Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Kunstausstellungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0064

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ÜNSTAUSSTELLÜNGEN

DAS BAYRISCHE HANDWERK
IN MÜNCHEN UND DIE WERK-
BUNDAUSSTELLUNG „DIE
WOHNUNG" IN STUTTGART
In diesem Sommer der Ausstellun-
gen ist nichts lehrreicher gewesen als
eine Fahrt von München nach Stuttgart. In München eine Aus-
stellung des bayrischen Handwerks, in Stuttgart eine inter-
nationale Ausstellung des Werkbundes unter dem Motto „die
Wohnung". In München ein Stück heimischer Tradition, ein
Blick in die Vergangenheit, in Stuttgart ein kühner Vorstoß
in die Zukunft, ein Versuch, die neue Form zu zeigen, die
morgen die ganze Welt beherrschen wird. Die Münchener
Ausstellung wollte für das Handwerk werben. Sie wollte be-
weisen, daß keineswegs die Maschine die Handarbeit ge-
tötet habe, daß heute wie vor Jahrhunderten die Töpfer
und die Schreiner, die Schuster und die Schneider mit ihrer
Hände Arbeit notwendige Gegenstände täglichen Gebrauchs
erstellen. Sie zeigte die Handwerker in ihrer Tätigkeit, und
sie zeigte die Werke ihrer Hand, nicht Kunstgewerbe, son-
dern Handwerksarbeit, und sie baute in ihren Mittelpunkt
„die goldene Stadt" der Vergangenheit, in der edle Werke
alter Handwerkskunst vereinigt waren. Diese goldene Stadt
stellte gleichsam den Stammbaum des bayrischen Handwerks
dar. Sie wies nachdrücklich hin auf die glänzende Ver-
gangenheit der einzelnen Gewerbe, die wohl noch heute
weiterleben, deren formenschöpferische Kraft aber er-
loschen ist. Es lag gewiß eine betonte Absicht darin, daß
man dem Begriff des Kunstgewerbes auf dieser Ausstellung
aus dem Wege ging. Man verzichtete auf die von außen
wirkende Mitarbeit der Künstler, um das Handwerk in seinen
reinen und selbständigen Leistungen zu zeigen. Aber wenn
man hoffte, so den Stil unserer Zeit zu finden, wie die Aus-
stellung des alten Handwerks den Stil vergangener Epochen
natürlich repräsentierte, so hat diese Hoffnung getrogen, denn
das Handwerk zeigt sich weder imstande, der Anregungen
des Kunstgewerbes zu entraten noch sie selbständig zu ver-
arbeiten und weiterzuentwickeln.

Auch die Werkbund-Ausstellung in Stuttgart bedeutete
eine radikale Absage an das Kunstgewerbe, eine Tatsache,
die um so bedeutungsvoller ist, als der Werkbund bisher
der Träger der kunstgewerblichen Entwicklung in Deutsch-
land gewesen ist. Das Problem der „Wohnung" wird nicht
mehr von dem Innenarchitekten, sondern es wird von dem
Raumkünstler gelöst. Es ist nicht mehr die Aufgabe, Räume
auszustatten, sondern Räume zu schaffen. Das Kunstgewerbe
steht an einem Ende, die Baukunst an einem Anfang. Ein
neuer Stil ist im Werden, ein Stil, der in Amerika ebenso
wächst wie in Europa, in Holland wie in Frankreich, in der
Schweiz wie in Deutschland, ein Stil, der nicht willkürlich
erfunden, sondern aus den sozialen und technischen Bedin-
gungen unserer Zeit natürlich erwachsen ist.

Neue Baumethoden haben neue Möglichkeiten eröffnet,
und die neue Aufgabe der Kleinwohnung fordert neue Lö-
sungen, da neue Schichten der Bevölkerung Behausungen ver-
langen, die in den Typus des alten Bürgerhauses sich nicht

mehr eingliedern lassen. Es gilt, mit Raum zu sparen und
den gegebenen Raum so auszunutzen, daß nicht der Eindruck
der Enge erzeugt, sondern ein Gefühl von Weite gegeben
wird. Zwei Mittel dienen diesem Zweck. Einmal werden die
inneren Abgrenzungen der Räume gelockert, zum anderen
werden die Außenwände durch breite Fensteröffnungen auf-
gelöst, und die Landschaft draußen in das Raumbild des
Hauses einbezogen.

Dies erscheint als der Grundgedanke der neuen Baukunst.
Alle äußeren Erscheinungsformen der neuen Häuser, das
flache Dach, das Terrassenbildung zuläßt, und die eigenartige
Durchbrechung der Mauern in breitgelagerten Fensterschlitzen
ergibt sich als Folgerung aus diesen Prinzipien. Das neue
Haus widersetzt sich seinem Wesen nach der Fassaden-
bildung im alten Sinne, weil sein Körper nichts mehr gemein
hat mit dem Hauskörper vergangener Zeiten.

Das neue Haus hat keine Zimmer. Mies van der Rohe,
dem die künstlerisch-technische Oberleitung der Stuttgarter
Ausstellung oblag, hat einen Miethausblock errichtet, in dem
jede Wohnung aus einem großen Räume besteht, der be-
liebig durch Wände geteilt werden kann. Nur Küche und
Bad sind festgelegt. Im übrigen kann der Mieter sich in
dem Räume einrichten, wie es ihm behagt. Sich einrichten
in diesem neuen Sinne bedeutet nicht mehr, Möbel, sondern
Wände aufzustellen.

Wer das japanische Haus kennt, weiß, daß der Gedanke
an sich nicht neu ist. Selbst die Normung, die Voraussetzung
einer solchen Form der Wohnung ist, wurde in Japan mit
der festen Größe der Bodenmatten und der gleichbleibenden
Höhe der Schiebewände seit Jahrhunderten durchgeführt.
Aber das japanische Haus ist auf ein anderes Klima berechnet,
es ist leichter gebaut, und seine Möbellosigkeit ist in den
Lebensgewohnheiten seiner Bewohner begründet. Das Problem
der freien Raumteilung durch Schiebewände oder Sperrholz-
platten ist für Europa noch nicht in vollkommen befriedi-
gender Weise gelöst, und auch die wechselnder Zweckbe-
stimmung angepaßte Möblierung der Räume trägt noch einiger-
maßen behelfsmäßigen Charakter.

Aber der Wand selbst wird der Krieg erklärt. Es er-
geben sich ganz neue architektonische Möglichkeiten aus
dem Versuch, die Räume frei ineinander spielen zu lassen,
und das Talent der Architekten, die an der Stuttgarter
Meisterhofsiedlung beteiligt sind, erweist sich gerade in der
Lösung dieser schwierigsten Aufgabe, die nur selten voll-
kommen geglückt ist. Der Holländer Mart Stam hat dieses
Problem vielleicht am klarsten erfaßt und in drei Ein-
familienhäusern die einleuchtendste Form des gemeinsamen
Wohnraumes gegeben. Der Breslauer Architekt Hans
Scharoun hat für anspruchsvollere Verhältnisse ein phantasie-
volles Raumgebilde geschaffen, mit außerordentlich feinem
Gefühl den Außenraum von Garten und Fernblick in die
Komposition einbeziehend. Während aber in allen diesen
Häusern Schlafraum und Wohnraum grundsätzlich getrennt
sind und gelegentlich sogar in einem Gegensatz zueinander
stehen, hat Le Corbusier das Wagnis unternommen, auch
diese letzten Trennungswände fallen zu lassen. Seine Räume

38
 
Annotationen