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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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Die Kunstversteigerungen in Berlin und Wien im Mai 1916
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Die Kunstversteigerungen in Berlin und Wien im Mai 1Q16

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dem erzielte die Versteigerung etwa anderthalb Mil-
lionen Mark, eine Summe, die noch überschritten
wäre, hätte man die Sammlung in Berlin veräußert.

Die reichhaltigste und interessanteste Sammlung,
welche wieder in Berlin zur Versteigerung kam, war
zweifellos die Sammlung von Beckerath, aber
auch diese war keineswegs eine gewählte und enthielt
auch nur eine beschränkte Zahl wertvoller Stücke,
keines von wirklich außerordentlichem Werte. Der
im Alter von fast 82 Jahren verstorbene Adolf
von Beckerath war ein leidenschaftlicher Sammler und
hat durch ein halbes Jahrhundert gesammelt, aber
seine Leidenschaft überstieg seinen Qualitätssinn und
in neuerer Zeit auch seine Mittel. Er hat es daher
nicht verstanden, seine Sammellust zu zügeln und
sich auf wenige, aber ganz gute Stücke zu beschränken.
Um sich die Mittel zu immer neuen Erwerbungen zu
verschaffen, hat er vor etwa sechzehn Jahren den
Berliner Museen ganze Teile seiner Sammlungen über-
lassen, darunter vor allem die reichhaltigste und beste
Abteilung, seine Handzeichnungen. Seither hat er
manches neue Stück erworben, aber auch wieder ver-
äußert; machte er doch vor kaum drei Jahren selbst
schon eine große Versteigerung seiner Majoliken. Daher
machte die jetzt von den Erben zur Veräußerung ge-
brachte Sammlung nur den Rest seiner Bestände aus,
und doch umfaßte sie noch weit über tausend Stücke
sowie kleinere Abteilungen, wie die Stiche, Zeich-
nungen und Miniaturen, die daneben verkauft worden
sind. Unter dieser Menge war immerhin noch eine
beträchtliche Zahl von guten und namentlich künst-
lerisch interessanten Stücken, fast ausnahmslos Werke
der italienischen Renaissance: Bildwerke und Arbeiten
der Kleinkunst, deren beste Stücke daher von den
Museen wie von den größeren Sammlern Deutschlands
und Österreich-Ungarns stark umstritten waren. Unter
den ersteren hat das Museum von Budapest, wie in
der Versteigerung Stern, so auch hier die bedeutendsten
Stücke erworben; unter den Privatsammlern haben die
Berliner Herren von Pannwitz und von Hollitscher die
wertvollsten Erwerbungen gemacht. Es waren dies
fast ausschließlich Bildwerke. Die vornehmen Namen,
welche auf Bestimmungen des Besitzers zurückgingen,
waren zum Teil ungerechtfertigt oder zweifelhaft. So
sind plastische Arbeiten von Fr. Francia, unter dessen
Namen die Sammlung zwei Porträtbüsten aufführte,
überhaupt nicht beglaubigt; aber beide Büsten sind
deshalb nicht weniger tüchtige Arbeiten der gleich-
zeitigen Bologneser Schule. Was als Donatello be-
zeichnet war, führte diesen Namen mit Unrecht, ab-
gesehen von ein paar Stucknachbildungen bekannter
Madonnenreliefs. Fast alle diese besseren Bildwerke,
zum Teil auch die geringeren Stücke, erreichten
außerordentlich hohe Preise, mehr als das Doppelte
und selbst das Vielfache von dem, was bisher im
italienischen Handel und im Weltmarkt dafür gezahlt
worden ist. Bei einer besonders reichhaltigen Ab-
teilung, den Majoliken, war das nur zum Teil der Fall,
nicht nur da manche geringe Stücke darunter waren,
sondern weil sie meist auf der ersten Versteigerung
Beckeraths vorgekommen und zurückgekauft waren.

Am auffallendsten waren die Preise, welche für eine
Anzahl italienischer Möbel bezahlt wurden. So er-
reichten die kleinen Kredenzen und Schränke aus dem
17. Jahrhundert zwischen 2000 bis 3600 Mark, fast
das Zehnfache von dem, was für ähnliche Stücke vor dem
Kriege im italienischen Kunsthandel gezahlt wurde.
Kaum weniger gesucht waren die Renaissance-Schemel,
deren sich eine größere Zahl in der Sammlung be-
fand, und namentlich die weniger guten Sessel.
Dagegen erreichten die Rahmen nicht entfernt die
sehr übertriebenen Preise, die der Besitzer dafür an-
gesetzt hatte; waren doch gerade die besten, die
kleinen Spiegelrahmen, schwer zu verwenden. Denn
auf Dekoration, auf die Verwendung in der Wohnung
hatte man es hier wie in den gleichzeitigen vorge-
nannten Versteigerungen hauptsächlich abgesehen.
Daraus erklären sich die hohen, zum Teil sehr über-
triebenen Preise, welche auch die künstlerisch und
kunsthistorisch unbedeutenden Stücke erzielten.

Das Resultat dieser Versteigerungen war für die
Verkäufer sehr erfreulich (die Sammlung von Becke-
rath brachte, einschließlich der nebenher oder vor-
weg verkauften Stücke, zwei Millionen Mark), recht
unerfreulich dagegen für die Käufer und für die Aus-
sichten auf die Zukunft des Kunstmarktes. Daß aus-
gezeichnete Qualität sehr hoch bezahlt wird, wußten
wir schon vor dem Kriege; solche Preise konnten
selbst die Museen in den verhältnismäßig seltenen
Fällen, in denen solche Stücke noch vorkamen, noch
zahlen, wenn die Erwerbung für die Sammlung dringend
wünschenswert erschien. Aber daß handwerksmäßiges
Mittelgut, schwache und schadhafte Stücke jetzt auch
mit Preisen bezahlt werden, die denen wirklich guter
Kunstwerke nahekommen oder sie selbst erreichen, läßt
für die Zukunft eine allgemeine Steigerung der Preise
für Antiquitäten und Kunstwerke als sehr wahrschein-
lich erscheinen. Der Trost, daß solche Stücke meist
in die Hände von »Kriegsgewinnern« gekommen
sein werden, ist nur ein geringer, denn manche von
ihnen werden auch später weitersammeln. Auch daß
nach Friedensschluß diese neuen Sammler sich um-
sehen und ihre Ankäufe an den Quellen machen
werden, ist nicht sehr wahrscheinlich; es läßt sich
vielmehr annehmen, daß durch die hohen Preise auf
solchen Versteigerungen auch die Preise auf den
Kunstmärkten, namentlich in Italien und Süddeutsch-
land, wesentlich steigen werden, zumal der Kunst-
besitz in Privathänden immer mehr zusammenschmilzt.
Auch daß die enormen Summen, welche der Krieg ver-
schlingt und die in Zukunft zur Bestreitung der auf-
gehäuften öffentlichen Schulden bezahlt werden müssen,
auf die Preise der Kunstwerke einen starken Druck
ausüben sollten, ist nicht anzunehmen; gewinnt doch
gerade Amerika, das für den Kunstmarkt seit einem
Jahrzehnt entscheidend geworden ist, fast ebensoviel,
als die Kriegführenden verlieren, und auch in Europa
selbst sind während und durch den Krieg so große
Vermögen neu gewonnen, daß auch hier neue kauf-
kräftige Sammler neben den alten erwachsen sind
und weiter erstehen werden. Für die Museen bleibt
der Trost, daß ihre Leiter auch außerhalb solcher
 
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