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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 1
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Kunstausstellungen
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0065

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spielen nicht nur in der horizontalen, sondern zugleich in
der Vertikalrichrung ineinander über. Er läßt einen Wohn-
raum durch zwei Stockwerke emporsteigen, er zieht Treppen
und vorragende Altane in seine Raumrechnung ein, setzt
halbhohe Trennungswände, um dem Bewohner seines Hauses
überall und in jedem Augenblick den ganzen umbauten
Raum fühlbar werden zu lassen. Er soll nicht in einem
engen Zimmer gefangen sein, sondern überall, wo er sich
aufhält, sei es selbst im Schlafraum oder im Bade, soll der
ganze Hausraum in seinem Empfinden mitschwingen, und
auch die Landschaft soll ihm gehören, wenn der Blick aus
dem Fenster und von der Dachterrasse bildmäßig gerahmte
Ausschnitte der herrlichen Rundsicht erfaßt.

Le Corbusier zieht die kühnsten Konsequenzen aus dem
neuen Prinzip freier Raumformung. Er erfaßt die Aufgabe

am radikalsten. Er gibt den Menschen, die sein Haus be-
wohnen, ein neues Lebensgefühl, aber er verlangt zugleich
von ihnen, daß sie ihre Lebensform seiner Raumphantasie
unterordnen. Es ist die Frage, ob die Entwicklung so weit
gehen wird. Sicher erscheint aber schon heute, daß neue
raumbildende Kräfte in der Baukunst frei geworden sind,
und es ist das bleibende Verdienst der Stuttgarter Aus-
stellung, daß sie im richtigen Augenblick die richtige Auf-
gabe gestellt hat. Sie hat in vielem Klarheit geschaffen
und Wege gewiesen. Sie hat gezeigt, daß es nicht genügt,
flache Dächer zu bauen, um ein moderner Architekt zu sein,
sondern daß es einer starken baukünstlerischen Phantasie
bedarf, um die Raumlösungen zu finden, aus denen das
Haus der Zukunft erwachsen wird.

Glaser.

CHRONIK

RHEINISCHE KUNSTPFLEGE
Museen haben das Recht, zu verkaufen. Es ist nicht not-
wendig, jeden Ballast in alle Ewigkeit mitzuschleppen, nur
weil er einmal inventarisiert und katalogisiert ist. Aber Museums-
direktoren sollen nicht berechtigt sein, die ihnen anvertraute
Sammlung so zu behandeln, wie es der Privatmann darf, der
nur seinem Geschmack und seinem Geldbeutel Rechenschaft
schuldet. In der Inflationszeit, als die RiesenzifFern die Hirne
benebelten, haben sich deutsche Museumsleiter zu manchen
Verkäufen verleiten lassen, die sie nachträglich wohl be-
reuen. Aber es ist damals eine Unsitte eingerissen, mit der
nun ein Ende gemacht werden sollte. Dem Betätigungs-
drang Übereifriger muß ein Riegel vorgeschoben worden,
wenn Kunstwerke hohen Ranges verkauft und vertauscht
werden, deren Abwanderung unwiederbringlichen Verlust be-
deutet.

Wir wollen hier nicht alte Affären aufrollen, wir wollen
uns auch nicht in den Streit um den Stuttgarter Bellini ein-
mischen, den Detlev von Hadeln kürzlich im Burlington-
Magazine veröffentlichte. Der Direktor der Stuttgarter Ge-
mäldegalerie behauptet, das Bild sei durch Übermalung ent-
wertet gewesen, und er habe ein gutes Geschäft gemacht,
als er es gegen eine altdeutsche Altartafel eintauschte. Der
Kunsthandel scheint anders zu denken, aber das mag auf
sich beruhen, es gibt Geschäfte, bei denen beide Teile zu
gewinnen meinen. Neuerdings ist aus dem Kölner Wallraff-
Richartz-Museum, das im Laufe der letzten Jahre schon eine
Reihe bedeutender italienischer Gemälde veräußert hat, ein
wichtiges Bild von Leibi in den Handel gelangt. Unter vie-
lem Unbegreiflichen, das man hörte, erscheint dies als das
unbegreiflichste. Köln hat sich, als Vaterstadt Leibis, spät,
aber mit Erfolg bemüht, eine stattliche Sammlung von Wer-
ken seines großen Sohnes zusammenzubringen. Nun ist ein
wichtiges Bild aus der Spätzeit des Meisters, das Mädchen
am Fenster von 1899, verkauft worden. Der Erlös hat dazu
gedient, den Ankauf eines Gemäldes von Hans von Marees
finanzieren zu helfen. Das durfte nicht sein. So wünschens-
wert der Marees den maßgebenden Stellen in Köln erschei-
nen mochte, um den Preis eines Leibi war er zu teuer be-

zahlt. Der kostbarste Besitz öffentlicher Sammlungen muß
für alle Zeiten gesichert sein. Er darf nicht der Willkür
subjektiven Geschmacks preisgegeben werden.

Die Stadt Duisburg hatte ihrem berühmten Sohn, dem
Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, nach seinem Tode eine Ehrung
bereitet, indem sie seine „Kniende" in einem öffentlichen
Parke aufstellte. Es gab bald entrüstete Proteste, da das
Muckertum an der Nacktheit der Statue Ärgernis nahm. War
es wirklich die Nacktheit, die den Duisburgern so mißfiel?
Wir sind der Meinung, daß eine brave akademische Nackt-
heit die Duisburger minder erregt hätte, als die sehr spiri-
tuelle und im Grunde höchst keusche, stilisierte Gestalt
Lehmbrucks. Es war nicht die beleidigte Moral, sondern
daß Spießertum, das gegen ein neuartiges Kunstwerk re-
bellierte und durch systematische Hetze es dahin brachte,
daß ein paar dreiste Burschen bei Nacht und Nebel Lehm-
brucks Statue zertrümmerten. So hat die Stadt Duisburg
ihrem Sohne nach seinem Tode anstatt der ihm zugedach-
ten, eine höchst unfreiwillige Ehrung bereitet. Denn ange-
sichts dieses Bubenstreiches muß alle Kritik verstummen, und
das gesamte künstlerische Deutschland erhebt seine Stimme
zugunsten des beleidigten Kunstwerkes, das schleunigst wie-
derzuerrichten und in Zukunft gegen jeden Angriff zu schützen
eine Ehrenpflicht der Stadtverwaltung sein wird.

Märchen aus unserer Zeit. In London lebt ein ge-
feierter Maler — wir nennen seinen Namen nicht — ; es gilt als
eine hohe Ehre, von ihm porträtiert zu werden, und die hohe
Ehre pflegt überdies viel Geld zu kosten. Von diesem Maler ein
Bild zu erwerben, war die Sehnsucht eines amerikanischen
Museums — wir nennen seinen Namen nicht — und auch
die Befriedigung dieser Sehnsucht sollte viel Geld kosten.
Der Preis, den der Maler forderte, war 22000 Pfund Ster-
ling. Ein Untergebot nahm er nicht an, und er hatte recht,
daß er es nicht tat, denn das amerikanische Museum zahlte
ihm schließlich den Preis, den er verlangte. 22000 Pfund
Sterling sind nicht viel weniger als eine halbe Million Mark.
Es klingt wie im Märchen Aber es wird uns versichert, daß
es die reine Wahrheit sei.

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