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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 5
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Friedländer, Max J.: Über das Expertisenwesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0198

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freundlichen Beziehungen zu einem Kunstkenner,
dessen Urteil er schätzte, und interessierte ihn für
das Gedeihen seiner Sammlung. Nicht selten waren
die Händler selbst Vertrauensleute ihrer Kunden und
setzten ihre Ehre darein, sich des Vertrauens wür-
dig zu zeigen. Freilich, sie schöpften noch aus dem
Vollen und konnten wählerisch sein.

Aus mehr als einer Ursache hat sich dieses ge-
sunde Verhältnis gelockert. Erstens: die Wissen-
schaft hat sich so spezialisiert, daß auch der kennt-
nisreiche Händler als Expert nicht mehr mitkommt.
Zweitens: die echten und guten Kunstwerke sind
seltener, die Zahl der Händler und Agenten ist
größer geworden, so daß der Konkurrenzkampf bei
Einkauf und Verkauf, der Kampf um die Ware
und der Kampf um den Kunden, sich verschärft
hat. Drittens: in die Körperschaft der Händler sind
fremde Elemente eingedrungen, da Aristokraten)
Damen, arme Söhne aus reichen Häusern, eifrig
mittun, zumeist Leute, die für die Reinheit eines
Firmenschildes nichts zu sorgen haben, weil sie
gar kein Firmenschild besitzen. Viertens: die Preise
sind gestiegen, und mehr gestiegen ist die Preis-
spannung zwischen den Kunstwerken, während
gleichzeitig die Händler ärmer geworden sind. Des-
halb ist das geschäftliche Risiko gefährlich ange-
wachsen. Endlich: die Amerikanisierung des Marktes.
Der Mann in Detroit oder Toledo (U. S. A.), dem
brieflich Bilder angeboten werden, wendet sich
nicht an den Kunsthändler und noch weniger an
den Kunstkenner; der Händler wendet sich an ihn.
Er ist mißtrauisch, unsicher, und hat es schwer,
sich selbst ein Urteil zu bilden. Der Händler oder
Vermittler bekämpft Zweifel mit Zertifikaten. Der
Mann in Toledo weiß nicht viel von europäischen
Autoritäten. Maßgeblich für ihn sind diejenigen Ge-
lehrten, deren Namen er unter den Attesten liest,
also vorzugsweise die optimistischen Ja-Sager. Die
Händler, die mit den amerikanischen Sammlern
direkt verkehren, haben ein natürliches Interesse
daran, ihre freundwilligen Experten zu Autoritäten
zu erhöhen.

Man ahnt, was für diffizile Beziehungen sich
zwischen den Händlern und den Kennern an-
spinnen, gleichviel ob die Echtheitserklärungen aus
Gefälligkeit oder gegen Honorar oder mit Ge-
winnbeteiligung abgegeben werden — übrigens
nicht ganz gleichviel. In jedem Falle schiebt sich
das Papier zwischen den Sammler und den Kenner.

Der Sammler glaubt, des Gedankenaustauschs
mit erfahrenen Kennern entraten zu können, da
er ja ihre Weisheit schwarz auf weiß beim Ein-
kauf eines Bildes mitgeliefert bekommt.

Der Händler wälzt die schwerer gewordene
Verantwortung auf den Expert ab. Ehemals
mußte er sich die Bilder scharf ansehen, sich selbst
das Urteil bilden, weil er allein die Garantie zu
tragen hatte. Im Fall eines Irrtums wäscht jetzt
der Verkäufer seine Hände in Unschuld, und der
Expert, auf den er sich beruft, tritt naturgemäß
finanziell für sein Versehen nicht ein. Also die
Verantwortlichkeit hat sich bedenklich gespalten,
in eine moralisch wissenschaftliche einerseits und
eine geschäftliche andrerseits. Der Händler hat keine
rechte Veranlassung mehr, sich ernstlich um Kenner-
schaft zu bemühen, da es ja auf seine Meinung
gar nicht oder doch nicht in erster Linie ankommt.

Das Expertisenwesen ist gewachsen auf dem
Boden einer sinnlosen Uberschätzung des Autor-
namens und hat wiederum diesen Aberglauben ge-
steigert. Da nämlich in den Attesten üblicher-
weise nichts festgestellt wird als der Autorname,
wähnt der naive Sammler, nur darauf käme es
an, der Name allein bestimme den Wert des
Kunstwerkes. Nicht selten werden die Ge-
schäfte brieflich ohne Autopsie auf Grund der
papierenen Erklärungen abgeschlossen.

Solange es sich um berühmte Namen handelt,
ist der Wahn der Sammler noch zu verstehen. Rem-
brandt, so sagt sich der Mann in Toledo, war ein
großer Meister, also muß ein anerkanntes Werk von
seiner Hand unter allen Umständen wertvoll sein.
Es geht aber nicht nur um den berühmten Namen,
sondern seltsamerweise um den Namen an sich. Man
scheint sich nicht darüber klar zu sein, daß jedes
Bild, auch das elendeste Machwerk, von einem
Menschen hergestellt ist, und daß jeder Mensch
einen Namen hatte, daß es zumeist nichts als
Zufall ist, wenn dieser Name gewußt wird. Sagt
der Gelehrte: dies ist ein vortreffliches oberdeut-
sches Bild aus der Zeit um 1460 —, so wenden
sich Händler und Sammler enttäuscht ab, hat er
dagegen — ob richtig oder nicht — ein zweites
Bild von demselben Maler entdeckt, dem er aus
eigener Macht einen Notnamen verleiht, sagt er:
dieses Bild stammt vom „Meister des heiligen Fran-
ciscus" —, so sind Händler und Sammler einiger-
maßen zufriedengestellt, wenngleich sie einen rich-

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