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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 4
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Kunstausstellungen
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Chronik
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das Buch zu monumentalisieren. Je länger und genauer
man aber liesr, um so mehr vertieft sich der Eindruck.
Denn es tun sich, in Nebensätzen, ja zuweilen zwischen
den Zeilen, die mächtigen Hintergründe auf. Sie werden
wie durch kleine Fenster gesehen, die nach allen Him-
melsrichtungen in die Wände geschlagen sind. Waetzoldt
führt unendlich viele Tatsachen an, seine Kenntnis der Ma-
terie ist erstaunlich. Doch würde die Tatsachenmenge noch
nicht viel bedeuten, wenn sie nicht als Ganzes in einer
eigenen Weise zu leben begönne und über sich selbst weit
hinauswiese. Dieses Buch ist kulturgeschichtlich betrachtet
ein Gelehrtenidyll; doch tauchen Schneeberge überall am
Horizont auf. Zurückhaltung ist der Kunstgriff eines Man-

nes, dem es Lebensbedürfnis war, von der eigenen Italien-
sehnsucht als methodisch arbeitender Historiker Rechen-
schaft zu geben, der, bei strenger, vielleicht zu strenger Be-
schränkung, den Geist der Universalgeschichte zu fühlen
fähig ist, und der, indem er das ganz Spezielle tut, wie ein
Enzyklopädist wirkt.

Das alte, ewig aktuelle Thema vom „Klassischen Land"
erklingt bei Waetzoldt in einer neuen Variante. Der Wert
dieses Buches wird deutlich, weil es zeigt, wie viele andere
Fassungen des Themas noch möglich sind und weil es sich
dem gegenüber doch mit der eigenen Fassung höchst charakter-
voll und konkret behauptet.

Karl Scheffler.

CHRONIK

DER UMBAU DES JUSTIZPALASTS IN WIEN
Jedermann kennt das Unglück, das Wien mit dem Justiz-
palast zugestoßen ist. Er wurde 1875 —1888 von Alexander
Wielemaus Edlen von Monteforte gebaut, nach einem damals
beliebten Rezept: Man nehme ein Stiegenhaus und ordne
darum ein paar unauffällige und unverwendbare Bureauräume
usw. Der Stil ist, wie ich einem Führer von Wien entnehme,
deutsche Renaissance. Dagegen ließ sich nichts machen, ob-
wohl das ungeschickt gestellte Gebäude eine Verkehrsstraße
zum Totlaufen brachte und den Platz, auf dem es stand,
verödete; es war nun einmal da und die historische Pietät
war sein Schutz gegen eine etwaige Initiative, etwas Brauch-
bares an seine Stelle zu setzen.

Aber sie konnte den Bau nicht gegen die traurigen Exzesse
am 15. Juli dieses Jahres schützen; er wurde in Brand gesteckt
und so weit zerstört, daß die Möglichkeit, ihn zu erhalten,
zunächst zweifelhaft schien und sich dann eine Wiederher-
stellung nur unter sehr erheblichen Kosten als möglich er-
wies. Noch sah man die Trümmer rauchen, als schon die
Architektenschaft auf dem Plan erschien, um zu erklären,
daß auch der Rest nicht mehr zu gebrauchen sei. Eine nor-
maler Weise nicht zu erwarten gewesene Gelegenheit habe
sich von selbst geboten, den Justizstellen ein ihren Bedürf-
nissen entsprechendes Haus zu schaffen, eine brennende
Verkehrsfrage zu lösen, die Odstätte, die der Schmerlingplatz
vor dem Brande war — jetzt stehen Neugierige dort —, in
das Leben der Stadt einzubeziehen. Die Architekten ver-
langten und erhielten die Zusage, daß sie vor dem endgül-
tigen Entschluß über die Zukunft des Justizpalastes gehört
werden sollten und schrieben sogleich einen Wettbewerb
zur Lösung der Platzfrage aus. Sie fühlten sich ihrer Sache
um so sicherer, als auch die Justizbeamten erklärten, der alte
Palast sei — alle Ästhetik beiseite gelassen — unverwendbar
gewesen. Was dann weiter geschehen ist, ist zu österreichisch,
um mir allen Einzelheiten berichtet zu werden; jedenfalls wurde
die Welt — und mit ihr die Architekten — eines Tages
durch einen Entschluß des Ministerrates überrascht, den Justiz-
palast, wie er war, wieder aufzubauen; mit dem Stiegenhaus,
mit der deutschen Renaissance, kurz mit allem. Die Architekten
halten seine Beseitigung für eine Wiener Lebensfrage, die
Juristen erachten seine Ersetzung durch ein praktischeres

und gesünderes Gebäude für ihre eigene Lebensfrage; die
Regierung aber beschließt seine Wiederherstellung, ohne den
Wettbewerb abzuwarten, ohne irgendwelche Fachleute zu
befragen, ohne ernstlich zu untersuchen, ob Wiederherstellung
oder Neubau an anderer Stelle wirtschaftlicher sei. Wie immer
in Osterreich müssen sachliche Gesichtspunkte vor parteipo-
litischen Erwägungen und bürokratischer Überheblichkeit
zurückweichen.

Der Wettbewerb der Architekten wurde trotzdem durch-
geführt; die Ausstellung der von Wilhelm Kreis jurierten
Ergebnisse im Künstlerhaus ist ein öffentlicher Protest der
gesamten Künstlerschaft gegen die brutale Ignorierung aller
fachlichen und sachlichen Interessen. Die zur Verfügung
stehende Zeit war viel zu kurz, die ganze Sachlage viel zu
ungeklärt, um ein wirklich durchschlagendes Projekt zu er-
möglichen; was der Ideenlosigkeit der überhasteten Lösung
entgegengestellt wird, ist eine Ideenkonkurrenz, die zeigen
soll, wie mannigfache Überlegungen hier anzustellen gewesen
wären. Fast alle Bewerber gehen von städtebaulichen Rück-
sichten aus; sie versuchen das Verkehrshindernis, das das
Rathausviertel verödet hat, zu beseitigen, den Platz in ein
richtiges Verhältnis zur Ringstraße zu bringen. Das zu er-
richtende Gebäude widmen die meisten irgendeinem Kultur-
zweck (Museum der Stadt Wien usw.), wobei mir das alte
Ringstraßenprogramm mit seiner Via triumphalis öffentlicher
Bauten zu stark nachzuwirken scheint; besser fundiert er-
scheinen mir die Projekte, die die gewonnene Baufläche ganz
oder teilweise wirtschaftlich ausnützen (Messegebäude, Hotel,
Geschäftshäuser), am gesündesten die Pläne, diesen zwischen
lauter Parks völlig unnötigen Platz ganz zu verbauen, so
daß der Ertrag die neue Unterbringung der Justiz und etwaige
Kulturzwecke völlig decken müßte. Zwanzig verschiedene
Möglichkeiten sind in der Ausstellung gezeigt: wird die Re-
gierung auf einem Beschluß beharren, der gefaßt wurde, um
Parteigegner zu ärgern? Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie es
tun wird. Ein österreichischer Heerführer hat seine Kriegs-
memoiren unter dem Titel „Der Feldzug der versäumten Ge-
legenheiten" herausgegeben; die Geschichte des Justizpalastes
bildet ein charakteristisches Kapitel in der ohne Ende fort-
gesetzten Geschichte der österreichischen „Kulturpolitik der
versäumten Gelegenheiten". Hans Tietze.

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