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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 4
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Wahl, H.: Ein verschollenes Selbstbildnis Philipp Otto Runges in Goethes Nachlass
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0174

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EIN VERSCHOLLENES SELBSTBILDNIS PHILIPP OTTO RUNGES

IN GOETHES NACHLASS

H. WAHL

Die Beziehungen Philipp Otto Runges zu Goethe sind längst
bekannt. Sie begannen im Jahre 1801, als der junge
Dresdener Akademieschüler sich an der Lösung der neuen
Preisaufgabe der „Weimarer Kunstfreunde" beteiligte und
dauerten an bis zu Runges Tode. Das Thema der Preisaufgabe:
Achill im Kampfe mit Skamandros, wurde von Runge nicht
gerade glücklich gelöst, aber er hatte sich selbst die Fehler
längst eingestanden, als die Kritik aus Weimar eintraf. Man
weiß auch, daß Runge im November 1803 Goethe in Weimar
aufsuchte und zweimal Goethes Tisch-
gast war, daß er dort gerade durch die
Festigkeit, mit der er seine künstle-
rische Uberzeugung vor Goethe aus-
breitete, den sympathischen Eindruck
zurückließ, der sich in den.Jahren ge-
meinsamen Meinungsaustausches über
Probleme der Farbenlehre (1806 bis
1810) verstärkte. Runge reiste von
Weimar unmittelbar nach Hamburg,
wo er seine Ideen zu verwirklichen
begann und im April 1804 seinen
Hausstand durch Eheschließung schuf.
Es ist nicht zu leugnen, daß es etwas
Großartiges an sich hat, wie der junge
Exakademiker den Helios seiner roman-
tischen Freunde in entscheidender
Stunde aufsucht als ein Gleichberech-
tigter auf seinem Gebiete und Goethes
große Achtung mitnimmt. Diese hohe
Einschätzung hat dann auch Goethe
veranlaßt, den Maler drei Jahre später
um einige Erzeugnisse seiner Kunst
zu bitten und um eine Porträtsilhouette.
Wir wissen heute, mit welcher liebe
vollen Teilnahme Goethe die über-
sandtenBlumenscherenschnitte betrach-
tete und immer wieder vorholte, wie
er das Selbstbildnis, das Runge statt
der Silhouette geschickt hatte, mit-
nahm in den Salon der Madame
Schopenhauer und dort zeigte. Schon

Runge wußte es aus Goethes Dankbrief, daß der Dichter
eben im Begriff gewesen war, ein Zimmer in seinem Hause
am Frauenplan mit Runges Bildnis, seinen „Tageszeiten"
und Scherenschnitten „auszuzieren", als die Schlacht bei Jena
mit all ihren Folgen auch für Weimar Menschen und Ge-
danken eine andere Richtung gab. Erst im Salon der Hof-
rätin Schopenhauer fand man sich zur Fortsetzung geistigen
und geselligen Lebens wieder zusammen. Die „Tageszeiten",
die Goethe schon vor jener Sendung Runges besaß, sind
noch heute in seinem Nachlaß vorhanden. Aber von den zu
einem Ofenschirm bestimmten Blumenscherenschnitten ist
keine Spur zu finden gewesen, und, vor allem, das Selbst-
bildnis Runges galt bisher für verschollen. Daß auf Grund

KARL ALBIKER, FRAUENBILDNIS

AUSGESTELLT IN DER BAD1SCIIEN SEZESSION
FREIBURG L Ii.

des seit 1841 bekannten Briefwechsels Goethes mit Runge
seit der Eröffnung des Goethe-Nationalmuseums im Jahre
1886 häufig nach den Scherenschnitten und besonders nach
dem Bildnis gefragt wurde, ist begreiflich. Immer wieder
mußte geantwortet werden, daß Goethe wohl die Sendung,
ob mit oder ohne Runges Wunsch, als eine Leihgabe be-
trachtet und zurückgeschickt habe, so wie es nachweislich
mit einer Anzahl von Zeichnungen und Bildentwürfen ge-
schah, die Runge im Oktober 1807 Goethe mitteilte. In der
Tat ist ein Selbstbildnis Runges in dem
von Goethes letztem Sekretär und Ord-
ner seiner Kunstsammlungen aufge-
stellten Nachlaßverzeichnis, das seit
1848 im Druck vorliegt, nicht erkannt
und auch unter den Blättern von Unbe-
kannten nicht beschrieben worden. Beim
genauenDurchsehender„vonSchuchardt
nicht verzeichneten" Dinge lag es plötz-
lich ungesucht vor meinen Augen.

Christian Schuchardt hatte also, ein
reichliches Menschenalter nach Runges
Tode, keine Vorstellung von dem Aus-
sehen des großen Künstlers, was leichter
zu erklären ist als die Tatsache, daß das
Bild im zwanzigsten Jahrhundert beim
häufigen Durchgehen der Sammlungen
nicht nur von den Museumsbeamten
selbst, sondern auch von zahlreichen an-
deren Forschern nicht erkannt wurde.

Das Bild selbst ist auf graulichem
Karton von der Größe 25,5 X 36 cm mit
schwarzer Kreide gezeichnet und mit we-
nigen weißen Lichtern modelliert. Es
zeigt Runges Kopf in etwa halber Le-
bensgröße. Allem Anschein nach ist es
nicht aus dem Jahre 1806. Runge selbst
bemerkt beim Übersenden entschuldi-
gend, er habe nicht ad hoc ein neues
Selbstporträt gezeichnet, wolle es je-
doch gern später durch ein besonders für
Goethe geschaffenes ersetzen. Auch
ohne diesen Hinweis würde man den Kopf nicht in die Nähe
des wundervollen Bildnisses in „Wir drei" aus dem Jahre 1806
setzen, sondern eher zu dem 1805 entstandenen Gemälde,
das den Maler auf einem Stuhle sitzend zeigt, wie er das Kinn
nachdenklich auf die linke Hand stützt. Es ist der Maler der
Hülsenbeckschen Kinder, der zweiten Fassung der Lehrstunde
der Nachtigall, der an der Ruhe auf der Flucht arbeitet und die
Waldidylle „Quelle und Dichter" mit feinster Feder zeichnet.
Es ist noch jener Philipp Otto Runge, der dem Dichter zwei
Jahre vorher gegenüber gestanden hatte! —

Aus langer namenloser Verborgenheit in Goethes Nachlaß
wieder herausgehoben, wird Runges Selbstbildnis von nun an
einen neuen Platz im Freundezimmer des Goethehauses finden.

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