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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,2.1900

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1900)
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Göhler, Georg: Johannes Brahms
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https://doi.org/10.11588/diglit.7960#0068

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ment oft zu sehr überwicgt. Aber solange diese Jntermezzi nnd Phan-
tasiestücke eben Jntermczzi und Stückc bleibcn, haben sie ihr Necht. Jn
diesen kleinen Formen „bilden" zu könncn, ist anch nicht so einfach ivie
die Gegner glauben. Und wer für die gedeckten Farben des Brahms-
schen Klaviersatzes Ohr und Verstnndnis hat, wird Reize entdecken, die
eben nur in solcher Kleinkunst möglich sind. Jetzt, wo die Musiker,
welche die Zukunft suchen, auf der Fahrt nach eincr nenen großen Knnst
sind, müsscn solche Blumen am Wege natürlich manchcn Landsknechts-
tritt aushalten. Aber von den Knechten kommt auch keiner ins „heiligc
Land". — Daß in der Brahmsschen Kammermusik die romantischen Ein-
flüsse ivie in seinen Liedern stark hervortreten, braucht nicht erst betont
zu ivcrden. Meist iverden die Mittelsütze der Werkc dic besten; oft auch
der Schlußsatz, wcil hier ivie im Scherzo ein wcitcres Element hinzu-
kommt, das auch aus dem Volkslied stammt, daher auch in den Brahms-
schen Liedern stark vertreten ist, — der Humor. Eben ist schon seinc
Ouelle und damit seine bcsondere Farbe angegebcn: es ist der Humor
des Volksliedes; graziös, ivenn vom Mägdlcin, derb, ivenn vom Burschen
die Rede ist, mcist durch Tanzrhrsthmen musikalisch sicher und leicht ge-
zeichnct, hier und da im Tone des alten Junggesellen etwas sarkastisch;
nie groß und wild. Von Beethoven keine Spur. Wenn der Leser so
sreundlich sein mill, manchmal bei Werken von Brahms an Gottsried
Keller zu denken! Es gibt da mehr zu denken, als man denkt.

Von Beethoven kcine Spur! Eher noch hat Bach den Komponistcn
üeeinflusst. Aber lange nicht in dem Maße, wie manche im Publikum
verbrciten. Was sie Bachische Einflüsse nennen, stammt zum Teil aus
noch früherer Zeit, von den Meistern des alten a auppmIIv-Satzes.
Darum tritt diese Abhängigkeit auch ain ehesten in den kleinen Chvr-
iverkcn weltlicher wie gcistlicher Art hervor. Mit den lctsteren hat sich
Brahms dadurch ein bleibendes Verdienst erworben, daß er dcn Kan-
toren zeigte, daß man nicht immer nur ä lu Mendelssohn zu kompvnieren
braucht. Da aus der Legion dicser Art Mendelssohn-Epigonen immcr
noch ungezühlte am Werk sind, ist den Motetten, die Brahms geschriebcn
hat, immer mehr Beachtung zu ivünschen. Sie sind dnrchnus Rluster
für weitere Versuche auf dem Gebiete. Auch untcr seinen großen Werkcn
sind die für den Chor dic bcsten. Große Form im Sinne der
Gegenwart haben sie alle nicht. Es sind lprische Stücke, bei dencn
der zu Grunde liegende Text die Ausführung in größercn Dimensionen,
mit reicheren Farben, in schwererem Rahmen rechtfertigt. Wcnn
man sie von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, muß man Wcrke
wie das Schicksalslied, dic Nünie, den Gesang der Parzcn u. s. w.
als Meisterstücke hinstcllen, in denen die gewählte Form durchaus
dem Jnhalt entspricht. Dadurch, daß den Chorvereinigungen diese
Kompositionen klassischer Dichtungen geboten worden sind, ist ungemein
viel gewonnen worden. Denn inimer wieder muß mit größtcm
Nachdruck darauf hingeiviesen werden, daß derartige Kunstwerke die vor-
nehmste und höchste künstlerische Aufgabe für alle Chöre sind, solange
das moderne Oratorium durch seine unwürdigen Texte sich um jede
künstlerische Vedeutung bringt. — Auch das Werk, das Brahms vor
dreißig Jahren seinen eigentlichen Lebenserfolg brachte, „das deutsche
Äeguiem", ist eine Folge von großen lprischen Phautasien, demnach durchaus
Aunstwart
 
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