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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 6
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Kunstausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0269

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WANDMALEREI AUS DEM 18. JAHRHUNDERT (SCHLOSS PREMSTÄTTEN)

AUSGESTELLT BEI FLATOW & PRIEMER, BERLIN"

über den die einander sonst aufs Messer bekämpfenden po-
litischen Parteien völlig einig sind, und ihre Einmütigkeit
zwingt die jeder Förderung ermangelnden Künstler in den
Ruf einzustimmen, der das Motto unseres Daseins geworden
ist: Es lebe die Tradition! Womit weniger die Wurzelecht-
heit des kulturellen Daseins gemeint ist, als der zu allen
Zeiten erhobene Anspruch, dem jeweils Lebendigen das
Dasein zu erschweren und zu verbittern. Diese Wiener
Tradition ist so alt und fest, daß sich die heutigen Künstler
ruhig damit trösten können, daß man in hundert Jahren
von ihren Werken eine Ausstellung liebevoll veranstalten und
wahrscheinlich mit denselben Phrasen eröffnen wird wie die
jetzige; in der Zwischenzeit können sie sich ja die Bilder früher
verachreter und gering geschätzter Vorfahren an den Wänden
ihrer modernen Ausstellungsgebäude ansehen.

Diese Besichtigung wird ganz lehrreich für sie sein; sie
werden daraus entnehmen, daß auch die früheren Genera-
tionen meistens schlecht gemalt haben, daß also wirklich
der Reiz nur in der historischen Distanz liegt. Denn was
hier hängt, gehört zumeist in die Kategorie jener Werke,
über die man entzückt ist, wenn man sie in altvärerischen
Wohnungen antrifft oder die auch den Kunsthandel immer
interessieren, weil sie durch anspruchslosen Inhalt, sympa-
thisches Format und mäßigen Preis einen stets willkommenen
Handelsartikel bilden. Selbst der Kunsthistoriker von Beruf
wird die Ausstellung nicht ganz ohne Gewinn besuchen, da
einzelne weniger bekannte Kleinmeister ganz hübsch ver-
treten sind. Vom Standpunkt des großen Publikums ist diese
Ausstellung aber eine Katastrophe. Denn es wäre begreif-
lich, wenn Künstler die durch außerordentliche Qualität her-
vorragende Meisterwerke der Vergangenheit herauslösten,

um an einer solchen Ahnenreihe die unzerstörbare Giltigkeir
der höchsten Leistungen zu zeigen; aber daß sie sich dazu
hergeben — dazu hergeben müssen —, ein Bazar x-beliebi-
ger Viennoiserien zu patronisieren, ist vom erzieherischen
Standpunkt sehr bedauerlich. Die Galerie des neunzehnten
Jahrhunderts bemüht sich, seit sie besteht, in ihrer Schau-
stellung nur die höchsten Qualitäten, ohne das Füllsel der
Durchschnittsproduktion zur Geltung zu bringen und das
Publikum so an eine künstlerische Einstellung zu gewöhnen;
und die Künstler machen höchst feierlich eine eigene Aus-
stellung aus eben diesem Füllsel. Im vorigen Herbst hat
eine in den Räumen der Sezession stattgefundene Ausstellung
von englischen Bildern mäßigster Art — über fünfzigtausend
Personen, eine für Wien unerhörte Zahl, haben sie besucht —
die Neigung zum Kitsch durch diesen Riesenerfolg gewisser-
maßen offiziell bestätigt; im Frühling darauf verleiht der
sonst noch radikaler gesinnte Hagenbund den Überbleibseln
der bodenständigen Mittelmäßigkeit die Weihe wahrer Kunst
und echter Tradition. Die unvermeidliche Folge kann nur
sein, daß das Publikum den eigenen Ausstellungen der Künstler
noch fremder, noch verständnisloser und feindseliger gegen-
über steht; die Winterausstellung der Sezession war — trotz
oder wegen Boeckls überragender Erscheinung — ein aus-
gemachter Mißerfolg und bei der nächsten Ausstellung des
Hagenbundes werden sich die Leute, denen dann einige
Mühe und Mitarbeit zugemutet werden wird, unwillig nach
dem guten Pökelfleisch der Tradition zurücksehnen. Nichts
bezeugt die Wirksamkeit der Fuchtel, unter der die Wiener
Künstler stehen, deutlicher als die — der traditionellen
Liebenswürdigkeit durchaus konforme — Art, wie sie zum
Selbstmord getrieben werden. Hans Tietze.

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