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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 22
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Rosenberg-Gutmann, Anny; Chardin, Jean Baptiste Siméon [Gefeierte Pers.]: J.B.S. Chardin (1699-1779)
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0673

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J. B. S. Chardin Selbstporträt
Sammlung H. de Rothschild, Paris
J. B. S. CHARDIN (1699—1 .779) VON ANNY GÜTMANN
Das Rothschild-Theater Pigalle hat Paris um eine neue Kunstgalerie bereichert und
mit einer Ausstellung der Werke Chardins eröffnet. Luxuriöse Ausstellungsräume, die
Wände mit silbergrauen Samt verkleidet, kostbare Rahmen, neue Beleuchtungsraffine-
ments. Abgeblendete Lampen über jedem einzelnen Bild werfen ein wunderbar ge-
dämpftes und verklärendes Licht auf Farbe und Zeichnung und entziehen sie der unnach-
sichtlichen Wahrheit des Tageslichtes und den nicht ins Programm einbezogenen Wetter-
und Tagesstimmungen. Eine Eleganz und Gesuchtheit der Aufmachung, die merkwürdig
zur puritanisch-kleinbürgerlichen Einfachheit der Werke Chardins kontrastiert.
Das berührt um so seltsamer, als es gerade Chardin war, der mit seiner proletarischen
Schlichtheit in so großem Kontrast zu seiner Zeit stand: Dieser Tischlerssohn aus dem
Quartier von S. Sulpice, eine Art Provinzler in Paris, der sein Leben brav und bürger-
lich zu Ende gelebt hatte, ohne Unruhe und Abenteuer und die Bürgerlichkeit gemalt
hatte, die er um sich sah, die abenteuerlose und glanzarme Bürgerlichkeit. Er malte
sie, weil er sie sah, malte ohne Propaganda für sie zu machen, ohne andere zu be-
lehren, malte auch wie er sie sah, diese ganze Wirklichkeit. Und weil die Dinge um
ihn näher und greifbarer waren als Menschen, malte er sie zuerst — Schüsseln,
flaschen, Teller, Küchengeräte, alles Eßbare, Fleischstücke, Gemüse, Früchte. Nicht
nur die Illusion, sondern die Materie selbst. Die Schönheit der Einzelobjekte ist völlig
belanglos —■ er sucht auch keine geheimnisvolle Beziehung der zueinandergestellten
Gegenstände — nur das Wie des Nebeneinanderstehens, die Systematik der Anordnung,
die Übersichtlichkeit. Magie der häuslichen Behaglichkeit, Sinn der bürgerlichen Ord-
nung das ist der künstlerische Sinn im Werke Chardins.
Das Bewußtsein von seinem gleichmäßigen Lebensrhythmus, das Ergebnis seines Oeuvre
wird erst ganz klar, wenn dieses Oeuvre in einer Ausstellung vereint ist. Fehlen auch
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