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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 27.1916

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Sammlungen

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mals Künstler waren. Glücklicher wirken diejenigen, die
für die neue Aufgabe ein heißes Temperament mitbrachten,
eine Leidenschaftlichkeit, die sich sonst leicht überschlug,
nun aber ein Feld sich auszuwirken fand; hier denke ich
in erster Linie an Carl Haßmanns Reiterkampf, eine im
Rahmen konventioneller Schlachtenmalerei temperamentvoll
erfaßte Episode oder an Friedrich Pautschs Ölskizzen, die
auf irgend ein winziges Detail des Kriegs ein Schlaglicht
werfen und es zu einer jähen roten Glut aufleuchten lassen.
Studienmaterial, rasch notieite Eindrücke, aber durch das
Gefühl, das sie durchtränkt, schon zu einer Form umge-
setzt. Stärker noch sind die Gefühlsdurchtränkung und
Umsetzung — also was sich dem Schlagwort des Ex-
pressionismus nähern würde — bei Josef Batös Lithogra-
phien uird Aquarellen und bei Josef von Divekys Lithogra-
phien (namentlich »Infanterie im Gefecht«); vielleicht ist bei
diesen eindrucksvollen Blättern die andere Grenze künstle-
rischen Schaffens schon wieder nahe, wo Gefühl alles wird
und der Eindruck, der uns packt, uns über Schwächen der
Form fortreißt. Die Verbindung und Versöhnung beider
Pole, — Empfindung und Form, Ausdruck und Eindruck —
zu reiner Kunst ist diesmal meiner Empfindung nach Ferdi-
nand Andri am meisten geglückt. Bunte Bilder voll südlicher
Glut füllen seinen Blick (Nr. 35 »Gefangene Essadleutec
oder die Farbstiftzeichnungen aus Serbien 196—198), aber
sie verknüpfen sich ihm auch zu großen Symbolen; in
einfacher Rune schreibt er den tiefen Sinn des Ungeheuren
nieder, das er erlebte. Irgendwo in albanischen Bergen
liegt ein verrecktes Pferd; die Rippen drücken sich durch
den verfallenen Leib, in wüster Ungestalt liegt riesengroß
der hilflose Kadaver vor uns. Darüber laufen die zackigen
Berglinien; sie überschneiden einander in kahlen Wellen,
sie umfangen auch den armen Leichnam, sie schließen
ihn ein und nehmen ihn auf. Er verliert sich im trostlosen
Gelände, die stumme Klage verhallt, er geht ein in die
Natur, die ihn reinigt. Einst verhallt der Mord, den der
Mensch hieher getragen und über der schweigenden Stein-
wüste breiten sich wieder in stetem Wechsel Sonnentage
und eisige Nächte. h. t.

Hamburg. Eine zurzeit im Kunstsalon L. Bock und
Sohn veranstaltete Nachlaßausstellung nach dem im vorigen
Jahre verstorbenen Maler-Zeichner C. W. Allers interessiert
mehr durch das was sie lehrt, als was sie zur Anschauung
bringt. Seine mit gutem Griff gewählten volkstümlichen
Motive hatten den im Jahre 1857 in Hamburg Geborenen
schon in den siebziger Jahren rasch in die Gunst seiner
engeren Landsleute sich einleben lassen. Geschicklichkeit,
Fleiß und äußerliche Gefälligkeit ist diesen Blättern nicht
abzusprechen. Doch fehlt es an jeglicher Tiefe, so daß man
sich heute mit Verwunderung fragt, wie — es war dies
in den neunziger Jahren zur Zeit der blühenden Mappen-
Industrie — Allers auf dem Wasserspiegel dieser Industrie
als Fettauge obenauf hat schwimmen können. Es ist nicht
unwahrscheinlich, daß bei einer strengeren Selbstzucht dem
Künstler auch weiter gesteckte Ziele erreichbar gewesen
wären. Die der Nachlaßausstellung einverleibten Bildnisse
des Fürsten Bismarck und des Dichters Klaus Groth, sowie
einige farbige figürliche Studien und Schilderungen aus dem
italienischen Volksleben entbehren nicht derartige Hinweise,
die in einigen, kurz vor seinem Tode ausgeführten Bildnis-
studien von Feldgrauen am bestimmtesten hervortreten.

Die Galerie Commeter hat eine kleine Anzahl Minia-
turen und farbiger Holzschnitte von Frau Brinckmann-Hahn,
der Witwe des im vorigen Jahre verstorbenen Direktors des
Hamburger Kunst- und Gewerbe-Museums zur Ausstellung
gebracht. Als Fräulein Hahn hat die aus dem Dänischen
stammende Dame durch ihre Kunst sich hier in kürzester
Zeit schöne Geltung verschafft. n. e. w.

SAMMLUNGEN
Durch die Zeitungen gehen zahlreiche Notizen über
einen »falschen Rembrandt« in Rotterdam. Es handelt
sich um den sogenannten »Rembrandt du Pecq«, das große
Bild der Bewirtung Gottvaters und der beiden Engel durch
Abraham, das die Bezeichnung »Rembrandt 1656« trug und
schon vor Dezennien erregte Debatten hervorgerufen hatte.
Das Bild ist in der Welt viel herumgewandert. Es war in
Amerika, dann in der Sammlung Naumann in Leipzig. Jetzt
hängt es im Museum Boijmans in Rotterdam, richtig be-
zeichnet als ein Meisterwerk des Aert de Gelder. Der
Direktor dieses Museums, F. Schmidt-Degener, wird im
Septemberheft unserer »Zeitschrift für bildende Kunst« die
Geschichte und Bedeutung des Bildes eingehend behandeln.

Lüneburger Bildteppiche im Kestner-Museum zu
Hannover. Durch dieglücklicheNeuerwerbungeinesgroßen
Bildteppichs mit der Darstellung der Blindenheilung
durch Christus sind die Lüneburger Bildwirkereien des
Museums um ein hoch bedeutsames Werk bereichert worden.
Der große, hochrechteckige Teppich1) zeigt in der Mitte in
kreisrundem Medaillon die Darstellung der Szene in lebens-
großen Figuren. In zentraler Stellung erscheint Christus,
links vor ihm kniet der Blinde, dessen Auge sich unter
der Berührung des Herrn öffnet. An diese Hauptgruppe
schließen sich rechts und links die Zuschauer an; links die
barhäuptigen Jünger, rechts die mit reich verzierten Mützen
versehenen Juden. Den Horizont schließen blaue Berge
ab, darüber wölbt sich der Himmel, der von kleinen Wolken
und vier verschlungenen Schriftbändern2) belebt wird. —
Der Rahmen des Tondos, in dem sich die Szene entwickelt,
wird rechts und links von zwei Fabelwesen gehalten, die
im breitlippigen Munde eine Pflanze tragen und deren
Körper sich nach unten in einen belaubten Fischschwanz
auflöst. Die übrige Fläche ist mit reicher, zum Teil noch
unverstandener Frührenaissance-Ornamentik aus Frucht-
dolden, Ranken, Füllhornmotiven, Fratzen und Fabelwesen
bedeckt. Unten in den Ecken erscheinen die mit reicher
Helmzier geschmückten Wappen, links im Felde zwei ge-
kreuzte Harken, als Helmzier sechs Straußenfedern, rechts
ein spiralig eingerollter Kleeblattzweig, als Helmzier zwei
Menschenarme.

Das Wappen links ist das der Lüneburger Patrizierfamilie
von Witzendorff, das rechte der Familie von Stötterogge.
Es handelt sich demnach hier um einen Witzendorff, der
eine Tochter des Hauses Stötterogge zur Frau hatte. Und
zwar ist es Hieronymus I. von Witzendorff, geb. 1493,
Sülfmeister 1514, Ratsherr 1517, Bürgermeister 1533, hatte
eine Anna von Stötterogge zur Frau, die 1494 geboren,
1571 starb. Vielleicht hat er in dem Jahre, als ihm die
Ehre widerfuhr, der Erste der Stadt zu werden, den
Teppich in Auftrag gegeben.

Die Erhaltung der großen Wirkerei ist, abgesehen von
einigen kleinen Flickstellen, gut. Die Farbenstimmung hat
unter der Zeit natürlich gelitten, besonders die Fleisch-
farben und die zartrosa Töne sind stark verblaßt. Die
Rückseite gibt noch ein leuchtendes Bild von dem einstigen
Farbenglanz: Rot in allen Abstufungen von Hellrosa bis

1) 4,10: 3,65 m.

2) In gotischen Lettern:

her ick love

wer gi blindt, so hadde gi nene sunde, nu gi
averst spreken wi sint sende, so blift juwe sunde.

ick bin thom ghericht up dusse werlt gekamen up
dat dede nicht sen sende werden unde de sen
blint werde

sin wi den ock blinth

in,
 
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