Velhagen & Klasings Monatshefte (Band 28, 1.1913/1914)

In jedem Herbst —
Von
Rolf Brandt


Jeden Baum, der stirbt,
Hab' in guten Stunden
Ich als Freund gesunden.
Jeden Baum, der stirbt.
Warte nur, Kamerad!
Wieder Winde wehen,
Und wir werden stehen
Über grüner Saat.

In jedem Herbst,
Wenn die Winde sprechen,
Muß ich mit zerbrechen.
In jedem Herbst.
Jedes Blatt, das fällt,
Jedes lasse Beben,
Muß ich mit erleben,
Geht durch meine Welt.

Auf dem See
Von
Margarete Bruch
Es ruhte auf den Felsen noch ein Sonnen,
Daß sie wie rote Rosenfelder glänzten,
Doch auf dem Nachen fuhr die Schar der Nonnen
Zum Ufer drüben, das die Lichter grenzten.
Der See lag hell, von Sonne vollgesogen.
In lichten Armen wiegte er den Nachen,
In dem die schwarzen Frauen, erdbetrogen,
Vom stolzen Tode einer Heil'gen sprachen.
Grell leuchteten im Blau der späten Stunde
Die weißen Binden, die gestärkten Kragen,
Indes die Hände, ob der hehren Kunde,
Bald sich bewegten, bald wie Tote lagen
Im stillen Schrein der schwarzen Kleiderfalten.
Doch mit den Schleiern spielte scheuer Laune
Ein Wind. Bis mit den schwatzenden Gestalten
Das Boot hinwegglitt in die Nacht, die braune.


Der Reigen der Einsamen
Von

Karl
Gestern um die Mitternacht
Nahm mein Leid ein Ende.
Alle, die ihr einsam wacht.
Reichtet mir die Hände.
Und ein starkbeseelter Schlag
Fuhr mir durch die Glieder.
Was in mir zerbrochen lag,
Stand befestigt wieder.

Schewe
Dann ein Reigen, weinumlaubt,
Wie ich nie ihn wagte.
Und mir war's, als ob mein Haupt
In die Wolken ragte.
Um der Tänzer leichten Fuß
Drängend Volk in Massen.
Hier ein Spott, und dort ein Gruß,
Dank und Groll und Hassen.

Doch da klang's wie Melodie
Rhythmisch in das Schweigen:
Auf der Sterne Symphonie
Lauschte unser Reigen.