Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Ausstellung von Zeichnungen van Goghs bei Otto Wacker, Berlin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0176

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
AUSSTELLUNG VON ZEICHNUNGEN VAN GOCHS
BEI OTTO WACKER, BERLIN

Im Berliner Kunsthändlerviertel ist ein neues Ausstellungs-
haus gegründet worden. In der Viktoriastraße 12, von
Otto Wacker. Die schönen, großen, ruhigen und vortrefflich
hergerichteten Räume sind mit einer sehr bedeutenden Aus-
stellung des Zeichnungswerkes Vincent van Goghs eindrucks-
voll eröffnet worden. Eine Sammlung von ungefähr ein-
hundertundzwanzig Zeichnungen ist mit großer Sachkenntnis
zusammengestellt. Dem Veranstalter ist offenbar die Mitarbeit
Dr. J. B. de la Failles zugute gekommen , dieses van-Gogh-
Spezialisten, dessen Oeuvrekatalog des Künstlers soeben
erschienen ist. Aus der Haager Zeit van Goghs (1881 —1883)
sind i4Blätter ausgestellt, die Nuenener Epoche (1883 —1885)
ist mit 3 1 Blättern stark betont, auf den Antwerpener Aufent-
halt (1885 —1886) weist nur ein Blatt, die Zeit in Paris
(1886—1887) wird durch 10 Zeichnungen und Aquarelle dar-
gestellt, Arles (1888—1889) tritt dann wieder mit 30 Blättern
stark hervor, die letzte Zeit in St. Remy und Auvers( 1889— 1890)
umfaßt 28 Blätter.

Der starke Eindruck der Ausstellung geht nicht nur aus
von den späten Rohrfeder-Zeichnungen aus Arles, woran man
gemeinhin zuerst denkt, wenn der Name van Gogh genannt
wird, sondern auch von den mit Bleistift, Tusche und Kreide
ausgeführten und motivisch mehr gebundenen frühen Zeich-
nungen. Hier und dort liegt die starke Wirkung darin, daß
eine heftige Leidenschaft, ja ein Fanatismus — der stark
auf die Jugend wirkt — vollkommen Form und Kunst ge-

worden ist, weil van Gogh das Talent hatte, das, was ihn
menschlich bewegte, zu realisieren und zu objektivieren. Es
ist erstaunlich, wie das oft beängstigend unruhige Gefüge
der breiten und dichten Kielfederstriche den bewegten Ein-
druck leidenschaftlich gesehener Natur wiedergibt, wie die
krause, barocke Überfülle der Striche ein Bild vegetabilischen
Reichtums erzeugt. Es ist immer gut, im Vergleich vor-
sichtig mit den Namen alter Meister umzugehen; von einigen
Köpfen der Frühzeit kann man aber sagen, daß sie der Emp-
findung nach — nicht der Technik nach — Blättern von
Grünewald nahestehen.

Die Erinnerungen an Vorbilder, an Millet, Rembrandt,
Mauve, an Impressionisten und Japaner gehen immer nur
leise nebenher. Alles Aufgenommene ist restlos verarbeitet
und im Feuer der eigenen Empfindung völlig eingeschmolzen.
In einer ergreifenden Weise vermählt sich in van Goghs
Zeichnungen das Starke, ja das Rauhe mit dem Zarten, das
Heroische mit dem Lyrischen. Auch unter den frühen Arbeiten
gibt es Blätter von großer malerischer Schönheit; die Zeich-
nungen aus Arles aber sind oft von einer Zartheit, von einer
Blondheit und von einer Unwirklichkeit, bei aller Naturnähe,
die etwas Bestrickendes hat. Alles dient dann einem Raum-
gefühl von fortreißender Kraft.

Als Zeichner ist van Gogh ein Meister. Keiner sei-
ner Genossen hat sich der Leidenschaft des Zeichnens so
ergeben, hat in so großen Formaten vor der Natur ge-

150
 
Annotationen