kämen also zum Kampfe untereinander, und ein Ortsverein würde so,
ein'anderer anders stimmen. Oder auch, wir kämen zu Zickzackkurscn.
Sammeln wir unsre Kraft, es sei noch einmal wiederholt, für das, wo
wir einig sind auch über den Weg!
Und der liegt ganz klar vor allen Augen zu einem großen
Arbeitsfelde hin. Das ergibt sich sogleich aus der weiteren Ueberlegung,
daß ein Bund, der rückhaltlos der Freiheit dienen will, sich auch sür
keine einzelne Geistesrichtung einsetzen darf, und scheine sie ihm die
„fortgeschrittenste" und beste. Ein Bund, wie dcr unsere, muß ver-
suchen, aller ehrlich überzeugten Wissenschaft, aller ehrlich ernsten
Kunst nach Möglichkeit Luft zum Atmen und Raum zur Bewegung zu
schaffen, gleichviel ob sie dem Denken der leitenden Personlichkeiten in
den eigenen Reihen zusage oder widerspreche. Jhn geht nicht die Frage
an: was ist wahr?, sondern die: was ist wahrhaftig? Unbehinderter
Ausdruck der ernsten Ueberzeugung, den können wir fördern. Die Aus-
drucksfreiheit der Kunst, die Lehrfreiheit der Wissenschaft, das sind die
Güter, deren Unantastbarkeit wir bewachen müssen. Wohl, und da gibt
es eine Menge von Erscheinungen in unserm öffentlichen Leben, über
welche die ehrlichen Männer aller Parteien längst einer wie der
andere denken.
Jch ziele nicht auf die Versuche hin, unsre Lehrfreiheit zu beengen
— die übersieht gewiß keiner vom Goethebund. Aber ich möchte fragen,
ob der Goethebund nicht versuchen könnte, jenes „Parlament" zu bilden,
das ich vor ungefähr drei Jahren" als dringend wünschenswert be-
zeichnet habe. Jch stellte damals Beispiele davon zusammen, was mir
der Behandlung durch eine solche Vertretung nicht der „Jnteressen", sondern
der Jntelligenz des Volkes zu harren scheint. Die Anwendung des
Paragraphen vom grobcn Unfug auf die Presse, welche bekanntlich der
Absicht des Gesetzgebers widerspricht, wäre ein erster solcher Gegenstcmd.
Und nicht nur dieser Vorläufer der Heinze-Kunstparagraphen, sondern
die Tendenz überhaupt müßte bekämpft werden, die Strafüestimmungen
zur Beengung des freien Worts zu erweitern. Man denke an die aus-
gedehnte Anwendung des ciolus oventuuüs. Man denke an den ambu-
lanten Gerichtsstand. Man denke an die Erweiterung des Begriffes der
Majestätsbeleidigung auf Vorfahren der regierenden Fürsten. Man denke
an das dem natürlichen Rechtsgefühl geradezu unsittlich scheinende Verfahren
in Sachen der Majestätsbeleidigung, das zu Gunsten einer staatsrecht-
lichen Fiktion den Wahrheitsbeweis einfach ausschließt, so daß zu hohen
Strafen verurteilt werden kann, wer nichts als die lautere Wahrheit
in reinster Absicht gesagt hat. Ja, in reinster Absicht, denn dieses Ver-
sahren erkennt ja auch keinerlei berechtigte Jnteressen als strafmildernd
an. Man denke daran, daß unser Gesetzbuch unter „berechtigten Jnter-
essen" überhaupt nur solche gelten läßt, die rein egoistisch sind. Ver-
ficht etwas, woran du mit zehn Mark beteiligt bist, und sie schützcn dich,
verficht uneigennützig das Recht eines andern, der sich nicht selber helfen
kann, und sie schützen dich nicht. Man denke an die oft sehr anfechtbaren
Entscheidungen über Gotteslästerungen und Unsittlichkeiten und an die
Macht, die hier schon jetzt ohne Lex Heinze ganz untergeordneten Organen
* Jn dem Aufsatze über Schriftsteller-Kammern (Kw. X, ^9).
2. Maiheft 1900
123
ein'anderer anders stimmen. Oder auch, wir kämen zu Zickzackkurscn.
Sammeln wir unsre Kraft, es sei noch einmal wiederholt, für das, wo
wir einig sind auch über den Weg!
Und der liegt ganz klar vor allen Augen zu einem großen
Arbeitsfelde hin. Das ergibt sich sogleich aus der weiteren Ueberlegung,
daß ein Bund, der rückhaltlos der Freiheit dienen will, sich auch sür
keine einzelne Geistesrichtung einsetzen darf, und scheine sie ihm die
„fortgeschrittenste" und beste. Ein Bund, wie dcr unsere, muß ver-
suchen, aller ehrlich überzeugten Wissenschaft, aller ehrlich ernsten
Kunst nach Möglichkeit Luft zum Atmen und Raum zur Bewegung zu
schaffen, gleichviel ob sie dem Denken der leitenden Personlichkeiten in
den eigenen Reihen zusage oder widerspreche. Jhn geht nicht die Frage
an: was ist wahr?, sondern die: was ist wahrhaftig? Unbehinderter
Ausdruck der ernsten Ueberzeugung, den können wir fördern. Die Aus-
drucksfreiheit der Kunst, die Lehrfreiheit der Wissenschaft, das sind die
Güter, deren Unantastbarkeit wir bewachen müssen. Wohl, und da gibt
es eine Menge von Erscheinungen in unserm öffentlichen Leben, über
welche die ehrlichen Männer aller Parteien längst einer wie der
andere denken.
Jch ziele nicht auf die Versuche hin, unsre Lehrfreiheit zu beengen
— die übersieht gewiß keiner vom Goethebund. Aber ich möchte fragen,
ob der Goethebund nicht versuchen könnte, jenes „Parlament" zu bilden,
das ich vor ungefähr drei Jahren" als dringend wünschenswert be-
zeichnet habe. Jch stellte damals Beispiele davon zusammen, was mir
der Behandlung durch eine solche Vertretung nicht der „Jnteressen", sondern
der Jntelligenz des Volkes zu harren scheint. Die Anwendung des
Paragraphen vom grobcn Unfug auf die Presse, welche bekanntlich der
Absicht des Gesetzgebers widerspricht, wäre ein erster solcher Gegenstcmd.
Und nicht nur dieser Vorläufer der Heinze-Kunstparagraphen, sondern
die Tendenz überhaupt müßte bekämpft werden, die Strafüestimmungen
zur Beengung des freien Worts zu erweitern. Man denke an die aus-
gedehnte Anwendung des ciolus oventuuüs. Man denke an den ambu-
lanten Gerichtsstand. Man denke an die Erweiterung des Begriffes der
Majestätsbeleidigung auf Vorfahren der regierenden Fürsten. Man denke
an das dem natürlichen Rechtsgefühl geradezu unsittlich scheinende Verfahren
in Sachen der Majestätsbeleidigung, das zu Gunsten einer staatsrecht-
lichen Fiktion den Wahrheitsbeweis einfach ausschließt, so daß zu hohen
Strafen verurteilt werden kann, wer nichts als die lautere Wahrheit
in reinster Absicht gesagt hat. Ja, in reinster Absicht, denn dieses Ver-
sahren erkennt ja auch keinerlei berechtigte Jnteressen als strafmildernd
an. Man denke daran, daß unser Gesetzbuch unter „berechtigten Jnter-
essen" überhaupt nur solche gelten läßt, die rein egoistisch sind. Ver-
ficht etwas, woran du mit zehn Mark beteiligt bist, und sie schützcn dich,
verficht uneigennützig das Recht eines andern, der sich nicht selber helfen
kann, und sie schützen dich nicht. Man denke an die oft sehr anfechtbaren
Entscheidungen über Gotteslästerungen und Unsittlichkeiten und an die
Macht, die hier schon jetzt ohne Lex Heinze ganz untergeordneten Organen
* Jn dem Aufsatze über Schriftsteller-Kammern (Kw. X, ^9).
2. Maiheft 1900
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