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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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Daun, Berthold: Nicht Veit Stoss, sondern Meister Paul
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https://doi.org/10.11588/diglit.6189#0184

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Nicht Veit Stoß, sondern Meister Paul

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weite Reise von Nürnberg nach Siebenbürgen unter-
nommen habe. Bis zum Jahre 1523 beschäftigte den
alten Meister die Schnitzarbeit am Bamberger Altar1).
Wie dem aber auch sei, Spuren der Kunst des Veit
Stoß selber habe ich in Siebenbürgen nicht auffinden
können. Ob der Kronstadter Veit Stoß ein Sohn des
Meisters, denn einer seiner Söhne hieß auch Veit2), oder
ein Enkel desselben war, muß ich unentschieden lassen.

Von der Wirksamkeit der nach Siebenbürgen aus-
gewanderten Söhne des Veit Stoß in Schäßburg,
Medias und Bergsaß wissen wir bisher gar nichts.
Um so mehr muß es überraschen, daß Victor Roth
versucht hat, Werke in Orten Siebenbürgens, in
Mühlbach und Radeln, unter dem Namen des
alten Veit Stoß zusammenzustellen^). Zu diesem miß-
glückten Versuch wurde Roth zum nicht geringen
Teil durch die Hypothese des Kronstadter Aufenthalts
verleitet. Loßnitzer in seinem Buche über Veit Stoß4)
glaubte dagegen, in diesen Schnitzwerken nur so ent-
entfernte Beziehungen zu den beglaubigten Arbeiten
des Meisters Veit Stoß erblicken zu sollen, daß keins
derselben mit Bestimmtheit den Söhnen, geschweige
denn dem Meister selber zuzuweisen sei.

Mit so kurzen Worten dürfen jedoch diese Sieben-
bürgischen Altarwerke nicht übergangen werden, denn
für die Stoß-Schule sind sie interessant genug; auch
glaube ich, einige neue Gesichtspunkte anführen zu
können.

Als hauptsächlichstes Werk deutscher Holz-
schnitzerei und bedeutendstes Wahrzeichen deutschen
Kunstlebens nicht nur innerhalb der sächsischen Siede-
lung im Karpathenlande, sondern in ganz Ungarn hat
Victor Roth den großen Altar in der evangelischen

schon 85 Jahre alt gewesen. Den späteren Angaben Murrs
und Füßlis zufolge, Veit Stoß sei 1447 (?) geboren, wäre
Veit Stoß im Jahre 1523 erst 76 Jahre alt gewesen. Da
Neudörfer das Geburtsjahr des Meisters nicht angibt und
wir nicht wissen, woher Murr und Füßli ihre Angabe 1447
entnommen haben, scheint diese Behauptung willkürlich
zu sein. Jedenfalls war Veit Stoß im Jahre 1523 schon
hoch betagt.

1) Datiert 1523. Gegen die Identifizierung des in
Kronstadt bezeugten Veit Stoß mit dem Nürnberger Meister
hat sich meines Erachtens mit Recht G. A. Schuller ge-
wendet (Bemerkungen zu dem Aufsatz »Der Nürnberger
Bildschnitzer Veit Stoß in Kronstadt«, Korrespondenzblatt
des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, XXIX,
S. 113 ff.); es sei vielmehr anzunehmen, daß ein gleich-
namiger Sohn des alten Meisters genannt sei. Die im Jahre
1523 erfolgte Aufstellung des Bamberger Altars (! — der
Altar ist unvollendet und gelangte erst später nach Bam-
berg) schließe die Anwesenheit des Veit Stoß in Kron-
stadt aus.

2) Ob dieser Veit mit Veit Stoß d. J., der 1569 zu
Frankenstein laut Inschrift auf der Grabtafel gestorben
ist und bei Neudörfer in Nürnberg die Rechenkunst er-
lernt hatte, identisch ist, kann nicht eher entschieden
werden, bis man nicht weiß, ob dieser Veit Stoß d. J.
das Handwerk des Bildschnitzers betrieben hat.

3) Dr. Victor Roth, Geschichte der deutschen Plastik
in Siebenbürgen, Studien zur Deutschen Kunstgeschichte,
1906, Heft 75, S. 56ff.

4) Max Loßnitzer, Veit Stoß, die Herkunft seiner Kunst,
seine Werke und sein Leben. Leipzig 1912, S. 122.

Stadtpfarrkirche zu Mühlbach .behandelt und ihn
dem Veit Stoß selber zugeschrieben, der ihn in den
Krakauer Jahren 1490 —1496 mit Schülerhilfe ge-
schnitzt habe. Die stilkritische Untersuchung ergibt,
daß Veit Stoß der Meister des Mühlbacher Altars
keineswegs sein kann und das äußerste Datum 1496
zu früh bemessen ist. Dagegen sehe ich mich ver-
anlaßt, die Hand eines bekannten Stoß-Schülers in
diesen Schnitzwerken zu erkennen, und glaube rich-
tiger datieren zu können.

Das in der linken Ecke neben der Altarstaffel an-
gebrachte Wappen, das entweder auf König Wla-
dislaus IL (1490—1516) oder dessen Sohn Ludwig IL
(1516—1526) weist, deutet auf die Entstehung des
Altars zwischen den Jahren 1490—1526"). Roth
folgerte weiter, daß der Altar in dem engeren Zeit-
raum zwischen 1490 und 1496 zu datieren sei, da
die kurze (doch hypothetische!) Anwesenheit des Veit
Stoß in Kronstadt die Arbeit an dem umfangreichen
Altarwerke ausschließe und diese vielmehr in der
Krakauer Zeit des Veit Stoß, also bis 1496 entstanden
sein müsse. Ferner ist es ein Irrtum Roths, für das
architektonische Gerüst mit der Renaissance-Ornamentik
einen anderen, Veit Stoß durchaus fernstehenden
Meister anzunehmen, da Stoß in der Ornamentik
Gotiker war. Gerade die Ornamentik weist untrüg-
lich auf den Stoß-Schüler.

Mit Recht hebt Roth hervor, daß, wenn der pla-
stische Schmuck des Mühlbacher Altars wirklich ein
Werk des Veit Stoß ist, sich ähnliche oder überein-
stimmende Merkmale an andern Stoß-Arbeiten vor-
finden müssen. Das sei in der Tat der Fall. Ich bin
gerade der gegenteiligen Meinung: nichts erinnert
direkt an Veit Stoß, dafür aber manches an seinen
Schüler Paul, den Schöpfer des Leutschauer Hoch-
altars").

Der Schrein des Mühlbacher Altars enthält die
Madonna als Hauptbestandteil des Stammbaumes Christi,
der aus der Brust des schlafenden Isai7) hervorwächst
und auf seinen Zweigen die Brustbilder der zwölf
Könige aus dem Hause Davids trägt. Vier Engel
umschweben die Maria, die Bekrönung des Schreines
bildet ein Kruzifix. Die vier Reliefs der unbeweg-
lichen Flügel stellen Verkündigung, Anbetung der
Könige, Heimsuchung und Beschneidung dar. Die
Ornamentik am architektonischen Gerüst ist trotz der
argen Beschädigung im Jahre 1523 im wesentlichen
erhalten geblieben, denn das Blattrankenwerk ähnelt
sehr der Ornamentierung an dem kleinen Johannis-

5) Die Inschrift in dem Altarschrein: Altare hoc ex-
structum est anno 1418, ist offenbar später und falsch.
Laut Inschrift an einem Chorpfeiler wurde der beim Erd-
beben 1523 beschädigte Altar im Jahre 1524, dann später
1681, 1796 und nochmals 1896 restauriert und recht modern
polychromiert (vgl. Baumann, Zur Geschichte von Mühl-
bach, Mühlbacher Gymnasialprogramm' 1896, S. 26 f.).

6) Daun, Veit Stoß und seine Schule in Deutschland,
Polen und Ungarn, 1903, S. 113ff., Abb. S. 114-116,
Fig. 63—65.

7) Vgl. die Gestalt des schlummernden Isai unten am
Anna-Altar in Pest, der ebenfalls von Meister Paul ge-
schnitzt ist. Abb. bei Daun, Veit Stoß . . ., S. 120, Fig. 69.
 
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