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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 7
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Pauli, Gustav: Dürer
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0282

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daß solcher Ruhm bis gegen die Mitte des sieb-
zehnten Jahrhunderts, zum mindesten in Deutsch-
land, kaum geschmälert fortgedauert habe. Dann
freilich entfernte sich der Zeitgeist weiter und
weiter von ihm, bis sein Name ein leerer Schall
wurde.

Für das achtzehnte Jahrhundert mit seiner selbst-
gefälligen, verführerischen und anmutigen Kultur
mag Dürer nicht mehr als eine berühmte Kurio-
sität gewesen sein, an der etwa ein Genie, wie
der junge Goethe, staunend etliches Gute ent-
deckte. So mußte es denn wie eine Offenbarung
wirken, wenn sich die jungen Romantiker schwär-
merisch glühend zu Dürer bekannten und ihn als
den Unseren, als den Deutschen preisen, der
keinem der großen Welschen zu weichen habe.
Die Kenntnis, die Wackenroder und seine Freunde
von Dürers Werken hatten, war gering und den-
noch behalten sie recht, da in der Kunst mitfüh-
lende Liebe immer noch tiefer blickt als behut-
sam wägende Forschung. Was die Romantiker für
unnötig erachteten, besorgte zu ihrer Zeit der
Sammeleifer des bienenfleißigen Heller. Als bald
darauf in Strixners Lithographien die Randzeich-
nungen Dürers zum Gebetbuch des Kaisers Maxi-
milian verbreitet wurden, da leuchtete sein Ruhm
vollends hell auf. Solcher Anmut hatte man sich
nicht versehen; der Geist des alten Meisters er-
schien nunmehr wieder in mancher deutschen
Werkstatt und half zum Beispiel mit an den Feder-
spielen einer neuen Ornamentik, deren Spur sich
weithin verfolgen läßt. So verschiedenen Meistern
wie Cornelius und Menzel ist Dürer damals ge-
naht. — Dann kam die famose Blütezeit der bür-
gerlichen Gesellschaft, in der die Technik im Bunde
mit den Naturwissenschaften den Ton angab, wäh-
rend die Künste und die Allotria des Geschmacks
scheu zurückwichen. Das Hochgefühl, das dem Siege
über Frankreich folgte, hat bekanntlich nur dazu
beigetragen, den Zeitgeist in seinen Vorzügen und
Mängeln zu bekräftigen. Die Dürerliteratur, die
1871 zum Gedächtnis an die vierhundertste Wie-
derkehr seines Geburtstages erschien, gibt Zeugnis
dessen. Wie gerufen hatte sich Dürer wieder ein-
gestellt; allein er fand ein anderes Geschlecht als
vor zwei Menschenaltern. Nicht schwärmerische
Liebe begrüßte ihn demütig, sondern selbstzufrie-
dene Billigung . . . „Ein tüchtiger Mann, dieser
Dürer, fleißig, intelligent und vielerwärts bewan-

dert; durchaus vortrefflich in allem, was er an-
faßt — ein Mann für unsere Zeit, einer der alten
Bannerträger des Reichs. In manchem Stück sieht
er uns am Ende gar ein wenig ähnlich. Zum
mindesten hat er uns vorausgeahnt." — Freilich
hat Thausing, der Dürerkenner und Verfasser des
großen Dürerbuches jener Zeit, nicht also ge-
sprochen, aber so oder ähnlich raunt doch der
Geist der Zeit zwischen den Zeilen seines Wer-
kes zu uns. Die Geschichte, mit den Instrumenten
exakter Wissenschaft angepackt, lag vor dem Histo-
riker wie ein aufgeschlagenes Buch. Da hatte man
sie — um mit dem Zeitgenossen Courbet zu reden
— die wahrhaftige Wahrheit! Bei Lichte besehen,
eine ganz einfache Geschichte! Die selbstzufrie-
denen Geisterbanner bemerkten es nicht, wie der
Schatten des Meisters ihnen entglitten war, wäh-
rend sie die Dokumente seines Daseins ausbreiteten.

Und wieder kam ein neues Geschlecht heran.
Als seinen Wortführer begrüßen wir Wölfflin.
Ihm gereichte es zum Vorteil, daß er aus der
Fremde, von der klassischen Kunst Italiens her, an
Dürer herangetreten war. So sah er, was Thau-
sing und die naiven Schwärmer vor ihm nicht ge-
sehen hatten: die Problematik Dürerscher Kunst,
die in dem einen großen Ringen um den geistigen
Besitz Italiens bestand, um die abgeklärte Schön-
heit des Klassischen, nach der immer wieder der
Deutsche verlangend die Hände streckt, wie Faust
nach Helenas holdem Schatten. Dieses Werben, zu-
gleich beglückend und ungestillt, das sich erneuern
wird, so lange nebeneinander Germanen und Ro-
manen wohnen, war eben damals um 1500 wieder
einmal das große Problem der Zeit geworden. Gar
manche unserer Besten haben es damals in sich
bewegt und kaum einer unserer Künstler stand
unbeteiligt abseits, aber keiner von ihnen allen hat
es so tief erfaßt wie Dürer. Und das ist es! Nur
wer das Bestreben und das Schicksal seiner Zeit
als sein ganz persönliches Bestreben und Schick-
sal erlebt, ist der wahrhafte Repräsentant seiner Zeit.

Hier geht es nicht um Einzelnes. Nicht das
ist die Frage, ob Dürer in diesem oder jenem Stück
den anderen überlegen gewesen sei. Man mag es
sogar gern zugeben, daß Grünewald ein weit
größerer Maler war, Cranach desgleichen und zu-
dem noch ein sonderlich deutscheres Gemüt, Alt-
dorfer ein besserer Erzähler, Holbein in der siche-
ren Beherrschung seiner Begabung und in der

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