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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 3
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Scheffler, Karl: Reaktion
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0116

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ganz ohne jene Vibration, die den Betrachter in
Erregung versetzt*.

Der äußere Erfolg aber ist groß. Er ist immer

* In der Schweiz hat man, gelegentlich der Böcklin-
feiern, über die Kritiker Böcklins den Stab gebrochen. Es
ist dort eine Frage des Patriotismus. Bei dieser Gelegen-
heit ist dann wiederholt — auch von Wölfflin — gegen
ein Wort meiner Kunstgeschichte Einspruch erhoben wor-
den, das folgendermaßen lautet: „In der Geschichte der
Kunst wird er (Böcklin) fortleben als eine Merkwürdigkeit:
als der Maler und Poet des Darwinismus." Schwer verständ-
lich ist, was darin Herabsetzendes liegen soll. Verkörperer
einer Jahrzehnte beherrschenden Weltanschauung zu sein,
scheint mir nichts Kleines. Wahrscheinlich wird der Satz
mißverstanden. Er soll ausdrücken, daß in Böcklins Bilder-
welt jener Geist herrscht, der gewisse Teile der „Klassi-
schen Walpurgisnacht" gedichtet hat und der, wie man weiß,
mit der Auffassung Darwins, diese vorwegnehmend, in man-
chem übereinstimmt. Was Goethe in diesem Gedicht großer
Art gegeben hat, ist, so könnte man sagen, die Mythologie
einer natürlichen Schöpfungsgeschichte — mit Hilfe grie-
chischer Fabelwesen. Böcklin gab dasselbe, auch mit Hilfe
derselben mythologischen Gestalten, wenn auch ohne Faust,
Mephisto und Homunkulus. Über seinem Meer scheint es
zu klingen:

„Alles ist aus dem Wasser entsprungen!

Alles wird durch das Wasser erhalten!

Ozean, gönn' uns dein ewiges Walten!"

Das Motto der gemalten Schöpfungssymbolik Böcklins könnte
sein: „So herrsche denn Eros, der alles begonnen!" Man
könnte von Liebesspielen der Zuchtwahl reden, von Sinn-
bildern der Lebensmetamorphosen, von ernsten und humo-
ristischen Bildergleichnissen des Kampfes ums Dasein. Aller-
dings gehört ein wenig Phantasie dazu. Und noch mehr
Phantasie ist nötig, um dann einzusehen, daß solche Vor-
stellungen sich in keiner Weise befriedigend malen lassen.
Oder muß, um es zu beweisen, ein neues Traktat „Uber
die Grenzen der Malerei und Poesie" geschrieben werden?

groß, wo der deutsche Idealismus programmatisch
auftritt. Es kümmert die Deutschen wenig, ob
idealistische Künstler, Maler sowohl wie Dichter,
ihre Vorstellungen auch künstlerisch haben reali-
sieren können, ob ihre innere Welt mit Handwerk
und Tradition in Verbindung gebracht worden ist,
ob der Lieblingskünstler die Willkür überwunden
hat und in die Schar der Meister aller Zeiten und
Länder aufgenommen wird. Im Gegenteil: die
Willkür gilt gar noch als Vorzug, als Signum der
großen Persönlichkeit. Hier liegt die Tragik des
wiederauflebenden Falles Böcklin, die deutsche
Tragik einer hochgestimmten Ideologie. Nicht
Böcklin ist eigentlich die Gefahr. Er ist eine ein-
malige Erscheinung und für alle Zeiten merk-
würdig. Die Gefahr sind die Böcklinianer. Wenige
nur vermögen sich vorzustellen, daß auch der im
rechten Wortsinne ein Idealist ist, dem die Gesin-
nung, das Menschentum in derKunst nicht genügen,
der vor allem Gestaltungskraft fordert und der
es für Verrat am Heiligsten der Kunst hält, auch
nur um Haaresbreite von dieser Forderung abzu-
gehen. Böcklin wird ungewollt zum Symbol für
die ungeheuren Gefahren des deutschen Idealismus,
für den Mißbrauch, der mit etwas an sich Ehr-
würdigem fort und fort getrieben wird, weil die
Flagge „Idealismus" schlechterdings jede Halbheit
und Unklarheit, jedes Wollen ohne Können decken
soll. Gerade weil wir uns selbst für Idealisten halten,
fühlen wir die Pflicht, alles zu sagen, so hoch die
Wogen auch wieder gehen mögen. Und so sagen
wir es denn auf jede Gefahr hin, in der Gewiß-
heit, von der Zukunft nicht verleugnet zu werden.
 
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