wäre.

Diesen Wunsch glaubte ich zunächst im Interesse unseres
Museums einmal vorbringen zu sollen.

Wenn ein so vorsichtiger Mann wie Gustav Pauli eine
 
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