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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 12
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Corot verkauft ein Bild
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0506

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HENRI DE TOULOUSE-LAUTREC, STIER. PROBEDRUCK ZU DEN „HISTOIRES NATURELLES"

LITHOGRAPHIE. DELTEIL 307. AUSGESTELLT IN DER BREMER KUNSTHALLE

COROT VERKAUFT EIN BILD

Seit dreißig Jahren war Corot Maler, seit zwanzig Jahren
hatte er sein großes Talent bewiesen, als eines Tages ein
Fremder, den der Zufall in sein Atelier geführt hatte, sich
in ein Bild von ihm verliebte und nach dem Preise fragte.
Corot war nicht darauf vorbereitet. Er wäre nicht über-
raschter gewesen, wenn man ihn gefragt hätte, für wieviel
er den Mond verkaufen würde. Er wußte nicht, was er
antworten sollte, schließlich sagte er: „Ja, warum fragen
Sie mich das?" — „Weil ich das Bild sehr hübsch finde!"
— „Das ist doch kein Grund ... Es sind auch andere hier,
die etwas taugen, und es hat noch kein Mensch nach ihrem
Preise gefragt. Was interessiert Sie der Preis? Sehen Sie
die Farbe . . . und die Bäume hier müssen Sie gut anschauen.
Es war bei Tagesanbruch ..."

Corot vergaß sein Bild, er erinnerte sich der Stelle, die
er gemalt hatte, sprach von der Schönheit des Ortes, von
der Intensität der Schatten, von der Wärme der Sonnen-
strahlen . . . Aber endlich wieder die Frage: „Was soll es
kosten?" — „Ja, was interessiert Sie denn das?" — „Ich
möchte es kaufen, wenn es nicht zu teuer ist." Corot
kratzte sich den Kopf, nahm seine Baumwollmütze ab, setzte
sie wieder auf, nahm sie noch einmal ab und setzte sie
wieder auf. Kaufen! Dahinter steckte sicher etwas! Die
Situation war ganz neu für ihn. Übrigens liebte er diese
Studie, er fand, sie sei eine von seinen „famosen" Sachen,
wie er naiv diejenigen Bilder zu bezeichnen pflegte, in
denen er die Natur am besten wiedergegeben fand. Diese
erinnerte ihn an einen Ort, wo ein schönes Mädchen ihm
ein ausgezeichnetes Frühstück gereicht hatte. Er hatte be-
sonders glücklich den Eindruck der Sonne wiedergegeben,
deren Strahlen auf den breiten Blättern der Platanen helle
Flecken bildeten; er hätte sie lieber behalten. Er wagte
dem Fremden das nicht zu sagen, aber um ihn abzulenken,
ohne seine Schwäche zu zeigen, nannte er so obenhin —

es schien ihm unerhört — einen Preis, zu dem ein Kollege,
der weniger Talent hatte, aber schon einen gewissen Ruf
besaß, seine Bilder zu verkaufen pflegte. Übrigens fühlte
sich Corot darum nicht geringer, er hielt seine Bilder nicht
für schlechter.

Der Fremde zog seine Börse und seine Brieftasche her-
aus, zählte den Betrag in Banknoten und Goldstücken auf
den Tisch, nahm das Bild und stieg schnell die Treppe her-
unter, er schien nicht zu gehen, sondern zu fliehen. Der
Maler war zuerst ganz verdutzt, dann sagte er: „Meinet-
wegen, soll er den Schaden haben." Er schloß das Geld in
eine Schublade, zog seine Baumwollmütze über den Kopf
und sagte: „Hier ein bischen Ultramarin . . . noch ein bis-
chen, den Baum etwas heller ..."

Ein paar Tage darauf, Corot dachte nicht mehr an den
Vorfall, kam ein Kamerad zu ihm. Corot arbeitete.

„Sag mal, Corot, ich möchte eine Baumstudie von dir
leihen. Man kann jetzt im Winter nicht nach der Natur
malen."

„Nimm, was du willst," antwortete Corot, ohne aufzu-
sehen.

„Aber Corot," sagte der andere nach einer Viertelstunde,
„ich finde sie nicht mehr."
„Was?"

„Na, die Baumstudie."
„Du suchst nicht richtig."
„Ich habe überall gesucht."

„Nur nicht da, wo sie steckt. Du mußt suchen."

„Sie ist nicht da."

„Du träumst."

„Nein, auf Ehrenwort!"

„Welche Studie soll es denn sein?"

„Du weißt doch, eine aus Italien, Sonnenaufgang, Pla-
tanen, darunter sitzt du und ißt die famosen Makkaroni."

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