cin zyklisches Wcrk. Jhm gibt den Segen der Unsterblichkeit der tiefe, echte
Herzenston, der dnrcki dcis Ganze klingt, die Einheit der Stimmung, die
stets persönlich gefühlt ist und den Hörcr daran zu denken zwingt, daß
hier der Sohn dcr Mutter die Grabschrift geschrieben hat. Das durfte
kein Berlioz, nicht einmal cin Mozart werden, keine Phantasie im Tone
.sklingers. Hier kamen die beiden Grundelemcnte der Lyrik des Künst-
lers, Liebe und Tod, zur innigsten Vercinigung, und die durchaus per-
sönliche Bcdeutung des Werks lies; alles zurücktreten, was ihn sonst
hemmte. Nirgends hat Brahms seinc anderc Musik so vergessen und
im Zwange ciner höheren Macht so ganz frei geschaffen, mie in seinem
„Requiem". Sb aber auch in ihm nicht schließlich das Allervollendctste
dcr tiefe, stille fünfte Satz mit dcm unsterblichen Sopran-Solo ist?
Dcn Ucbcrgang zu den großen Srchesterwcrken von Brahms findet
man am besten durch seine beiden Orchester-Serenaden. Wenn man erst
cinmal so weit sein wird, die einzelnen Formen der Tonkunst nach ihrem
inneren Gehalt und Wesen zu bezeichnen, dann wird man finden, daß
in dieselbe Klasse mit den beiden Serenaden so und so viel Suiten und
sehr viele Symphonien, besonders von Haydn und Mozart gehören, und
daß das Charakteristikum für alle diese Kunstwerke die lose Verbindung
der einzelnen Sätze ist, die wie Stimmungsbilder, wie lprische Stücke
an einander gereiht sind. Der lprische Charaktcr der reinen Jnstrumental-
musik ist ja erst dadurch überwunden wordcn, daß das Grundprinzip
des ersten Satzes der Spmphonic, die Kontrastwirkung zweier Themen
und das Durchführcn, das Entwickeln auf das ganze Gefüge ausgedehnt
wurde. Daß hierin die Hauptthat Beethovcns und nach ihm der neu-
deutschcn Kunst liegt, ist noch lange nicht klar genug. Man sollte vvn
„moderner Spmphonie" nur noch in diesem Sinnc reden dürfen, denn
damit ward eine der Haupterrungenschaften der neuen Kunstanschauung,
die Forderung cinheitlicher, organischcr Gestaltung für die wirklich monu-
mentalen Kunstwerke auch in der reinen Jnstrumentalmusik gewonnen.
Deshalb behält die alte Form ihrc Daseinsberechtigung immerhin, und
auch in ihr kann's rclativ Vollkommencs geben. Man solltc nur nicht
vergesscn, daß zum Ausdruck der höchsteu und größten Dinge diese altc
Bilderbuchmanier eben nicht ausreicht. Brahms war auf dem rechten
Wege seiner Kunst, als er die schönen Blüten seiner Phantasie zu zwei
duftigen Kränzen zusammenwand, die nichts sein wollten, als Gewinde
aus Blüttcrn, Blumen und Ranken. Das war das Feld, auf dem dcr
große Liedcrmeistcr neue köstliche Gaben hütte geben können, freundliche
Gebilde für behagliche Stunden. Aber die Lorbceren Beethovcns, der
Fluch junger Musikcr, die Neunte, ließ ihn uicht schlafen. Und so kam's
zunächst zum Klavierkonzert in O-moII, zur Spmphouic mit Klavier.
Für allc Zeitcn wird man bewundern müssen, wic Brahms mit stolzer
Verachtung alles Gcfälligen, ohnc Rücksicht auf Virtuosen und Publikum,
hicr den Versuch machte, im Geiste Beethovens zu schafsen. Das war
op. sö! Erst mit op. 68 wagte er den zweiten Ansturm. Jch meine,
schon das gibt zu dcnken! Diesmal war's eine Spmphouie, einen Ton
tiefer, in L-moll. Sonst cine Neunte iu Brahmsschem Kolorit, aber
ohne die Gewalt dcr Gedankenführung und Verarbeitung wie im Vor-
bild. Jn Einzelheiren der Anlage ganz verwandt. Die Brahminen
triumphierten: „Das ist der Bcethoven unsrer Zeit. Das ist die erste
2. Aprilheft >900
Herzenston, der dnrcki dcis Ganze klingt, die Einheit der Stimmung, die
stets persönlich gefühlt ist und den Hörcr daran zu denken zwingt, daß
hier der Sohn dcr Mutter die Grabschrift geschrieben hat. Das durfte
kein Berlioz, nicht einmal cin Mozart werden, keine Phantasie im Tone
.sklingers. Hier kamen die beiden Grundelemcnte der Lyrik des Künst-
lers, Liebe und Tod, zur innigsten Vercinigung, und die durchaus per-
sönliche Bcdeutung des Werks lies; alles zurücktreten, was ihn sonst
hemmte. Nirgends hat Brahms seinc anderc Musik so vergessen und
im Zwange ciner höheren Macht so ganz frei geschaffen, mie in seinem
„Requiem". Sb aber auch in ihm nicht schließlich das Allervollendctste
dcr tiefe, stille fünfte Satz mit dcm unsterblichen Sopran-Solo ist?
Dcn Ucbcrgang zu den großen Srchesterwcrken von Brahms findet
man am besten durch seine beiden Orchester-Serenaden. Wenn man erst
cinmal so weit sein wird, die einzelnen Formen der Tonkunst nach ihrem
inneren Gehalt und Wesen zu bezeichnen, dann wird man finden, daß
in dieselbe Klasse mit den beiden Serenaden so und so viel Suiten und
sehr viele Symphonien, besonders von Haydn und Mozart gehören, und
daß das Charakteristikum für alle diese Kunstwerke die lose Verbindung
der einzelnen Sätze ist, die wie Stimmungsbilder, wie lprische Stücke
an einander gereiht sind. Der lprische Charaktcr der reinen Jnstrumental-
musik ist ja erst dadurch überwunden wordcn, daß das Grundprinzip
des ersten Satzes der Spmphonic, die Kontrastwirkung zweier Themen
und das Durchführcn, das Entwickeln auf das ganze Gefüge ausgedehnt
wurde. Daß hierin die Hauptthat Beethovcns und nach ihm der neu-
deutschcn Kunst liegt, ist noch lange nicht klar genug. Man sollte vvn
„moderner Spmphonie" nur noch in diesem Sinnc reden dürfen, denn
damit ward eine der Haupterrungenschaften der neuen Kunstanschauung,
die Forderung cinheitlicher, organischcr Gestaltung für die wirklich monu-
mentalen Kunstwerke auch in der reinen Jnstrumentalmusik gewonnen.
Deshalb behält die alte Form ihrc Daseinsberechtigung immerhin, und
auch in ihr kann's rclativ Vollkommencs geben. Man solltc nur nicht
vergesscn, daß zum Ausdruck der höchsteu und größten Dinge diese altc
Bilderbuchmanier eben nicht ausreicht. Brahms war auf dem rechten
Wege seiner Kunst, als er die schönen Blüten seiner Phantasie zu zwei
duftigen Kränzen zusammenwand, die nichts sein wollten, als Gewinde
aus Blüttcrn, Blumen und Ranken. Das war das Feld, auf dem dcr
große Liedcrmeistcr neue köstliche Gaben hütte geben können, freundliche
Gebilde für behagliche Stunden. Aber die Lorbceren Beethovcns, der
Fluch junger Musikcr, die Neunte, ließ ihn uicht schlafen. Und so kam's
zunächst zum Klavierkonzert in O-moII, zur Spmphouic mit Klavier.
Für allc Zeitcn wird man bewundern müssen, wic Brahms mit stolzer
Verachtung alles Gcfälligen, ohnc Rücksicht auf Virtuosen und Publikum,
hicr den Versuch machte, im Geiste Beethovens zu schafsen. Das war
op. sö! Erst mit op. 68 wagte er den zweiten Ansturm. Jch meine,
schon das gibt zu dcnken! Diesmal war's eine Spmphouie, einen Ton
tiefer, in L-moll. Sonst cine Neunte iu Brahmsschem Kolorit, aber
ohne die Gewalt dcr Gedankenführung und Verarbeitung wie im Vor-
bild. Jn Einzelheiren der Anlage ganz verwandt. Die Brahminen
triumphierten: „Das ist der Bcethoven unsrer Zeit. Das ist die erste
2. Aprilheft >900