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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 3
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Meier-Graefe, Julius: Böcklin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0118

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Gelassenheit aufgehoben. Man feiert die Feste, wie
sie fallen. Basel macht eine Zentenarausstellung,
und Wölfflin hält schöne Reden. Alles in Ordnung.
Bei uns ging es einmal anders zu, ganz anders,
und es könnte sich lohnen, zu untersuchen, warum
das eigentlich so war. Es ist sogar das einzige,
was bei dieser Retrospektive in Frage kommen
könnte: nicht die Bilder, sondern die Betrachter.
Auf Opern Wagners trifft dasselbe zu, und es hat
immer noch einen eigenen Reiz, die Übertragung
des Musikdramas auf die wogenden Busen im Par-
kett zu beobachten. DieReflexeBöcklins haben nach-
gelassen. Die meisten modernen Paare machen sich
ihr Spiel der Wellen zu Hause und pfeifen sich was.

Damals war es anders, und man fragt sich,
wie dieser irgendwo bei Florenz lebende Schweizer
die Deutschen so behexen konnte; und zwar nicht
nur die ad hoc berufene Masse der zum Wogen
bestimmten Busen, sondern zuerst und vornehm-
lich die für geistig geltende Minorität. Die Elite
kämpfte um ihn erbittert. Das Teuflische war,
daß die Gegner, die nichts von ihm wissen woll-
ten, nicht recht, sondern erst recht unrecht hatten,
weil sie dem Maler der Toteninsel nicht etwa Leibi
oder Liebermann, sondern Griitzner oder Defregger
vorzogen. Die Verwirrung war groß. Man stelle
sich einen pflichtbewußten Gebildeten vor, einen
Familienvater mit Kunstdrang, der sich nach Über-
windung tiefsten Abscheus zur Einsicht in die
Herrlichkeit Böcklins durchgerungen hatte und
dem nun, als er sich endlich dem ruhigen Genuß
seiner Eroberung hingeben wollte, bedeutet wurde,
er sei einer schmählichen Selbsttäuschung unter-
legen und befinde sich nicht auf dem Mont Blanc,
sondern in einem giftigen Sumpf. Man faßte es
nicht. Auch wenn es den Verhexten logisch, ma-
thematisch, physikalisch klar gemacht wurde, sie
faßten es nicht. Worte versagten.

Die Wirkung Böcklins interessiert den Sozio-
logen. Was die Menge anzog, war ein legitimes
gesellschaftliches Bedürfnis, das von der zeitge-
nössischen Kunst absichtlich oder notgedrungen
vernachlässigt wurde und bei ihm Erfüllung hoffte.
Man fand sich in seiner Welt zusammen. In den
Bildern der anderen fand man sich nicht. Das lag
zumal an den Motiven. Der Kohlstrunk Lieber-
manns ließ kalt. In den Böcklins ging etwas vor,
über das man sinnen konnte und das den Adepten
anhielt, sich nicht albernen Kunstproblemen, son-

dern einer allmenschlichen Idee hinzugeben. Die
Idee bildete Kette. Früher war es so gewesen.
Die Madonna hatte nicht zu diesem oder jenem
Künstler, nicht zu Kunstgelehrten, Händlern, Bör-
sianern, sondern zu Gott geführt. Konnte man
nicht wieder so zusammenkommen, wenn nicht
in Gott, so in einem von Schönheit und Wahr-
heit und vor allem von der alten trutzigen Urkraft
getragenen Gefilde? Wenn man wollte, hatte man
eine deutsche Kunst. Das Auge rollte, und die
Busen wogten.

Woher Böcklin seine Librettos nahm, aus
Dichterwerken oder aus dem ungebundenen Fun-
dus der Legenden, oder ob er sie selber schrieb,
tut nichts zur Sache, wenn die Freiheit und Zu-
gänglichkeit des Bildhaften gewahrt blieb. Diese
gefährdete der Verzicht des Gestalters auf alle Hilfen
malerischer Überlieferung. Er glaubte auch in der
Malerei allein oder nur gestützt auf mittelalterliche
Rezepte fertig werden zu können. Die Bedingun-
gen des Bildes erfüllte nicht, wie heute noch hier
und da geglaubt wird, die „Naturgebundenheit"
der Geschöpfe Böcklins, die man ihnen am we-
nigsten abstreiten kann. Im Gegenteil, die Trito-
nen triefen förmlich von Natur, und eben damit
versperren sie die Bilder, da der Betrachter einer
sehr spezifischen Natur — man könnte sie haarig
nennen — bedarf, um in der Tritonen-Gesellschaft
seßhaft zu werden. Werke der französischen Ro-
mantiker stellen keine so weitgehenden physiolo-
gischen Forderungen und sind dem Geist zuträg-
licher. Auch die Löwenköpfe und Tigerjagden
Delacroix' spielen nicht in gewohnter Umgebung
und erschüttern uns. Nie erreicht einer der mo-
dernen, mit Lebensgefahr aufgenommenen Filme
des Urwalds diese ungehemmte Natur der Bestie.
Nur betreiben die Bilder Delacroix' die Erschütte-
rung nicht als Selbstzweck. Sie fesseln den Be-
trachter mit dem Unwirklichen nur, um ihn in
Wirklichkeit zu erlösen. Derselbe Rhythmus, der
uns mit der dramatischen Szene entflammt, trägt
uns zugleich in eine Sphäre hinauf, von wo wir
das Drama als Stilleben erblicken. Auf dieser dop-
pelten Verwandlung beruht die Realität der Kunst.
Naturalisten vom Schlage Böcklins begnügen sich
mit der ersten Hälfte der Metamorphose.

Jeder Gegenstand genügte Delacroix. Er konnte
mit einem Kissen, mit einer Türwand dem Auge
Feste bereiten, und er hat es getan. Er griff" zu

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