Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0160
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Heft 5
DOI article:Baldass, Ludwig: Die Wiener Tafelmalerei von 1410-1460, 2: (Neuerwerbungen des Wiener kunsthistorischen Museums)
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szenen in Klosterneuburg1 2 den Ausgangspunkt. Der Stil aber ist fortgeschrittener als
auf den fünf Tafeln von 1458 des Albrechtsmeisters, dessen Generationsgenosse der
Meister von Schloß Lichtenstein offenbar gewesen ist- man vergleiche nur die trotz der
kühnen Beleuchtung und der starken Räumlichkeit primitive Landschaft der Botschaft
an Joachim (Abb. 4) mit der viel klarer gegliederten auf der gleichen Darstellung vom
Meister von Schloß Lichtenstein. Dabei ist dieser Künstler frei gehlieben von westlichen
Einflüssen und ganz aus der heimischen Kunst hervorgewachsen. In seinem Marienleben-
altar steht er auf derselben Stufe wie der Meister der Budapester Passionsszenen (Abb. 8),
so daß eine Datierung in den Beginn der vierziger Jahre das Richtige treffen dürfte.
Dem zweiten, späteren Altar gehören die beiden großen Tafeln des Todes und der
Krönung Mariä (letztere beschnitten)
auf Schloß Lichtenstein, sowie wahr-
scheinlich fünf Passionsszenen, Ölberg
und Grablegung in Donaueschingen
(beide beschnitten), Kreuztragung und
Beweinung (Abb. 13) in der Pfarr-
kapelle von St. Moritz zu Augsburg-
intakt) und Auferstehung in der Pi-
nakothek (seitlich beschnitten) an.
Die beiden Marienszenen mit ihren
schlanken hellfarbigen Gestalten
stammen unbedingt vom Haupt-
meister, die Passionsszenen aber mit
ihren ganz kurz proportionierten
Figuren und ihrer bunten und raf-
finierten Farbigkeit wieder von einem
Gehilfen, vielleicht sogar von dem-
selben, der die Kindheitsgeschichte
Christi gemalt hat. Obwohl eine
Zeitspanne von vielleicht zehn Jahren
zwischen beiden Werken hegen muß",
zeigen die Passionsszenen noch deut-
lieh Zusammenhang mit der älteren
österreichischen Malerei. Eine Figur
der Kreuztragung ist der Wiener
Kreuztragung vom Meister der \ o-
livtafel nachgebildet, der schlafende
Petrus der Ölbergszene3 aber hat die
gleiche Stellung wie auf der Berliner
Zeichnung und wie auf der Außen-
Abb. 12. Werkstatt desMeisters vonScbloßLichlenstein
Christus im Tempel Wien, Gemäldegalerie
1 Abbildungen gegeniibergestellt im Bel-
vedere (Forum) 1926 vor Seite 13g.
2 Feurstein (Katalog der Gemäldegalerie
Donaueschingen, 1921, S. 63), der zuerst
das Werk des Meisters zusammengestellt
hatte, vermutete — ohne seine Belege an-
zuführen — eine Stiftung der Erzherzogin
Mechtild von Österreich für die Stiftskirche
St. Moritz zu Rottenburg um 1455.
3 Abb. im Katalog der Ausstellung »Gotik
in Österreich«, Wien 1926, Tafel 7.
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