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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 8
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Neugass, Fritz: Eine Pissaro-Ausstellung
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Pariser Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0346

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Erst in seinem letzten Jahrzehnt hat er alle Einflüsse
überwunden und in den großen Stadt- und Hafenbildern
seinen Stoff gefunden, den zu bemeistern er niemals müde
wurde. Er reiste nach Le Havre, Rouen und Paris und

malte — da er im Freien nicht mehr widerstandsfähig war —
vom Fenster aus das flimmernde Licht, den lebendigen Puls-
schlag des Menschentreibens und die zitternde Bewegung der
Häfen, Straßen und Plätze. Fritz Neugaß.

PARISER AUSSTELLUNGEN

Es kommt selbst in Paris vergleichsweise selten vor, daß
man gleichzeitig an verschiedenen Stellen so bedeutende
Ausstellungen sehen kann, wie in den ersten beiden Monaten
dieses Jahres. Ich greife drei davon heraus, da sie auch jen-
seits des Rheines besonderes Interesse beanspruchen dürften.
Daß sie sich ohne Ausnahme auf die Vergangenheit beziehen,
ist kein Zufall; sie wirkten aber gleichwohl, jede in ihrer
Art, höchst aktuell, wenn auch durchaus nicht in demselben
Sinne. Die heutige Kunst zehrt in verschiedener Hinsicht
von dem Kapital, das seit der Wende des Jahrhunderts zu
den goldenen Reserven des Kunstmarkts gehört, und leider
stellt der hergereiste Kunstfreund immer wieder fest, daß
sich die Gegenwart geschmacklich zwar auf einem unge-
wöhnlich hohen Niveau hält, schöpferisch aber auch nicht
entfernt mit der Produktion vergleichen darf, die damals
ausgeklungen ist.

Seit 1885, dem Datum der diesbezüglichen Ausstellung
in der Ecole des Beaux-Arts, waren nie mehr so viele Werke
von Delacroix beisammen, wie letzthin bei Paul Rosenberg,
und doch war diese dank händlerischer Initiative organisierte
Veranstaltung bloß eine Art Präludium zur offiziellen Feier
des Romantik-Jubiläums, die 1930 alles von Delacroix ver-
einen will, was überhaupt erreichbar ist. Ob diese Absicht
klug sei, bleibe im Augenblick dahingestellt. Der Vorzug
des Präludiums beruhte jedenfalls gerade in der überlegten
Einzelwahl, die das Genie des Meisters eher andeutungs-
weise als erschöpfend in der Unersättlichkeit der Phantasie
wie in der raffinierten Kultiviertheit der Palette ahnungs-
voll erleben ließ — Delacroix, lac de sang hante des mau-
vais anges, sang Beaudelaire. Ein Vorzug im besonderen
war es, daß sich die dekorative Komponente auf ein er-
trägliches Bildformat beschränken mußte und kein Ersatz
der monumentalen Architekturarabeske war (die dieser Maler
allerdings vollendet meisterte!). Gerade in den kleinen Sze-
nen offenbaren sich Dramen von unerhörter Geisteskraft.
Reminiszenzen an Afrika, an die Ereignisse in Griechenland —
es fehlen dafür alle zeitlichen Vergleiche. Vielleicht, daß
der banale Hinweis auf gewisse Champagnermarken am ehe-
sten andeuten kann, was man dabei verspürt. Vereinzelte
Bildnisse hingegen, etwa das Porträt der Mme. Riesener, das
schönstes Biedermeier ist, verraten, daß selbst Grenzenloses
irgendwo im Erdreich, im Begrenzten haftet. — Der Kata-
log verzeichnete beiläufig siebzigNummern, wovon die größere
Hälfte auf Gemälde, der Rest auf Aquarelle und Pastelle
fiel. Der Louvre hatte sein großes Selbstbildnis, sowie die
glänzende Entführung der Rebekka (1859) hergegeben, das
Museum von Bordeaux u. a. die Allegorie des auf den Ruinen
von Missolunghi sterbenden Griechenland, auch ein ganz
kleines, aber eminentes Löwenstück. Aus deutschem Sprach-
gebiet waren die Sammlungen Oskar Schmitz in Dresden
und Emil Staub in Männedorf am Zürichsee gut vertreten.

Eine kleine Fassung von Sardanapals Tod aus französischem
Privatbesitz fiel durch die Magie der malerisch fahlen Stim-
mung auf.

Silvester 1927 sind fünfzig Jahre verflossen, seitdem
Courbet, halb freiwillig halb gezwungen exiliert, am Genfer-
see gestorben ist. Die offizielle Ehrung des Jubilars, die nur
am Platz gewesen wäre, unterblieb; doch widmete ihm Bern-
heim-Jeune nachträglich eine Art Gedächtnisausstellung, die
eine Reihe wenig bekannter Dinge an die Öffentlichkeit
zog. Es gab da beispielsweise eine figurenreiche Szene, „La
Toilette de la Mariee", deren novellistische Absicht fast
an galante Interieurs des Rokoko gemahnt. Gewisse Frauen-
bildnisse erinnerten dank ihres allerdings latent gebliebenen
Nazarenertums, das überdies einen wunderbaren giorgiones-
ken Klang aufweist, an die Anfänge der Böcklin und Feuer-
bach. Daneben hingen aber Bilder, aus denen die ganze bis-
herige Entwicklung hervorgegangen scheint. Man weiß, daß
Courbet außer dem Museum (dem Louvre) keine Schule
kannte, daß er sich selber ebenso stolz wie bescheiden „eleve
de la nature" nannte. Er war, wie Ingres gegen 1850 wütend
schrieb, (sozusagen nur) ein Auge. Die Komposition oder
vielmehr das, was die Ästhetik des Klassizismus und die
morbide Theorie heutiger Strömungen wieder darunter ver-
steht, war seine Sache nicht. Daher umfaßte er aber auch
alle Schönheit, Größe und Fülle der Natur. Daß das Halb-
zentenarium dieses „Meisters aller Meister", wie ihn Karl
Scheffler in einem der schönsten Essays seiner Kunstgeschichte
nennt, offiziell in keiner Weise bedacht wurde und über-
haupt fast unbemerkt vorbeigegangen ist, beweist nur die
allgemeine Unsicherheit des Kunsturteils. Vielleicht auch
zeugt es von einem immer noch vorhandenen Rest politi-
schen Ressentiments, was keineswegs zu unterschätzen ist.
(Bekanntlich hat Courbet im siebziger Krieg, wenn auch
nur indirekt, den Anstoß zur Zerstörung der Vendöme-Säule
gegeben — tatsächlich wurde sie dann von der Kommune,
der er nicht angehörte, beschlossen und ausgeführt.)

Marcel Guerin hat im verflossenen Jahr einen zweibän-
digen Katalog von Gauguins Graphik publiziert. Daraufhin
veranstaltete das Luxembourg-Museum neulich eine Aus-
stellung, die alle wünschenswerten Aufschlüsse über diese
Materie bot und außerdem die Holzskulpturen und Keramiken
und einige Selbstbildnisse aus Privatbesitz mit einbezog. Dar-
unter das dem treuesten Freund (Georges) Daniel (de Mon-
freid) gewidmete Profil, worin das „Assyrische" von Gau-
guins Physiognomie, auf das er soviel gab, sehr schön zum
Ausdruck kommt. Wie aber hat er uns — die wir von seiner
Schicksalstragik* tief ergriffen sind — im übrigen enttäuscht!

* Man lese außer den bekannten Briefen an G. D. de Monfreid
auch das 1927 publizierte Buch von Jean Dorsenne: „La vie sen-
timentale de Paul Gauguin", das auf Grund der unedierten Briefe
an die Gattin geschrieben ist und seine Ehe, vor allem aber seinen

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