Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928
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Heft 2
DOI Artikel:Tietze, Hans: Französische Bilder des XIX. Jahrhunderts in der Londoner Nationalgalerie
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GUSTAVE COURBET, DER SCHNEESTURM
LONDON, NATIONAL GALLERY
FRANZÖSISCHE BILDER DES XIX. JAHRHUNDERTS
IN DER LONDONER N AT I O N A L G A L E R I E
VON
HANS TIETZE
TT^nglands Inselcharakter bestimmt wie seine poli-
tische und wirtschaftliche auch seine künst-
lerische Entwicklung. Es hat — außer zur Zeit der
Hochgotik, in der es durch die französische Politik
seiner Herrscher zum Teil ein Kontinentalstaat
war — nur dann in die europäische Kunst ein-
gegriffen, wenn diese an einen toten Punkt ge-
langt war und einer Auffrischung aus einer peri-
pheren und insularen Reserve bedurfte: in vor-
karolingischer Zeit und an der Wende des acht-
zehnten zum neunzehnten Jahrhundert. Sonst hat
im Gegenteil England überwiegend von einem Im-
port gelebt, mit dem es seine lokale Kunstent-
wicklung immer wieder aufgefrischt hat; im sech-
zehnten Jahrhundert hat es durch Holbein, im
siebzehnten durch van Dyck, im achtzehnten durch
die französische Kunst diese Befruchtung erfahren.
Die letzte Welle kreuzt sich am Ende mit jener
umgekehrt gerichteten Strömung, die englische
Einflüsse aller Art dem Kontinent zuführt; jene
gewinnt ihre Kraft aus der durch die vereinigte
Anstrengung vieler Völker gewachsenen künst-
lerischen Kultur Westeuropas, diese aus der unbe-
fangenen formalen Traditionslosigkeit Englands und
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LONDON, NATIONAL GALLERY
FRANZÖSISCHE BILDER DES XIX. JAHRHUNDERTS
IN DER LONDONER N AT I O N A L G A L E R I E
VON
HANS TIETZE
TT^nglands Inselcharakter bestimmt wie seine poli-
tische und wirtschaftliche auch seine künst-
lerische Entwicklung. Es hat — außer zur Zeit der
Hochgotik, in der es durch die französische Politik
seiner Herrscher zum Teil ein Kontinentalstaat
war — nur dann in die europäische Kunst ein-
gegriffen, wenn diese an einen toten Punkt ge-
langt war und einer Auffrischung aus einer peri-
pheren und insularen Reserve bedurfte: in vor-
karolingischer Zeit und an der Wende des acht-
zehnten zum neunzehnten Jahrhundert. Sonst hat
im Gegenteil England überwiegend von einem Im-
port gelebt, mit dem es seine lokale Kunstent-
wicklung immer wieder aufgefrischt hat; im sech-
zehnten Jahrhundert hat es durch Holbein, im
siebzehnten durch van Dyck, im achtzehnten durch
die französische Kunst diese Befruchtung erfahren.
Die letzte Welle kreuzt sich am Ende mit jener
umgekehrt gerichteten Strömung, die englische
Einflüsse aller Art dem Kontinent zuführt; jene
gewinnt ihre Kraft aus der durch die vereinigte
Anstrengung vieler Völker gewachsenen künst-
lerischen Kultur Westeuropas, diese aus der unbe-
fangenen formalen Traditionslosigkeit Englands und
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