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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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Ausstellung von Handzeichnungen holländischer Meister aus dem Besitze von Dr. C. Hofstede de Groot in der Tuchhalle in Leiden
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https://doi.org/10.11588/diglit.6189#0176

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Ausstellung von Handzeichnungen holländischer

Meister von Dr. C. Hofstede de Groot in Leiden

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und 1625, die wahrscheinlich auch für Buchillustrationen
bestimmt gewesen sind. (Nr. 97—100, alle voll bezeichnet
und datiert.) Van de Vennes Figürchen sind im Ausdruck
oft etwas schablonenhaft, was bei einer so fabriksmäßigen
Arbeit, wie sie die lllustrationstätigkeit in großein Maß-
stabe mit sich bringt, nicht Wunder nehmen darf. Was
seinen Personen oft abgeht, das individuelle Leben, das
ist in ganz besonderem Maße einem Zeitgenossen von
ihm eigen, der dem Haarlemer Kreis des Esajas van de
Velde und Dirk Hals nahe gestanden hat, dem auch selbst
als Stecher tätigen W. Buytewech. Die zwei Skizzen von
ihm (Nr. 34 und 35), impressionistische Tuschezeichnungen
ohne Signatur, offenbar Darstellungen derselben Figur in
verschiedenen Ansichten, waren nichts weniger als bloße
Modepuppen, sondern von Leben sprühende, geniale
Schöpfungen, in denen man etwas von dem französischen
Geist und der französischen Beweglichkeit des 18. Jahr-
hunderts zu spüren glaubte. Ein durch die naturgetreue
treffende Wiedergabe der Figuren in Haltung und Ausdruck
ausgezeichnetes Werkelten war das im Einzelnen sorgfältig
durchgeführte Blatt mit der Darstellung eines Finkenherdes
(Nr. 36, getuschte. Federzeichnung; Versteigerung Fred.
Muller, Juni 1912, Nr. 51), der Entwurf für einen Stich
von Jan van de Velde aus der Folge der Elemente, der
sich eng an die Zeichnung anschließt (Franken, Nr. 138).
Wie meisterhaft sind die Spannung und Aufmerksamkeit
ausgedrückt, mit der die auf dem Boden hockenden Vogel-
steller die Finken beobachten, die schon im Bereich der
Netze die Körner auflesen; alle sind mäuschenstill, um
nicht durch ein Geräusch die vorsichtigen Tiere wieder
zu verscheuchen; die Hauptperson hat schon die Hand
an der Leine, um die Schlinge zuzuziehen. Wie eine Mo-
mentaufnahme mutet diese kleine Skizze an.

Der amüsanten erzählenden Kunst der van der Velde
und van de Venne nahe verwandt sowohl durch die Stoff-
wahl, wie durch die zum Teil durch das kleine Format
bedingte oft miniaturenhaft feine Ausführung ist das Werk
des Hendrik Avercamp. Neben ihrem künstlerischen Wert
sind diese Avercampschen Zeichnungen durch die Sorg-
falt, mit der hier, wie bei van de Venne das Detail, vor
allem das meistens farbig wiedergegebene Kostüm be-
handelt ist, für die Kulturgeschichte von besonderem Inter-
esse; was den kleinen Sachen in künstlerischer Hinsicht
ihren Hauptreiz verleiht, das ist die kindliche Freude, die
der Maler über die Buntheit des menschlichen Treibens
empfindet, und die Unbefangenheit und Liebe, mit der er die
ganze Erscheinungswelt beobachtet haben muß; von van
de Venne unterscheidet ihn vornehmlich sein stärkeres
Naturgefühl, wodurch das Landschaftliche bei ihm einen
größeren Platz einnimmt. Von seiner Art gaben im ganzen
neun Zeichnungen eine schöne Vorstellung; die meisten
davon waren in Wasserfarben ausgeführt und zeigten das
Monogramm des Künstlers (Nr. 2—10); dazu gehörten eine
charakteristische Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern
(Nr. 8), und eine Landschaft mit einem Bauern, der mit
einem großen Netz in einem Graben fischt, außerdem
verschiedene Figurenstudien; ein Architekturbildchen mit
einem Schloß und einer Kirche an einem Wasser war nicht
mit Avercamps gewöhnlichem Monogramm, sondern mit
den verschlungenen Buchstaben A. V. bezeichnet (Nr. 5;
Versteigerung R. W. P. de Vries, Dezember 1913, Nr. 19).
Von den nicht signierten Blättern sei hervorgehoben eine
Darstellung von drei Fischern in einem Boot; brillant sind
hier die Figuren in ihren verschiedenen Tätigkeiten charak-
terisiert. Wie der eine die Ruder führt und dabei auf-
merksam seinen Kameraden beobachtet, der vorsichtig das
schwere Netz aus dem Wasser zieht, das ist mit großer
Lebenswahrheit wiedergegeben.

Von den Vorläufern und Wegbereitern der hollän-
dischen Kunst des 17. Jahrhuderts war ferner noch J. de
Gheyn mit vier Zeichnungen verteten; darunter befand sich
die Studie eines blasenden Trompeters (Versteigerung Fred.
Muller, Juni 1912, Nr. 92; getuschte Federzeichnung), eine
auch in der Größe fast ganz übereinstimmende Wieder-
holung einer Zeichnung im Amsterdamer Kupferstich-
kabinett; außerdem ein groteskes Blatt mit schreienden
Frauen (Nr. 46), ein auf einem umgekehrten Korb sitzen-
der Fischer (Nr. 44) und das Bildnis eines Knaben (Nr. 47;
Versteigerung R. W. P. de Vries, Dezember 1913, Nr. 310),
alles Federzeichnungen. In der Manier de Gheyns waren
zwei merkwürdige allegorische Vorstellungen zu sehen
(Nr. 48; R.W. P. de Vries, Dezember 1913, Nr. 314), die
in der Art der Ausführung an deutsche Meister des 16. Jahr-
hunderts erinnerten, und ein Blatt mit einer Katze, einer
Maus und einer Eidechse, eine fein gestrichelte Feder-
zeichnung, die aus der Sammlung W. Esdaile stammt
(Nr. 49); die Katze ist vielleicht eine Vorstudie für die
Katze auf dem Stich de Gheyns Une danse de sorcieres
(Passavant 56).

Die größte Überraschung und den künstlerisch bedeut-
samsten Teil der Ausstellung bildete das Werk eines sehr
seltenen Meisters, nämlich eine Reihe wahrhaft genialer
Skizzen von Adriaen Brouwer. Brouwer ist wie Frans
Hals, und in seinen Zeichnungen noch stärker als dieser,
ein ausgesprochen technisches Problem; denn was hier
vor allem Bewunderung abzwingt, das ist nicht die Tiefe
oder Weite seiner künstlerischen Persönlichkeit, sondern
die Virtuosität, mit der der Künstler mit einem Minimum
von Strichen eine Person zu charakterisieren versteht,
daß sie ganz von vibrierendem Leben erfüllt scheint.
Brouwer kennt wie kaum ein zweiter die große Kunst
des Weglassens, des Zusammenfassens und Vereinfachens;
Einzelheiten sieht er gar nicht, will er nicht sehen, nur
um den adäquaten Eindruck des Ganzen, des dramatischen
Momentes ist es ihm zu tun, und alles opfert er diesem
Effekt des Lebens; unter den Holländern ist er der erste
Impressionist. Wie er z. B. seine derben Trinkbrüder
lachen läßt, ob sie nun ein lautes wieherndes Gelächter
anstimmen oder die Miene kaum merklich zu einem ver-
stohlenen Insichhineinlächeln verziehen, wie sie dann
wieder den breiten Mund zu einem wüsten Gröhlen auf-
reißen, oder wie sie über einen vor ihnen stehenden Zech-
genossen hinweg auf ein Notenblatt blicken, von dem sie
absingen, all diese Veränderungen der Physiognomie, all
diese Gesten, sind mit einer verblüffenden Treffsicherheit
dargestellt, wie sie nur den allergrößten Malern, etwa
einem Rembrandt, eigen ist. Von seinen Vorgängern trennt
Brouwer eine Kluft, und auch von seinen Nachfolgern,
von Ostade oder Steen kommt ihm niemand gleich. — Die
meisten der Brouwerschen Blätter waren blaugrüne Pinsel-
zeichnungen, alle von größerem Format. Eine ursprüng-
liche Bezeichnung trug kein Blatt (Nr. 20—23). Sehr ab-
wechslungsreich ist das Programm Brouwers nicht; immer
sind es trinkende und singende oder kartenspielende
Bauern in einer Kneipe; ausnahmsweise verlegt er die
Szene mal ins Freie, wie auf Nr. 24, wo er zu den Klängen
einer Fiedel tanzende Bauern vor einer Wirtschaft dar-
gestellt hat. Das Blatt mit dem Herbergsinterieur mit dem
Bauern mit der flachen Mütze im Vordergrund kam auf der
Versteigerung bei Muller, Juni 1912, vor.

Recht flott skizzierte Figurenstudien, ungefähr aus der-
selben Zeit wie die Arbeiten Brouwers, waren von Andries
Both zu sehen, ein Blatt mit fünf phantastischen Figuren,
eine Rötelzeichnung (Nr. 17), und ein anderes mit einem
Hexenmeister mit musizierenden Ungeheuern, wie sie auf
Versuchungen des heiligen Antonius vorkommen, eine
 
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