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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 4
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Basler, Adolphe: Fünfzehn Jahre Lügen: Deutsch von Eberhard Nebelthau
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sich verzehnfachen, ja verhundertfachen sehen. Die
Suggestionskraft dieser Leute hat seitdem eine
Menge neuer Kunstfreunde hervorgebracht, und
die Spekulation ist bis so weit übertrieben, daß der
Kunstfreund sich schließlich mit dem Kunsthändler
identifiziert hat. Mit Ausnahme der Museen und
einiger amerikanischer Nabobs oder seltener euro-
päischer Sammler, so seltener, daß man sie an den
Fingern herzählen kann, kauft gegenwärtig jeder
nur, um wieder zu verkaufen.

Wie kann sich der arme Sterbliche, der in
Malerei zu spekulieren gedenkt, unterrichten, wenn
er weder mit ausreichendem Geschmack noch mit
Kenntnissen ausgerüstet ist? Soll er sich durch die
Kunstkritik führen lassen? Hilft heutzutage wirk-
lich die Kritik zum Verständnis eines so chaotischen
Bereiches der menschlichen Betätigung wie dem
der modernen Malerei? Sollte man nicht nur auf
die Händler etwas geben, die eingetragenen oder
nicht eingetragenen — die nicht eingetragenen
bilden die zahlreiche Kaste der Amateurhändler —,
um Werke von Qualität zu entdecken und sie,
wie an der Börse, aus der Reihe der versumpften
Werte zu den höchsten Kursen emporzutreiben?
Diese Börse birgt jedoch auch ihre Orakel. Einer
von denen, auf die man am meisten hört, ist der
Wiener Alphonse Kann. Der Faubourg Saint-
Honore und die Rue la Boetie spitzen die Ohren
nach seinen Voraussagungen, denn er gilt in der
Welt der Antiquitäten- und Kunsthändler als ein
sehr guter Kenner. Sei er auch ein noch so großer
Prophet, seine Erleuchtungen hindern ihn manchmal
nicht daran, gegen eine Straßenlaterne zu rennen.
Vor kurzem noch konnte man in seiner Wohnung
in der Avenue du Bois, dieser glänzenden Filiale
der großen Bildergalerien, dieselben Cezannes, die-
selben Renoirs und dieselben Van Goghs sehen,
die einige Zeit vorher oder einige Zeit nachher
die Schaufenster der Rue la Boetie schmückten.
Als die Malereien des Zöllners Rousseau, von Matisse,
Picasso und Segonzac einen gewissen Preis erreichten,
kaufte er sie vor der Hausse. Und wenn er gewisser
Maler überdrüssig ist, findet er für sie Ersatz oder
Äquivalente, die nicht immer welche sind. Aber
Alphonse Kann bleibt ein unfehlbares Orakel für
die Snobs, die Amateurhändler und die Händler
schlechthin. Es gibt noch ein anderes Orakel, den
reichen Amerikaner Barnes. Dieser Mann ist ein
uneigennütziger Sammler, nur ist er von der Eitel-

keit geleitet, seiner Vaterstadt Philadelphia eines
der seltsamsten Museen zu stiften, „die Barnes —
Fondation", die für die Volkserziehung bestimmt
ist. Nachdem er Daumiers, Manets und zu Dutzen-
den Cezannes und Renoirs aufgestapelt hat, wirft
er sich jetzt auf die ganz Jungen. Und hier drängt
er seinen diktatorischen Geschmack den Handel-
treibenden in moderner Malerei und allen Snobisten
des Erdenrundes auf. In einem Büchlein, voll von
seinen Auseinandersetzungen über Kunst, entdeckt
und offenbart er einen kleinen jüdisch-russischen
Maler namens Soutine. Hier zum Beispiel einige
aus der Zeitschrift „Les Arts ä Paris" heraus-
gegriffene Proben der begeisterten Sätze, welche
Herr Barnes Soutine widmet. Wir möchten sie
keinesfalls dem Leser vorenthalten: „Seine Zeich-
nung hat dasselbe Maß an Kraft wie die Tinto-
rettos, und es fällt auf, daß sie mit Hilfe derselben
packenden Lichtgegensätze ausgeführt ist, die Tinto-
retto sehr deutlich in seiner Art, einen Himmel
zu malen angewendet, weniger klar jedoch bei
anderen Dingen. Soutine hat das Motiv des Kon-
trastes leuchtender, verschiedenartig aufgetragener
Farben bereichert und zu einer seiner hauptsäch-
lichsten technischen Schöpfungen gemacht. Daraus
ergibt sich, daß das Gefühl für das nachdrücklich
Pathetische, das Tintoretto nur in gewissen Partien
seiner Bilder gibt, bei Soutine die ganze Leinwand
durchdringt." Auch folgendes möge man noch
kosten: „Seine Malerei steht aus Gründen der all-
gemeinen Empfindung näher bei Van Gogh als
bei Renoir und Cezanne, aber der plastische Wert
seines besten Werkes steht hoch über dem besten
Werke Van Goghs." Eine solche Schreibweise recht-
fertigt vollkommen den Ausspruch eines von allen
über die moderne Malerei gesprochenen und ge-
schriebenen Abgeschmacktheiten angeekelten fran-
zösischen Dichters: „Die moderne Malerei ist die
Poesie für Ungebildete." Wir wollen gewiß nicht
das Talent Soutines herabsetzen — ein unscheinbares
Talent übrigens. Seine Malerei ist von einer ziemlich
dürftigen Zeichnung, seine Farbe knallig, und
seine Landschaften scheinen sich zu drehen, wie
der Kreisel, mit dem Soutine als Kind in seinem
Ghetto spielte. Seine Figuren erinnern an Köpfe
von Schießbudenfiguren oder von Tobsüchtigen,
die in ihren Zwangsjacken ersticken. Und ich ver-
stehe, daß diese barbarisch und pathologisch aus-
sehende Kunst etwas hat, um verderbte oder blasierte

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