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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 9
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Scheffler, Karl: Rudolf Schlichter: Ausstellung in der Galerie Neumann-Nierendorf
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0385

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RUDOLF SCHLICHTER

AUSSTELLUNG IN DER GALERIE NEUMANN-NIERENDORF

Schlichters Grundbegabung ist zeichnerischer Art. Auch in
der umfassenden Ausstellung der Galerie Neumann-Nieren-
dorf überzeugten die Zeichnungen am schnellsten und voll-
ständigsten. Doch hat Schlichter sich auch als Maler verbessert.
In dem Bildnis des Dichters Alfred Döblin ist er sogar über
alles, was er bisher gemalt hat, sehr entschieden hinaus-
gegangen.

Als Zeichner gehört Schlichter zu Grosz. In den Aquarellen
ist er diesem sogar in einer nicht angenehmen Weise nahe.
Er ist ihm dort sozusagen parteipolitisch nahe. In seinen
Schwarzweiß-Zeichnungen ist er sich selbst gegenüber freier,
auch hier in ähnlicher Weise wie George Grosz es sich selbst
gegenüber ist. Es ist etwas Deutsches in dieser Art zu zeichnen.
Irgendwie denkt man an Menzel und an altdeutsche Meister
— durch Orlik hindurchgegangen. Man denkt an die Meister
und an die Zeichenschule, doch ist es gute Schule. Vom
Zeitprogamm scheint der Zeichner nicht allzu tief beeinflußt;
es liegt über der Begabung nur wie ein Gewand, das jeder-
zeit abgestreift werden könnte. Im Grunde handelt es sich
um Menschendarstellung, um Charakteristik, um den aus
der Erscheinung gewonnenen unmittelbaren Ausdruck. Wie
es auch bezeichnend für Schlichter ist, daß ihn nur der
Mensch interessiert, daß ihm alles zum Bildnis wird.

Die Malerei gehört, soweit sie sich absichtsvoll gibt, in
den Begriff „Neue Sachlichkeit". Doch geht sie an vielen
Stellen darüber hinaus. Es ist keineswegs aus den genau
gemalten Teilen immer ein Ganzes geworden, doch ist das
Streben zu malerischen Ganzheiten unverkennbar. Und es
ist ein Streben mit immer besserem Gelingen. Das Auge
sieht noch nicht gleichmäßig; Details fallen darum zuweilen
heraus. Dann sieht das Auge auch wieder zu gleichmäßig; ein
Seidenstrumpf, ein Schuh interessiert den Maler ebenso stark
wie Kopf und Hände. Was eine erzwungene Objektivität ist,
da das Interesse für die Erscheinung in Wirklichkeit sehr
differenziert ist und einen Kopf keineswegs mit einem Kleider-
stoff gleichsetzt. Dennoch kommt alles langsam ins Gleiche.
Das Bildnis Döblins könnte als völlig gelungen bezeichnet
werden, wenn Schlichter nicht geglaubt hätte, es seiner
Phantasie schuldig zu sein, im Hintergrund eine Gebirgsland-
schaft anzudeuten, um das Bildnis so „ins Symbolische zu
steigern". Zu solchen Kalkulationen gehört gar keine Phanta-
sie, das ist so wohlfeil wie möglich und charakterisiert den
Dargestellten in keiner Weise. Das Bildnis ist trotzdem gut.
Wie es scheint, hat zu diesem Gelingen nicht zuletzt der
Respekt beigetragen, den der Maler vor seinem Modell emp-
funden hat. Er hat es so gut wie möglich machen wollen,

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