Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0252
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Heft 6
DOI article:Grossmann, Rudolf: Vor- und Rückblick im deutschen Kunstbetrieb
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VOR- UND RUCKBLICK IM DEUTSCHEN KUNSTBETRIEB
AS CHERMITTWOCHBETRACHTUNG
VON
RUDOLF GROSSMANN
ur Zeit der Hochflut und des unbekümmerten
Auftriebes deutschen Kunstgeschehens hieß
es, die deutsche Kunst sei bestimmt, die stillstehende
französische abzulösen und deren Panne zu repa-
rieren. Während des Krieges, bei geschlossenen
Grenzen, wurde für den deutschen Liebhaber ein
Kunstroß aufgezäumt, wie man noch nie eines
gesehen hatte. Sattelgerecht saßen, neben dem
schaffenden Künstler, der Kritiker, Museumsdirek-
tor, Kunsthändler — ganz hinten! — und der Kunst-
historiker mit auf. Der etwas dumme Maler von
früher, der „Natur abmalte" und der von dem
Zauberwort nichts wußte, das jene Intellektuellen
wie Priester eines kabbalistischen Geheimnisses
hüteten, wurde als verstaubte komische Attrappe
in irgend einem Atelierwinkel liegen gelassen.
Es gab Kritiker, die ihnen mit salbungsvollem,
etwas dunklem Uberzeugungston als Exegeten zele-
brierend zur Seite standen.
Das Roß, als ob es eine angenehme Last trüge,
setzte sich alsbald in fröhlichen Trab. Bisher hatte
es noch impressionistische Nahrung gefressen. Mit
einem Schenkeldruck brachte man es aber dazu,
von dieser Atzung abzulassen und kubistische Pi-
cassos zu fressen. Die Kunsthändler hatten alle
Mühe, um sich vor dem zu allem bereiten Käufer
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AS CHERMITTWOCHBETRACHTUNG
VON
RUDOLF GROSSMANN
ur Zeit der Hochflut und des unbekümmerten
Auftriebes deutschen Kunstgeschehens hieß
es, die deutsche Kunst sei bestimmt, die stillstehende
französische abzulösen und deren Panne zu repa-
rieren. Während des Krieges, bei geschlossenen
Grenzen, wurde für den deutschen Liebhaber ein
Kunstroß aufgezäumt, wie man noch nie eines
gesehen hatte. Sattelgerecht saßen, neben dem
schaffenden Künstler, der Kritiker, Museumsdirek-
tor, Kunsthändler — ganz hinten! — und der Kunst-
historiker mit auf. Der etwas dumme Maler von
früher, der „Natur abmalte" und der von dem
Zauberwort nichts wußte, das jene Intellektuellen
wie Priester eines kabbalistischen Geheimnisses
hüteten, wurde als verstaubte komische Attrappe
in irgend einem Atelierwinkel liegen gelassen.
Es gab Kritiker, die ihnen mit salbungsvollem,
etwas dunklem Uberzeugungston als Exegeten zele-
brierend zur Seite standen.
Das Roß, als ob es eine angenehme Last trüge,
setzte sich alsbald in fröhlichen Trab. Bisher hatte
es noch impressionistische Nahrung gefressen. Mit
einem Schenkeldruck brachte man es aber dazu,
von dieser Atzung abzulassen und kubistische Pi-
cassos zu fressen. Die Kunsthändler hatten alle
Mühe, um sich vor dem zu allem bereiten Käufer
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